Watchmen – Die Wächter (2009) | Filmkritik

Watchmen – Die Wächter

Auf der Leinwand ist ein einsamer Mann in seiner Penthouse-Wohnung zu sehen. Alles grau in grau. Doch noch hat er ein hämisches Grinsen auf den Lippen. Das ist sein Markenzeichen. Vielleicht nannten ihn die Leute damals deswegen den Comedian (Jeffrey Dean Morgan), als Superhelden noch geduldet waren. Nun ist er in Zwangsrente geschickt worden. Nur noch ein paar Sekunden und von seinen glorreichen Zeiten wird bloß noch eine Leiche auf dem Bürgersteig übrig bleiben.

Mit einer solch düsteren Atmosphäre wie in dieser Szenerie beginnt Watchmen. Nach der Eröffnungsszene übernimmt ein anderer verschmähter Superheld namens Rorschach (Jackie Earle Haley) die Erzählung. Sein Tagebuch ist voll der ungeschminkten Wahrheit und soll sich die kommenden 162 Minuten Laufzeit stets wie ein blutroter Faden durch die Handlung ziehen. Vielleicht ist es daher am klügsten, ihm das Wort zu überlassen, damit er uns in seine Welt mitnehmen kann.

Rorschachs Tagebuch. 12. Oktober 1985:

New York. Eine ungemütliche Nacht in einer ungemütlichen Stadt. Korrigiere. Wäre wohl zu weichlich sie als ungemütlich zu bezeichnen. Eher ein Vorhof zur Hölle, wenn man mich fragt. Ich höre diese Welt, wie sie mir zuruft: „Rette uns!“ Und ich flüstere immerzu: „Nein!“

© Paramount Pictures

Denn wo das Auge hinsieht: Unzucht, Pädophilie, Korruption, Heuchelei und Tobsucht. Bei manchen herrscht eine Mordslaune, eine, die dem Comedian heute zum Verhängnis wurde. Ihn warf jemand aus seiner eigenen Wohnung. Autsch. Blut überall auf dem Gehsteig. Fällt Maden im Dreck kaum auf. Mir aber schon. Comedian war schließlich früher ein Kollege von mir. Machten zusammen als maskierte Helden Jagd auf all den Abschaum der Welt. Ist lange her, seitdem das verboten wurde. Zu lange.

Doch die Erinnerungen daran kommen zurück. War ein besseres Leben, als dieser verdammte Nixon sich noch nicht zum fünften Mal Mr. President riefen ließ. Ein besseres Leben, als der nukleare Holocaust noch nicht an die Tür klopfte. Gottverdammt. Als es uns Watchmen noch gab, gefiel mir das Ganze besser. Verfluchte Welt. Kalter Krieg. Atombombenstimmung.

Comedian würde nur lachen, glaube ich. Sagen, alles um uns herum wäre bloß ein Witz. Pointe. Irres Lachen. Tusch. Jetzt gibt’s aber nichts mehr zu lachen. Ist tot der ausrangierte Superheld.

Könnte Verschwörung sein. Wer einen von uns angreift, greift uns alle an. Muss die Truppe warnen. Einen nach dem anderen. Nite Owl, Silk Spectre, Dr. Manhattan, Ozymandias. Erzwungener Ruhestand der Watchmen muss aufhören. Jeder könnte der nächste auf der Liste sein. Irgendein Irrer hat uns im Visier. Kommt für mich nicht infrage das zu akzeptieren. Keine Kompromisse. Niemals.

© Paramount Pictures

Wenn Rorschach sie ausspricht, wirken jene schmutzig-finsteren Noir-Töne im Film beinahe wie ein Fluch, der eine Alternativversion unserer Vergangenheit in Watchmen im Klammergriff hält.

Nur leider scheint ein solcher Fluch seitdem auch für manche auf dem Film selbst zu liegen. Es ist unter Comic-Liebhabern allgemein bekannt, dass Szene-Genie Alan Moore die Adaptionen seiner Werke nicht schätzt. Als die Filmidee für sein Jahrhundertwerk Watchmen erst durch verschiedene Hände ging – z.B. durch die eines Paul Greengrass (Bourne II & III, Captain Phillips) und eines Terry Gilliam (Brazil, 12 Monkeys) – und schließlich bei Zack Snyder landete, folgte ihm der Großteil der angloamerikanischen Kritikerriege. Sie mochten die Adaption nicht. Sie ächteten sie sogar. Der Film warf damals kaum einen nennenswerten Gewinn ab.

Denn wie schon bei Snyders Version des Graphic Novels 300 wurde abermals der Vorwurf laut, der Regisseur verstünde sich lediglich auf berauschende Bilder und habe kein Händchen für die Kunst, ja manche meinten sogar, kein Interesse an einer cleveren Story. Jüngst erklangen dieselben Echos wieder, nachdem viele Cineasten Batman v Superman: Dawn of Justice, ebenfalls von Snyder inszeniert, als misslungen erachteten.

© Paramount Pictures

Der britische Journalist Mark Kermode sagte nach dem Erscheinen von Watchmen im Jahre 2009, Snyder adaptiere stets Stoffe, die er liebe, doch das reiche eben nicht aus, um einen funktionierenden Film zu kreieren. Kermode würde mehr erwarten, als nur ein: „Hey, schau mal, das ist Watchmen. Ist echt ziemlich cool, oder?“

Das führt uns zur zentralen Frage: Funktioniert das Ausgangsmaterial als Film? Daran, dass Watchmen als Graphic-Novel funktioniert, besteht natürlich kein Zweifel. Schließlich gehört es nicht umsonst als einziges Comic-Werk zur Top-100-Liste des Time-Magazines, wenn es um englischsprachige Literatur geht. Seit dem Erscheinen 1986/87 wird es zudem als Meilenstein der DC-Szene gefeiert.

Ob Watchmen nun als bloßer Film die Zuschauer mitnimmt, scheint auf den ersten Blick nicht einfach zu beantworten. Zunächst einmal ist die Reise durch die düstere Superhelden-Dystopie eine lange. Jedoch nicht automatisch eine langwierige. Die beinahe 90-minütige Einführung in die Welt und ihre Charaktere sorgt zwar dafür, dass die interessante Detektiv-Story im Hintergrund gen Ende etwas überhastet wirkt, jedoch hat dieser Schachzug auf der anderen Seite zur Folge, dass eine Charaktertiefe und Ambivalenz unserer Antihelden erreicht wird, wie es gerade Superheldenfilme zumeist vermissen lassen. Einen klassischen Spannungsbogen darf man also nicht erwarten, doch Langeweile ist bei Watchmen ebenso fehl am Platz. Zack Snyder beweist nämlich gleich in einer Handvoll Sequenzen, dass er zu den besten Actionregisseuren der Gegenwart zählt. Kaum ein zweiter versteht sich so gut auf rasante Unterhaltung.

Die Bildgewalt von Watchmen ist dadurch enorm. Das liegt natürlich auch daran, dass Snyder seine gesamte Filmcrew mit dem original Graphic Novel ans Set schickte und so beinahe 90 Prozent der Szenen auf tatsächlichen Panels der Vorlage beruhen. Daneben kreierte Snyder jedoch auch ganz eigene comichafte Momente. Neben nuancierten Suspense-Einstellungen, wie Molochs (Matt Frewer) bis auf den Filter abgebrannte Zigarette, oder Rorschachs Abrechnung mit seinem Rivalen Big Figure, der immer wieder durch eine schwingende Toilettentür zu sehen ist, bis diese schließlich stillsteht, bleibt natürlich die Opening-Credits-Szene unvergessen.

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Hier zeigt Snyder, dass er begreift wie ein Graphic Novel funktioniert und präsentiert uns eine kostbare Hommage an ebenjenen Stil, den er mit seiner ganz eigenen Komposition verbindet. Während eines Bob Dylan Songs werden die gesamte Vorgeschichte der Watchmen und ein weltpolitischer Abriss der alternativen Realität so eindringlich auf die Leinwand gebannt, wie es besser nicht vorstellbar ist. Von dort aus entwickeln sich die einzelnen Figuren systematisch, was darin mündet, dass sich für jeden von ihnen ein tiefes Verständnis einstellt. Sogar für ihre Schattenseiten. Der Film verschweigt den Superhelden-Blues nämlich nicht, oder behandelt ihn nur klischeehaft am Rande, sondern nimmt ihn sich als eigenes Thema vor. Dabei lauten die immer präsenten Fragen: Wie würde eine Welt, in der Superhelden-Selbstjustiz an der Tagesordnung steht, wirklich aussehen? Wer wacht über die Wächter? Und was würde das alles mit den Menschen hinter den Masken anstellen?

Als Antwort darauf entsteht einer der faszinierendsten Charaktere der ganzen Erzählung: der manische Vigilant Rorschach. Er ist eine der kongenialen Schöpfungen der Literatur- und nun, dank Snyder, auch Filmhistorie. Ein perfekter Antiheld, der von jedermann geächtet wird, doch eigentlich auf der moralisch richtigen Seite steht. Seine gewalttätigen Mittel und sein kompromissloser Hass gegen das Verbrechen ist im tieferen Sinne ein Hass, der sich gegen Gewalt und Lüge schlechthin richtet. Die wahnsinnige Welt, die Rorschach von jeder Straßenecke anblickt, wirkt auf ihn wie ein Spiegel. So machte ihn der Wahnsinn der Menschheit irgendwann selbst irre.

Auch die anderen Charaktere stehen Rorschach in ihrer intelligenten und interessanten Aufbereitung in nichts nach. Neben Nite Owl (Patrick Wilson), der sich ohne sein Kostüm impotent fühlt und der verzogenen Amazone Silk Spectre (Malin Akerman), sind vor allem Ozymandias (Matthew Goode) und Dr. Manhattan (Billy Crudup) äußerst spannende Antihelden. Allesamt treten sie als Individuen auf, die sich in ihre Alter Egos flüchten. Das Damoklesschwert des Kalten Krieges entstellt sich psychologisch so sehr, dass sie sich nur noch unter einer Maske, als Puppen, wirklich echt fühlen.

Figurentechnisch entpuppt sich Watchmen also als vielschichtiges Werk, wohingegen Snyder bei den politischen Themen wichtige Zwischentöne fehlen. Er musste gezwungenermaßen manche bedeutsame Wendungen der Vorlage auslassen, da sie sich eben lediglich im Medium Comic vollkommen reibungslos realisieren lassen. Auf der anderen Seite ist Snyder leider nicht in der Lage diese auf filmische Weise neu zu interpretieren. Man könnte also zum Schluss gelangen, dass er dem Zuschauer lediglich eine Diätversion des Graphic Novels bietet, das gerade die essentiellen Momente verliert.

© Paramount Pictures

Dann missachtet man allerdings, dass auch der Film Watchmen nichtsdestotrotz ein Werk geblieben ist, das tief schürft, zum Nach- und Weiterdenken anregt und gerade deswegen auch beim zweiten und dritten Mal noch funktioniert. Die amerikanische Kritikerlegende Roger Ebert sagte einmal, der Film wolle sogar, dass man ihn mehrmals schaue, um Stück für Stück mehr versteckte Details zu entdecken und immer wieder den großen Themen darin zu begegnen.

Eben deswegen sollte Snyders Adaption ein zeitloses Werk bleiben, genau wie seine Vorlage. Der audiovisuelle Stil des Films ist ohnehin meisterhaft. Daran dürfte selbst der hartgesottenste Kritiker keine Zweifel hegen.

Das Graphic Novel funktioniert und ist immer eine Empfehlung wert. Das hatten wir bereits zu Beginn festgestellt. Doch auch der Film funktioniert. Spätestens dann, wenn man ihn auf sich wirken lässt und sich ein zweites Mal oder drittes Mal zu Gemüte führt.

Dennoch ist Watchmen nicht auf ganzer Linie massentauglich. Allerdings gehört genau das zu den Errungenschaften des Films. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass in Zack Snyders Version das Beste von Arthouse-Kino und Massenunterhaltung zusammenkommt. Hier werden eine höchst originelle Story und ausdifferenzierte Charaktere mit bildgewaltigem Pathos und virtuoser Actioninszenierung kombiniert. Für mich steht der Film damit in einer Linie mit Christopher Nolans The Dark Knight-Trilogie.

Gerade in der heutigen Zeit, in der die Kinolandschaft von Superhelden-Einheitsbrei überbevölkert ist, gewinnt Watchmen als Genrefilm mit starkem Neonoir-Einschlag an Relevanz wie nie zuvor.

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