Wann habt ihr zum letzten Mal einen wirklich guten, innovativen Gangster-Film aus Hollywood gesehen? Ich persönlich muss schon etliche Jahre zurückschauen, ja sogar in die 90er Jahre, in das Jahrzehnt zahlreicher Filmperlen. Pulp Fiction (1994), Heat (1995) oder Die üblichen Verdächtigen im Jahr 1995. In den 2000er Jahren dagegen muss man für einen anständigen Gangster-Film meist im Ausland vorbeischauen. 2008 zum Beispiel der Zweiteiler Mesrine, der französische Scarface von Regisseur Jean-François Richet, oder Infernal Affairs (2002) aus Hong Kong von und mit Andrew Lau, welcher 2006 als Hollywood-Remake von Martin Scorsese sogar den „Academy Award“ als bester Film erhielt.
Dabei lieferte Hollywood teils prägende Werke, besonders im Genre der Mafia-Filme. King of New York mit Christopher Walken, Miller’s Crossing der Coen-Brüder und natürlich Goodfellas erneut von Martin Scorsese läuteten 1990 das Jahrzehnt ein und gelten bis heute neben den Klassikern Scarface und Der Pate als die Aushängeschilder ihrer Zunft. Während das Hollywoodkino dem organisierten Verbrechen den Rücken zukehrte, übernahm das TV für etliche Jahre und begeisterte das Publikum mit Die Sopranos (1999–2007) oder seit 2011 Boardwalk Empire. Natürlich warf Hollywood alle paar Jahre einen Genrevertreter in den Ring, Ridley Scotts American Gangster (2007) mit Denzel Washington und Russell Crowe oder Michael Manns Public Enemies (2009) mit Johnny Depp konnten zwar überzeugen, läuteten aber keinen Hype ein wie ihre berühmten Vorgänger.
Nun versucht Crazy Heart-Regisseur Scott Cooper mit seinem neuesten Werk Black Mass dem Genre wieder neues Leben einzuhauchen und konnte dafür erneut Johnny Depp für die Hauptrolle gewinnen. Doch dieses mal nicht als schießwütiger Bankräuber John Dillinger, sondern in der Rolle des Mafioso Whitey Bulger, welcher mit seiner „Winter Hill Gang“ über Jahre hinweg das organisierte Verbrechen in Boston steuerte.
John Connolly (Joel Edgerton), ein Junge aus dem Süden Bostons hat es in seinem Leben schon weit gebracht. Als respektierter FBI Agent soll der Junge aus der Arbeiterklasse nun seine Heimatstadt vom organisierten Verbrechen befreien. In den gefährlichen Vierteln, dem sogenannten „Southie“, steht die Mafia über dem Gesetz. Gewalt beherrscht das Tagesprogramm und selbst bei helllichtem Tage wird schon einmal der ein oder andere Mord verübt. Um diesem Gebaren ein Ende zu setzen wendet sich Connolly an seinen Jugendfreund James „Whitey“ Bulger (Johnny Depp), einem irischen Kleinkriminellen, und überzeugt ihn, als Informant für das FBI zu arbeiten.
Die angebliche Absicht dieser Zusammenarbeit, Informationen zur Zerschlagung der italienischen Mafia, welche der Ursprung allen Übels in Boston zu sein scheint. Doch schnell wird klar, dass „Whitey“ in dieser Beziehung die Zügel in der Hand hält und unter dem Schutz des FBI seine „Winter Hill Gang“ an Stelle der italienischen Mafia als oberste Instanz der Kriminalität etablieren will. Alles im Einverständnis seines Freundes aus Kindheitstagen, Connolly, welcher ihn vor der Macht des Gesetzes schützt. Eine Partnerschaft, welche die wohl skrupellosesten und mächtigsten Kriminellen der Bostoner Geschichte hervorbringt.
Wir haben also einen berühmt-berüchtigten Kriminellen, einen ambitionierten FBI Agenten, als Schauplatz das Boston der 70er Jahre und zahlreiche blutige Verbrechen der irischen Mafia. Auf den ersten Blick scheint Black Mass alle Zutaten für einen fesselnden Ganster-Film zu vereinen. Im Mittelpunkt steht ein kriminelles Superhirn, ein Mörder, eine Berühmtheit, alles vereint in einer Person – „Whitey“ Bulger, der seine Karriere als Kleinganove beginnt und als meistgesuchter Verbrecher der USA beendet. Und das mit zahlreicher Unterstützung des FBI. Neben dieser spannenden Handlung dürfen wir uns auf einen Cast mit Namen wie Johnny Depp, Joel Edgerton, Benedict Cumberbatch, Dakota Johnson und Kevin Bacon freuen. Was könnte da also noch schieflaufen? Zu viel, leider.
Handlungstechnisch konzentriert sich Black Mass auf die Geschehnisse zwischen „Whitey“ und Connolly und blendet nur am Rande ihre Aktivitäten abseits dieser Partnerschaft ein. Schauspielerische auf hohem Niveau stiehlt besonders Joel Edgerton in der Rolle des FBI Agenten Johnny Depp die Schau. Denn während Depps Charakter keinerlei Entwicklung erfährt, obwohl dieser vom kleinen Straßenganoven zum mächtigen Kingpin aufsteigt, entfaltet Edgerton seinen Charakter stärker. Vom selbstbewussten FBI Agenten zum gefallenen Helden, man empfindet Connolly Zwiespältigkeit teils am eigenen Leib. Whitey, während Depp eine schauspielerisch überzeugende Leistung abliefert, besitzt zu Anfang und zum Ende ein und denselben Ausdruck. Der Charakter wirkt fast schon leblos, regelrecht gespenstisch und das liegt nicht alleine an den Fake-Haaren, den eisblauen Kontaktlinsen und der Masse an Make-Up.
Denn obwohl Black Mass auf einer wahren Begebenheit basiert, bewirkt dieses Manko des langweiligen Hauptcharakters einen theatralisch, künstlichen Effekt, den der Film in seiner kompletten Laufzeit nicht mehr verliert. Und da kann auch Joel Edgerton letztendlich nicht mehr überzeugen. Während er die Entwicklung seines Charakters buchstäblich meistert, wirkt jeder Auftritt wie eine offensichtlich gespielte Rolle. Es entsteht keine Verbundenheit, kein Tiefgang. Einzig Peter Sarsgaard und Dakota Johnson können in ihren Rollen aufleben, erhalten jedoch nur geringe Leinwandzeit. Benedict Cumberbatch als Whiteys Bruder, Senator und einem der mächtigsten Männer Bostons, macht seine Rolle nicht unbedingt schlecht, kann aber seinen britischen Ursprung nicht immer verstecken und sticht so zwischen all den irischen „Southi“-Akzenten störend hervor.
Die Legende von „Whitey“ Bulger wurde mit Black Mass nicht zum ersten Mal erzählt. Bereits Jack Nicholson Charakter Frank Costello in Departed – Unter Feinden (2006) beruhte lose auf Bulger und besonders die Dokumentation Whitey: United States of America v. James J. Bulger (2014) erzählte seine Taten ausführlich. Die Drehbuchautoren Mark Mallouk und Jez Butterworth ließen sich davon offensichtlich beeinflussen und wollten die Handlung nun aus Sicht des FBI erzählen. Aufgezeichnete Geständnisse der Mittäter und Erzählungen der beteiligten Agenten, was als nette Idee anfängt wird jedoch zu schnell wieder über Bord geworfen und keine zwei Szenen später steht „Whitey“ wieder im Mittelpunkt und erzählt seine ganz eigene Version der Geschehnisse. Charaktere tauchen auf und verschwinden wieder genau so schnell wie sie erschienen waren, die Gewalt wirkt monoton und überflüssig. Und während Regisseur Scott Cooper sich stark an Martin Scorsese Filmen orientiert und ihm sogar einige stilistisch gute Momente gelingen, fehlt ihm jegliches Händchen für den notwendigen Spannungsbogen. Es fehlt einfach jeglicher Clinch zwischen der Mafia und dem FBI. Der Film endet so unspektakulär wie er begonnen hat. Auch verpasst es Cooper, die Ironie der Verurteilungen näher zu beleuchten und lässt den Film standardmäßig mit Texteinblendungen ausklingen.
Was sich auf dem Papier wie ein großartiger Gangster-Film anhört ist letztendlich nur eine leblose Hülle verschenkter Möglichkeiten. Da kann auch ein von großen Namen gespickter Cast nicht mehr retten, was am Drehbuch verloren ging. Wer wirklich wissen will warum James „Whitey“ Bulger in den USA als Legende betitelt wird sollte sich besser gleich die Dokumentation anschauen. Und wer einen anständigen Gangster-Film sehen will, der pickt sich einen der genannten Filme aus dem ersten Absatz raus.
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