Wer würde eine unverhoffte Abkürzung auf dem Weg zu seinem Ziel wohl nicht nehmen? Wer würde der sprichwörtlichen Fee mit drei Wünschen wohl den Rücken kehren? Genau. Niemand!
Mit der Abkürzung ans Ziel?
Auch Diana Prince alias Wonder Woman (Gal Gadot) erlag dieser Versuchung schon als kleines Mädchen, als sie gegen die viel älteren Amazonen auf der Insel Themiskyra in einem olympischen Kräftemessen antrat. Obwohl sie den Wettstreit zur Überraschung aller lange anführte, rann ihr schließlich der Sieg wegen einer leichten Unachtsamkeit durch die Finger.
Kurzerhand nahm sie eine verbotene Abkürzung und führte das Feld der Athletinnen danach wieder an. Doch diese List blieb nicht unbemerkt und am Ende verlor sie das Spiel. Ihre Mentorin (Robin Wright) lehrte sie, dass nur die Wahrheit am Ende ehrenvoll siegt. Diana sollte allerdings nicht das letzte Mal in Versuchung geraten, eine Abkürzung zur Erfüllung ihrer Wünsche zu nehmen.
Inzwischen sind beinahe 70 Jahre vergangen, seitdem Wonder Woman den ersten Weltkrieg heldenhaft beendete und dabei ihren geliebten Piloten Steve Trevor (Chris Pine) verlor. Während sie tagsüber im Smithsonian Museum in Washington arbeitet und in ihren Pausen Menschen vor Unfällen und Kleinkriminellen rettet, trauert sie nachts immer noch still um ihre dahingeschiedene Liebe. Doch ganz plötzlich bietet sich ihr eine Abkürzung von diesem Leid in Form eines uralten Artefaktes, das angeblich Wünsche erfüllt.
Der Stein der Weisen
Sie glaubt nicht wirklich daran, aber spricht den Wunsch, Steve endlich wiederzusehen, dennoch aus, als sie den sagenumwobenen Stein in den Händen hält. Und tatsächlich kehrt ihr Freund von den Toten zurück. Auch die Wünsche ihrer Kollegin Barbara Minerva (Kristen Wigg), die den Stein untersucht, werden Wirklichkeit: sie entwickelt sich über Nacht vom unsicheren Mauerblümchen zur Femme fatale.
Nur wenig später bekommt auch ein dritter im Bunde seine Hände an den Stein und das beunruhigt Diana. Denn Maxwell Lord (Pedro Pascal), ein schillernder Fernsehpromi und Ölmagnat, der kurz vor dem Abgrund steht, wünscht sich so etwas Ähnliches, wie derjenige, der sich mit dem ersten Wunsch von einer Fee unendlich viele Wünsche wünscht: Lord wünscht sich zum Wunschstein selbst zu werden.
Dass so ein grenzenlos mächtiger Mann den gesamten Weltfrieden im Jahr 1984 – also mitten im kalten Krieg – gefährden kann, ahnt Diana sofort und setzt gemeinsam mit Steve alles daran, Maxwell Lord zu stoppen. Doch auf diesem Weg gibt es keine Abkürzungen.
Die Regisseurin Patty Jenkins (Monster, I am the Night) inszenierte mit dem ersten Teil Wonder Woman (2017) den vielleicht einzigen, wenn auch nicht perfekten, aber sehr wohl runden Film des DCEU (DC Extended Universe). Gerade die sehenswerten Actionsequenzen dieses Films gaben berechtigten Grund, sich auf das Sequel zu freuen. Außerdem versprach der in den Trailern angedeutete Retrolook der 80er-Jahre eine weniger ernste Version der sonst doch sehr ironiefreien Figur der Amazonenprinzessin Diana.
An Hässlichkeit kaum zu überbieten
Beide Erwartungen wurden jedoch auf ganzer Linie enttäuscht und daneben auch noch ein paar andere.
Abgesehen von dem audiovisuell überzeugenden Intro, wenn die junge Diana im olympischen Wettkampf antritt, wartet man mit ein paar Ausnahmen vergeblich auf gut inszenierte Action. Es gibt ohnehin für die überlangen zweieinhalb Stunden Laufzeit des Films viel zu wenig spannende Szenen. Nebenbei gehört das finale Kräftemessen zwischen Wonder Woman und der Raubkatzen-Superschurkin Cheetah zu den Tiefpunkten zeitgenössischer Computereffekte. Das ist an Hässlichkeit kaum zu überbieten und lässt selbst den Showdown aus Black Panther (2018) wie lupenreine Computerkunst erstrahlen.
Der 80er-Jahre-Vibe kommt nur an wenigen Stellen wirklich durch. Hier und da drückt er sich zumindest in der Wahl der Kleidung aus. Ansonsten könnte die Handlung genauso gut in den Jahrzehnten zuvor spielen. Die wenigen Witze aus den Trailern bleiben nahezu die einzigen im gesamten Film. Wider Erwarten fällt WW84 als spaßiger Popkornblockbuster somit in allen Belangen durch. Darüber hinaus hat das Werk – und das war zu erwarten – auch nichts an intelligenten Zwischentönen zu bieten.
Wonder Woman ist eine charismatische weibliche Actionfigur. Und das ist für sich genommen schon ein Etappenerfolg in Hinblick auf Geschlechtergleichberechtigung im Blockbusterkino. Aber Wonder Woman 1984 zeigt nun ganz deutlich, dass Diana weit entfernt davon entfernt ist, eine feministische Heldin zu sein.
Wonder Woman ist nicht mehr als eine Männerfantasie
Der Film will den Zuschauerinnen und Zuschauern weismachen, dass sie 70 Jahre lang wie eine Nonne auf der Welt lebte und noch nicht einmal Freunde fand. Stattdessen bleibt ein Mann ihr einziger Sehnsuchtsort im Leben, ein anderer kann „the one“ auch nach einem ganzen Menschenleben an Abstinenz nicht ersetzen. Als Diana Steve dann wiederbekommt und schließlich doch wieder gehenlassen muss, ist sie natürlich darüber tiefbestürzt. Das mag auf der rein romantischen Ebene Sinn ergeben, aber die Erzählstruktur des Filmes offenbart dann doch, wie problematisch das Frauenbild im Fall von Wonder Woman ist.
Unfreiwillig wird sie dadurch zur rückschrittlichen Männerfantasie. Sie ist nämlich eine Sex-Bombe, die kaum Kleider trägt, wenn sie ihre Kräfte ausübt aber fernab von alledem dann doch ihr Herz ganz an einen Mann verloren hat, sich für ihn rein hält und aufspart, um nur ihm zu gehören. Dass sie ihren Wunsch widerrufen und Steve wieder gehen lassen muss, um die Weltordnung nicht zu gefährden, ist natürlich nicht ihre Überzeugung, sondern sie seine.
Auch sonst trieft der Film vor Klischees. Das offenbart sich vor allem am Ende, wenn sich gleichzeitig nahezu alle Menschen auf dem Planeten etwas wünschen dürfen. Natürlich sehnen sich die ranghohen Politiker mehr Atomwaffen herbei.
Ein stereotypischer arabischer Guerillasoldat teilt diesen Wunsch. Eine Imbissbetreiberin wünscht sich doch ernsthaft, dass alle Iren aus den USA ausgewiesen würden und der mit ihr streitende Ire wünscht sich wörtlich, dass sie auf der Stelle tot umfällt. Für einen Moment werden tatsächlich alle diese Wünsche gewährt und die Welt droht unter dem Chaos der teilweise niederträchtigen Fantasien der Menschen zu zerbrechen.
„Die Wahrheit ist schön“
Doch dann bewegt Wonder Woman mit einer emotionalen Rede – so zeigt es der Film – jeden einzelnen Menschen auf der Welt gleichzeitig dazu, seinen Wunsch zu widerrufen. Dass sie dabei tatsächlich die Sätze „Die Welt war ein wunderschöner Ort so wie sie war“ und „Die Wahrheit ist schön“ sagt, lässt tief blicken. Diese ideologische Naivität kann eigentlich nur als eine realitätsfremde Fratze erscheinen.
Darüber hinaus ist es natürlich erzählerisch eine Katastrophe. Gerade eben haben Bilder von allen Enden der Welt offenbart, wie niederträchtig Menschen sein können und wie schlecht es anderen Hilflosen geht, die unter dieser Niedertracht leiden und dann lassen die Drehbuchschreiber (Patty Jenkins, Geoff Johns und David Callaham) Wonder Woman ernsthaft sagen: „Die Wahrheit ist schön.“ Nein! Nein! Nein! Gerade kam es beinahe zum nuklearen Holocaust. Die Wahrheit ist verdammt verstörend.
Häufig lässt der Film zudem jede narrative Geradlinigkeit vermissen. Das große Ganze wirkt deswegen im Finale vollkommen übertrieben und unglaubwürdig. Bestimmte Fähigkeiten der quasimagischen Objekte werden nicht eingeführt.
Wonder Womans Lasso der Wahrheit lässt in diesem Streifen zwar niemanden die Wahrheit sagen, dafür kann es aber plötzlich alles andere: Kugeln fangen, Visionen in die Vergangenheit oder Zukunft ermöglichen oder die Trägerin fliegen lassen wie Superman. Wenn es die Handlung einfacher macht, dann kann Wonder Woman schon einmal statt einer Kaffeetasse – wie im vorherigen Film – nun gleich ein ganzes Flugzeug für eine 10-stündige Reise unsichtbar machen.
Ein Rückschritt in jeder Hinsicht
Unsere Heldin und der Antagonist teilen nur eine kurze Szene zu Beginn miteinander, wo noch niemandem von den beiden klar ist, mit wem sie es beim jeweils anderen zu tun haben. Danach kommt es noch zu zwei Aufeinandertreffen – eins davon ist der Klimax des Films – und plötzlich scheinen die beiden sich gut zu kennen.
Das Drehbuch strotzt nur so vor kitschigen Sprüchen. Wonder Woman sagt allen Ernstes Wort für Wort den Satz: „Ich werde nie wieder lieben können.“
Diese Liste an Mängeln ließe sich leider noch fortführen. Die erste Fortsetzung der Wonder-Woman-Reihe ist damit ein Rückschritt in jeglicher Hinsicht. Die Action wirkt gegenüber dem Vorgängerfilm blass und einfallslos. Die Dialoge sind hölzern. Und die Geschichte ist so überladen und lückenhaft in ihrer Binnenlogik, dass sie einen emotional fast vollständig kaltlässt. Nicht einmal die Animationen wissen zu überzeugen.
Wonder Woman sollte in diesem Film lernen, dass verbotene Abkürzungen ihren Preis kosten und sich am Ende nicht lohnen. Es wäre zu wünschen gewesen, dass auch die Drehbuchautorinnen und -autoren bei ihrer Arbeit diese Lektion beherzigt und keine faule Abkürzung genommen hätten.
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