Die Leinwand ist dunkel. Nur die wenigen Lettern des Vorspanns durchsetzen die Schwärze. Sie sind weiß. Genau wie jenes Pulver, das Protagonist Steven Stelfox (Nicholas Hoult) gerade schnupft. Das Naseziehen ist bereits zu hören, ehe der Zuschauer den ersten Blick auf ihn erhaschen kann. Und wenn das erste Bild dann erscheint, ein Paar protziger koksbestäubter Lederschuhe mit Goldlasche, ist klar, wohin die Reise für die nächsten 105 Minuten gehen soll. In die Welt der Plattenverträge, die nur einem Motto folgt: „Sex, Drugs & Rock’n Roll“. Jedoch dauert es nicht lange, bis man noch ein weiteres Mantra der Branche kennenlernt: „Geld! Geld! Geld!“
Damals, Ende der 90er Jahre, war in London mit Platten schließlich noch viel zu holen. Auf dem Weg zu goldenem Ruhm nimmt Steven dafür so gut wie jede Schandtat auf sich. Er kauft nicht nur den geschmacklosen Elektrohit „Why don’t you suck my dick?“ vom deutschen Machopaket Rudi (Moritz Bleibtreu), sondern nimmt auch noch die vollkommen talentfreie Vorstadt-Girl-Group Songbirds unter Vertrag. Denn er würde alles tun, um in seiner Abteilung aufzusteigen. Er will endlich, dass über seinem Büro das stolze Signum „Head of A & R“ (Artist and Repertoire) prangt. In dem Minenfeld aus Top oder Flop tritt Steven ein ums andere Mal daneben. Um sein Chaos zu beheben, sieht er nur einen teuflischen Ausweg. Jeder weiß ja: Extreme Bedingungen erfordern extreme Maßnahmen.
Das was Nightcrawler 2014 für die Welt des Journalismus war, ist Kill Your Friends nun also für die Musikbranche: Eine unbarmherzige Abrechnung mit dem kapitalistischen System dahinter. Hierfür adaptierte John Niven seinen eigenen Roman und formte ihn zu einem Drehbuch um, das in keiner Minute ein Blatt vor den Mund nimmt. Er selbst hatte das schmutzige Geschäft bereits in seinen 20ern kennengelernt und brachte dieses Portrait seiner Vergangenheit erst zu Papier und nun zusammen mit Regisseur Owen Harris schließlich auf die große Leinwand.
Bereits nach zehn Minuten fühlt sich der fleißige Kinogänger an den jüngsten Marvel-Kassenschlager Deadpool erinnert, denn auch in Kill Your Friends durchbricht der Protagonist die vierte Wand und wendet sich immerzu direkt an den Zuschauer. Steven Stelfox ist dabei definitiv kompromissloser als sein Superheldenkollege im Latexanzug, denn er passt in kein klassisches Schema. Er ist noch nicht mal ein Antiheld, denn jedes Heldenhafte ist im über die Zeit verloren gegangen, oder er hat es nie besessen.
Zudem wird nie ganz klar, ob Steven selbst einmal wie sein naiver Scout Darren (Craig Roberts) Leidenschaft für seine Arbeit empfand. Liebte er einst die Musik, oder war es immer schon das große Geld, was ihn lockte? War er schon immer der Misanthrop, als der er auftritt, oder steckt dahinter eine langsame Verwandlung, die sich dem Auge vor der Leinwand entzieht?
Gerade weil diese Fragen in der Schwebe bleiben und bedingungslos auf den Zuschauer zurückgeworfen werden, sollte man von Kill Your Friends kein Werk mit „Moral von der Geschicht“ erwarten, denn dann wird man bitter enttäuscht. Schon wie Nightcrawler oder auch The Wolf of Wallstreet erzählt dieses Drama über das Plattengeschäft die Geschichte eines Klüngels, der keine Grenzen mehr kennt, wenn es um die eigenen Triebe geht. Die Mechanismen dahinter, oder ein tiefgreifendes psychologisches Portrait kommen dabei jedoch nicht herum. Das will No-Name-Regisseur Owen Harris damit wohl auch nicht zeigen. Vielmehr möchte er dem Zuschauer einen Gedankenanstoß versetzen, der ihn auch nach dem Filmerlebnis beschäftigt.
Hierbei bewegt sich das gesamte Konstrukt gewiss auf einem schmalen Grat, denn da man sich zu keiner Zeit mit einem der Hauptcharaktere identifizieren kann, ist man schnell dabei, die Branche und den Werteverfall dahinter zu dämonisieren, ohne mit unbequemen Fragen vor dem eigenen Spiegel zu stehen. Fragen danach, wo solche Zwänge und Lieblosigkeiten bereits in Alltag beginnen, gehen unter. Wenn Kill Your Friends also kathartisch sein wollte, dann ist ihm das auf jeden Fall misslungen.
Wo Werke wie The Wolf of Wallstreeet wenig Tiefschürfendes erzählten, obwohl die lange Laufzeit das Gegenteil vermuten ließ, entscheidet sich Owen Harris bei seinem Werk für den richtigen Weg. Kill Your Friends ist ein kurzweiliges Schlaglicht, das Tempo, Unterhaltungsfaktor und Selbstzweck gerecht wird.
Nicht nur Nicholas Hoult, der bereits letztes Jahr in Mad Max: Fury Road bewies, dass er auf dem Weg zu einem vielversprechenden Charakterkopf ist, sondern vor allem Georgia King machen den Film mit ihren Leistungen sehenswert. Kings Figur Rebecca, die es satt hat, nur das Püppchen im Vorzimmer zu sein, spielt ihre durchtriebene Ader mit überraschender Eindrücklichkeit. Damit wird sie leider zeitweilig interessanter als der Protagonist Steven, was vor allem an seiner Eindimensionalität liegt.Owen Harris hat mit diesem typisch britisch-blutigem Thriller-Drama sicher eine solide Arbeit abgeliefert, allerdings fehlt es dem Film am gewissen Etwas. Die Dialoge sind peppig und voller schwarzem Humor, aber erzeugen ab einem bestimmten Punkt keine besondere Regung mehr beim Zuschauer, da sie bereits von Beginn an das Geschehen bestimmen. Wenn schon ein Held wie Steven, der praktisch keinen Anker mitbringt, die gesamte Laufzeit über tief böse bleibt, dann vermisse ich auf der anderen Seite filmische Aha-Momente. Nightcrawler funktionierte beispielsweise mit einer ähnlichen Figur, aber bot stets Einstellungen zum Staunen und wurde dadurch zu einem weitaus intensiveren Ereignis.
Was bei einem Werk über die Musikbranche außerdem sauer aufstößt ist die Verwendung von Musik. Hiervon hätte ich mir wesentlich mehr Effekt erhofft. Stattdessen begegnet einem ein Sampler-Soundtrack wie jeder andere. Natürlich wartet er mit coolen Bands wie Oasis auf, aber mit wenig Mehrwert für den Puls der Erzählung.
Letzten Endes ist Kill Your Friends ein Streifen geworden, der auf interessante Weise zeigt, dass alle Menschen korrumpierbar sind. So mancher zunächst sympathischer Charakter verdeutlicht, wie Werte verloren gehen, wenn sie dauerhaft ein Umfeld umgibt, das keine Werte mehr kennt. Dennoch bleibt ein eindringliches Filmerlebnis auf der Strecke. Viele gute Ansätze wie Kapitalismuskritik, kompromisslose Erzählstruktur und reißerische Dialoge liegen zwar im Raum verteilt, aber irgendetwas fehlt, um das Puzzle zusammenzusetzen und den Zuschauer wirklich mit hereinzunehmen.
Vielleicht ist es eine Frage, die im Film immer wiederkehrt, und ihre Antwort, die darüber hinaus zum Nachdenken anregen:
„Was ist der Sinn des Lebens, Steven Stelfox?“
„Feinde vor sich hertreiben und lauschen, wie ihre Weiber jammern.“
Regie: Owen Harris
Drehbuch: John Niven
Musik: Junkie XL
Darsteller: Nicholas Hoult, James Corden, Georgia King, Craig Roberts, Jim Piddock, Joseph Mawle, Ed Skrein, Tom Riley, Ed Hogg, Rosanna Arquette, Moritz Bleibtreu
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