Die erste Nacht in einem neuen Heim ist zweifellos eine besondere. In ihr steckt der aufregende Funke des Neuanfangs und doch haftet ihr auch etwas Schauriges an. Viele Möbel sind noch nicht aufgebaut, nicht in jedem Raum hängt schon eine funktionierende Lampe. Das gemütliche Bett muss vielleicht erst noch geliefert werden.
The Scary of Sixty-First auf der Berlinale
Da kann der Gang ins Bad im spärlich beleuchteten Flur, den die Schemen halboffener Kartons säumen, auch Erwachsenen schon einmal leise Furcht einflößen. Ein Alptraum würde den Grusel, der in den Ecken der unbekannten Umgebung lauert, dann noch perfekt machen.
Genauso geht es Addie (Betsey Brown) und Noelle (Madeline Quinn), als sie in ihr neues New Yorker Apartment einziehen.
Düstere Geheimnisse in der Upper Eastside
Die beiden sind ein ungleiches Paar und müssen sich erst noch an ihre neue Situation gewöhnen. Sie gehen schließlich nicht mehr aufs College. Nicht alles zwischen ihnen läuft mehr so unbeschwert wie damals. Und dann reiht sich noch eine Merkwürdigkeit an die nächste.
Bereits am ersten Abend klingelt eine unbekannte Frau bei den beiden wild an der Tür, nur um dann sofort wieder zu verschwinden. Nur einen Tag später taucht dieselbe Unbekannte abermals auf und verschafft sich kompromisslos Zutritt zur Wohnung. Dabei kommt sie gar nicht, um etwas zu stehlen.
Sie will die beiden neuen Mieterinnen bloß warnen: vor der dunklen Geschichte, die sich hinter dem Apartment verbirgt.
Mit The Scary of Sixty-First feiert die belarusisch-amerikanische Schauspielerin und Podcast-Berühmtheit Dasha Nekrasova ihr Autorenfilm-Debut bei der diesjährigen Berlinale in der erst 2020 neugeschaffenen Encounters-Sektion. Nekrasova schrieb gemeinsam mit Madeline Quinn das Drehbuch, saß selbst auf dem Regiestuhl und spielt außerdem eine der Hauptfiguren des Films.
Eine virtuose Reise in die Film- und Mediengeschichte
So stimmungsvoll sich der Beginn ihrer Geschichte auch schaut, so schnell driftet das Werk in Sphären ab, die sich jenseits des guten Geschmacks bewegen. Gleich zu Beginn ist das B-Movie-Flair zu merken. Da wäre zum einen die zwischen martialisch und psychedelisch wechselnde Musik, die zumindest während der ersten Viertelstunde noch so etwas wie Spannung erhoffen lässt. Doch spätestens, nachdem Noelle und Addie ihre zweite Nacht in der neuen Wohnung hinter sich haben, verliert sich der Film in einem Crescendo der Absurdität.
Natürlich versucht Nekrasova ihrer Geschichte den Anstrich eines atmosphärischen Trash-Horrorstreifens zu verleihen. Aber das gelingt ihr nur sehr vereinzelt. Das Besondere an gutem Trash ist ja, dass er Spaß macht oder zumindest bei aller Absurdität in irgendeiner Hinsicht virtuos ist. Doch auch wenn The Scary of Sixty-First durchaus hier und da dramaturgisches Talent erkennen lässt, ist der Film in seiner Mischung schwer zu ertragen.
Gewisse gehört das teilweise miserable Schauspiel zwischen Apathie und Overacting mit zur Genre-Palette des Trashs. Und trotzdem gibt es keinen ersichtlichen Grund, warum die Darstellerin deswegen jedes zweiten Wort nuscheln sollten oder warum die Musik ihre Sätze oftmals so übertönen muss wie in diesem Film. Die 81 Minuten Laufzeit sind übervoll und fühlen sich deswegen noch zu lang an. Wahllos werden einzelne Fäden der Charakterentwicklung zu einem Knäuel zusammengeworfen, ohne das am Ende auch nur einer der Fäden wieder daraus zu entwirren wäre.
Zwischen Internetkultur, Verschwörungstheorien, Promikult und Vergötterung des Kapitals
Es geht um zwei Freundinnen, die sich entfremden, um Addie’s gestörte Vater-Tochter-Beziehung, um eine Beziehung, die unausgesprochene Probleme lähmen, ach ja und dann geht es um Jeffrey Epstein und die Verschwörungsmythen, die sich um seinen Selbstmord im Jahr 2019 ranken. Und um Pizzagate. Und um satanische Magie. Das ganze Sammelsurium wird dabei immer wieder von sexuell aufgeladenen Einstellungen unterbrochen, die mit einer Mischung aus Gewalt und allen vorstellbaren Körperflüssigkeiten jede Ekelgrenze strapazieren und nicht selten auch überschreiten.
Addie ist nämlich von einer Art Dämon besessen. Manche Fantasien, die sie im Wahnsinn ausmalt, haben sogar mit Pädophilie zu tun. Zum Schluss gipfelt das Machwerk in einem Splatterfest, das den billigen Twist auch nicht mehr kaschieren kann.
Man muss dem Team hinter The Scary of Sixty-First zugestehen, dass es eine künstlerische Vision verwirklicht hat. Dass genau diese sicherlich den Allerwenigsten gefallen dürfte, tut der Leistung dahinter keinen Abbruch. Vergessen wird man den Film bestimmt nicht.
Genauso, wie man eben einen schlechten Drogentrip sicher nie vergisst oder den ersten gebrochenen Arm. Denn genau das ist dieses vollkommen abgedrehte Trash-Horrer-Genrestück aus den USA mit einer breitgefächerten Palette aus Scham und Ekel: wohl einer der unangenehmsten Filme, die das 21. Jahrhundert hervorgebracht hat.
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