Der südkoreanische Regisseur Bong Joon-ho konnte sich 2020 in die Geschichtsbücher eintragen: Sein Spielfilm Parasite wurde als erster nicht-englischsprachiger Film bei den The Academy Awards mit dem Oscar in der Kategorie Bester Film bedacht. Darüber hinaus gewann der Filmschaffende unter anderem ebenfalls den Preis als Bester Regisseur.
Doch warum fasziniert die Gesellschaftssatire über Arm und Reich weltweit das Publikum und lässt Kritiker wie Zuschauer gleichermaßen aufjubeln?
Familie Kim ist ganz unten angekommen; und zwar im wahrsten Sinne des Wortes! Vater, Mutter, Sohn und Tochter hausen in einem grünlich-schummrigen Keller, kriechen für kostenloses W-LAN in jeden Winkel und falten für ein wenig Kleingeld Pizzakartons zusammen.
Doch als ein Schulfreund des Sohnes Ki-woo diesem eine Anstellung als Nachhilfelehrer in der todschicken Villa der Familie Park anbietet, scheint sich das Leben der Familie schlagartig zu verändern. Kurzerhand fälscht Schwester Ki-jung ein paar Dokumente und schon ist Ki-woo eingestellt.
Mit findigen Tricksereien, bemerkenswertem Talent und großem Mannschaftsgeist gelingt es Familie Kim die bisherigen Bediensteten der Familie Park nach und nach loszuwerden und selber die offenen Posten zu besetzen. Ki-jung unterrichtet fortan den Sohn der Parks in Kunst, Vater Kim Ki-taek wird als Fahrer engagiert und Mutter Chung-sook übernimmt die Aufgaben der früherer Haushälterin. Im Nu sind die Kims unverzichtbar für ihre neuen Herrschaften und in der Welt der Schönen und Reichen angekommen.
Doch dann löst ein unerwarteter Zwischenfall eine Kette von Ereignissen aus, die so unvorhersehbar wie unfassbar sind.
Als Parasit wird ein Lebewesen bezeichnet, das sich durch einen anderen Organismus am Leben hält. Schnell wird in dem neuesten Werk von Regisseur Bong Joon-ho (Snowpiercer) klar, wer der Verdiener und wer der Schmarotzer ist. Doch diese simple Handlung ist lediglich die Spitze des Eisbergs einer vielfältigen und komplexen Geschichte, die sich über 132 Minuten entfaltet.
Unter dem gesellschaftlichen Thema der Schere zwischen Arm und Reich, die in unserer Zeit unentwegt größer wird, vereint Bong Joon-ho in seinem neuesten Werk gekonnt mehrere Genres, die zusammen nicht weniger als ein Meisterwerk ergeben. Hier gilt eine bekannte Regel: Umso weniger man vorab über Parasite, dem Gewinner der Goldenen Palme in Cannes 2019 als erster südkoreanischer Film, weiß, umso erstaunlicher und spannender gestaltet sich die Sichtung. Ein Allerlei zwischen Satire, Psychothriller, Drama und weiteren Klassifizierungen.
Diese neue Welt, der Wirt, in dem sich die Familie Kim eingenistet hat, bleibt ihr jedoch immer fremd. In großartiger Weise legt Bong diese unsichtbare Deplacierung offen: Nicht die Kleidung, das Verhalten oder gar fehlende Bildung werden zum Risikofaktor einer Enttarnung, sondern ihr Geruch. Armut lässt sich am Geruch erkennen. Da hilft auch die Verwendung anderer Seife nicht, denn dieser unverkennbare Geruch, der Geruch des Abnormalen in einer in sich isolierten, höher gestellten Schicht, entspricht einer Grenzüberschreitung, welcher durch die gut riechenden Reichen buchstäblich gewittert wird.
Über die gesamte Laufzeit schafft es der Okja-Regisseur einen mitreißenden Fluss zu kreieren, der immer schneller fließt und niemals stoppt. Mit fesselnden Bildern, passenden Humoreinlagen und packendem Nervenkitzel lässt der Spielfilm nahezu keine Wünsche bei seinem Zuschauer offen.
Bongs Filme rechnen seit jeher, in seiner ganz eigenen, satirischen Art, mit dem hilflosen Versuch des Erlangens einer Strategie für eine planbare Zukunft ab. Barking Dogs Never Bite (2000), sein Langfilmdebüt, lässt einen arbeitslosen Professor bei der Bemühung sich eines kläffenden Köters zu entledigen scheitern, gerade weil dieser glaubt einen Plan zu verfolgen.
Und auch in dem Thriller Memories of Murder (2003), Bongs erstem großen internationalen Erfolg, versagen zwei Polizisten mit ihrem Unterfangen einen Serienkiller zu schnappen, indem sie ihm immer und immer wieder die perfekte Falle zu stellen versuchen. So ist es nicht verwunderlich, dass in Parasite der Vater zu der bitteren Erkenntnis gelangt, dass der einzige zielführende Plan im Leben der sei, keinen zu haben.
Zu den grandiosen Szenen gesellt sich ebenfalls ein erstklassiger Soundtrack, der vom Komponisten Jeong Jae-il, mit dem Bong bereits in der Vergangenheit zusammengearbeitet hatte, aufgenommen wurde. Gerade in den angespannten Momenten kommt dieser bestens zur Geltung.
Auch ein großes Lob gilt dem gesamten Cast der Familie Kim: Song Kang-ho (Durst), Jang Hye-jin, Choi Woo-shik (Okja) und Park So-dam liefern eine ebenso überzeugende wie ereignisreiche Darstellung ab, bei der jede Figur sich glaubhaft und interessant entwickelt. Aber auch die Darsteller der reichen Familie Park können ausgezeichnet mithalten.
Bong Joon-ho schafft es mit seinem Werk Parasite unserer weltweiten Leistungsgesellschaft, in der Erfolg und Vermögen alles sind, den Spiegel vorzuhalten und die Schattenseiten ins Licht zu rücken. Ein wahres Stück Kunst, das ebenso erfrischend wie aufrüttelnd ist in der heutigen Filmwelt.
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