Den Traum vieler hübscher Mädchen, als Model Karriere zu machen, kann der dänische Regisseur Nicolas Winding Refn mit seinem neuesten Werk The Neon Demon so richtig vermiesen: Allein und mit großen Träumen im Gepäck zieht die bildhübsche 16-Jährige Jesse (Elle Fanning) nach Los Angeles, um Model zu werden. Als sie bei Agenturchefin Jan (Christina Hendricks) vorspricht, wird ihr enormes Potenzial schnell erkannt.

Der bodenständige Fotograf Dean (Karl Glusman) versucht unterdessen, Jesse vor der Gnadenlosigkeit und Geltungssucht der Modeszene zu beschützen. Doch auch der zwielichtige Motel-Chef Hank (Keanu Reeves) hat das Mädchen auf dem Kieker und bedrängt sie, nachdem sie ihm Ärger eingebrockt hat. Doch Jesses Aufstieg in der Branche ist unaufhaltsam, denn sie besitzt das gewisse Etwas.
Nachdem Nicolas Winding Refns einen Sensationserfolg mit seinem Thriller-Drama Drive (2011) feierte, scheint er nur noch Filme machen zu wollen, die ein unangenehmes Gefühl in der Magengegend hinterlassen. Sein brutaler Rache-Thriller Only God Forgives (2013), dessen Handlung aus einer hohlen Welle der Gewalt bestand, ließ zahlreiche Zuschauer und Refn-Fans mit Bauchweh und noch mehr Fragezeichen zurück.

Die Anfangssequenz zeigt Model-Newcomerin Jesse bei einem Fotoshooting – elfenhaft liegt sie auf einem Designer-Sofa, bunte Glitzersteinchen bedecken ihr blasses Gesicht, Blut tropft von ihrem Handgelenk, die Kehle ist aufgeschnitten. Ein Bild, das den Beginn und gleichzeitig das grausame Ende ihrer Modelkarriere einleitet. Rein optisch überließen die Macher von The Neon Demon nichts dem Zufall. Bildkomposition, Belichtung und Maske der Darsteller sind bis ins letzte Detail durchgeplant, Kulissen und Kostüme visuell perfekt aufeinander abgestimmt. Wenn Jesse einen Raum betritt, verschwimmt alles um sie herum zu einem endlosen weißen Nichts. Laufsteg und Publikum werden zu einem leuchtenden Dreieck abstrahiert, das ausreicht, um die innere Wandlung der Protagonistin nachzuvollziehen. Der abstrakten und durchgestylten Bildsprache fügt der hauseigene DJ Cliff Martinez, der schon für Drive und Only God Forgives komponierte, einen hypnotischen dröhnenden Soundtrack hinzu, der den Höhepunkt bedrohlich einleitet und langsam herbeiführt.

Visuelle Perfektion hin oder her – für eine massive Kritik an amerikanischen Schönheitsidealen und Modewahnsinn ist die Handlung von The Neon Demon schlicht und einfach zu dünn. Doch ein Regisseur wie Refn, der seine Werke unter den Kürzel NWR promotet, verfolgt mit allem was er tut ein Ziel. Man erhält den Eindruck, er wolle auf Teufel komm raus provozieren und sein Publikum spalten. Statt seinen Darstellern in den ersten zwei Filmdritteln Tiefe, deren Dialogen mehr Gehalt oder den Ereignissen mehr Biss zu verleihen, zieht er Einstellungen von Mimik und Gestik seiner Charaktere lieber unnatürlich in die Länge. Da hilft auch kein Auftritt von Matrix-Ikone Keanu Reeves als mies gelaunter Motel-Manager. Seine Rolle ist ebenso austauschbar wie die Figur des Love-Stars Karl Glusman als Fotografen-Neuling Dean.

Nicolas Winding Refn präsentiert mit The Neon Demon eine schillernd strahlende Oberfläche, die ihre äußere Fassade lange aufrecht erhält, unter der es jedoch dreckig, brutal und abartig zugeht. Die Gier nach ewiger Jugend und Perfektion scheint keine Grenzen zu kennen und frisst am Ende einfach alles auf. Für die einen wird The Neon Demon als Kunst durchgehen, für andere als Trash oder bloßer Versuch der Provokation. Viele wird er mit der unlösbaren Frage beschäftigen, ob die Intention des Regisseurs richtig verstanden wurde. Doch diese ist nach meiner Meinung irgendwo zwischen Glitzerdeko und Blutbad untergegangen.
Regie: Nicolas Winding Refn
Drehbuch: Nicolas Winding Refn, Mary Laws, Polly Stenham
Musik: Cliff Martinez
Darsteller: Elle Fanning, Jena Malone, Bella Heathcote, Abbey Lee, Karl Glusman, Keanu Reeves, Christina Hendricks, Desmond Harrington


