Oft werden Familiengeheimnisse mit ins Grab genommen. Doch was passiert, wenn diese am Sterbebett plötzlich offengelegt werden?
Die Transzendierung der Männlichkeit befreit meine Seele
Die deutsche Regisseurin Uli Decker musste genau dieses Erlebnis durchleben und hat mit ihrem Dokumentarfilm Anima – Die Kleider meines Vaters nun versucht ein Stückchen Familiengeschichte aufzuarbeiten.
Als Kind wollte die kleine Uli Pirat, Indianerhäuptling oder Papst werden. Denn Männer scheinen das deutlich abenteuerlichere Leben zu haben und können sagen, wo es langgeht.
An Karneval wurde stets ein Kostüm mit Bart gewählt und in der Jugend wurde bei den Theateraufführungen meist eine männliche Rolle gespielt. Mit ihrer hartnäckigen Weigerung, sich den gängigen Rollenstereotypen zu unterwerfen, wurde Uli sogar in ihrer eigenen Familie über die Zeit zur Außenseiterin.
Eine wahre Geschichte über Familiengeheimnisse
War sie stets alleine mit ihren Gedanken und Gefühlen, sollte sich all dies am Totenbett ihres Vaters ändern. Ihre Mutter offenbart Uli und ihrer Schwester, dass der Vater sich seit seiner Kindheit immer wieder Frauenkleider angezogen hat.
Ulis Erbe: hochhackige Schuhe, künstliche Fingernägel, Schminke, eine Echthaarperücke. Und die Tagebücher ihres Vaters, in denen dieser offen über seine Gefühle und seine geheime Leidenschaft im Schatten schreibt.
Als Folge dieser Erkenntnisse sieht Uli ihre eigene Familie, den Vater, sich selbst und die Gesellschaft, in der sie aufwuchs, mit neuen Augen.
Das Kinodebüt von Uli Decker ist ein wirklich ehrliches und offenes Familienportrait. Zwei Menschen haben ein Leben lang innerhalb einer Familie mit ähnlichen Gedanken gerungen, aber nie darüber gesprochen. Anima – Die Kleider meines Vaters erzählt parallel über zwei Leben: Das von Vater Helmut und das von Uli.
Ein Geheimnis auf der Kinoleinwand
Als Außenstehender ist die Thematik des Films durchaus interessant, über die gesamte Spielzeit verläuft der Spannungsbogen aber recht flach. Ein bisschen konzeptlos wirkt an manchen Stellen das Zusammenspiel der Vergangenheit mit dem Blick auf die Gegenwart. Immer wieder erhalten wir als Zuschauer einen kleinen Einblick in die Gedankenwelt von Helmut Decker, ohne diesen aber greifen zu können.
Viel mehr versuchen wir zusammen mit der Regisseurin die Puzzleteile eines Lebens zusammenzulegen. Doch es fehlen an allen Ecken und Kanten wichtige Stücke.
Auf der technischen Ebene setzt sich Anima – Die Kleider meines Vaters aus einer Vielzahl von Archivbildern sowie Interviewsituationen mit Familienmitgliedern und Wegbegleitern zusammen. Unterbrochen wird dies immer wieder durch animierte Bilder in Form einer Collagetechnik. Diese repräsentieren das Innenleben der Filmschaffenden auf unterhaltsame Art und Weise, wollen aber vom Stil her nicht zum restlichen Gesamtwerk passen.
Die selbe Sehnsucht in einer Familie
Anima – Die Kleider meines Vaters ist ein grundehrlicher Dokumentarfilm über die gravierenden Auswirkungen des Ungesagten. Uli Decker verarbeitet in 90 Minuten ihre Kindheit und erlaubt dem Zuschauer einen Einblick in ihre wahrlich ungewöhnliche Familiengeschichte.
Und auch wenn der Film ein wichtiger Beitrag zur Genderdebatte ist, funktioniert er als Medium Film nur bedingt.
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