Mank (2020) | Filmkritik

AUFBLENDE

INNEN – STADTWOHNUNG – NACHT

Ein Mann (ERZÄHLER) sitzt allein an einem Schreibtisch. Spärlich beleuchtet. Vollgeschriebene Notizzettel zu seiner Rechten. Ein Glas Whiskey zu seiner Linken. Er tippt kurz etwas auf einer Laptoptastatur. Dann eine lange Pause. Wieder ein paar Zeilen. Wieder eine Pause. Schließlich setzt der ERZÄHLER seine Brille ab und reibt sich die Stirn, als hätte er Kopfschmerzen.

Dann spricht er in die Stille des Raumes.

ERZÄHLER
Was habe ich da gerade nur gesehen?

© Netlix

INNEN – STADTWOHNUNG – NACHT (FLASHBACK)

Der ERZÄHLER erinnert sich daran, wie er wenige Stunden vorher auf dem Sofa saß.

ClOSE UP

Gesicht des ERZÄHLERS. Er blickt angestrengt.

Langsamer ZOOM auf das, was er sich ansieht: Ein Schwarz-Weiß-Film auf dem Fernseher. David Finchers Netflix-Biopic Mank.

© Netlix

MONTAGE

Die Geschichte, die sich vor dem Mann ausrollt, handelt von dem ebenso verschrobenen wie charmanten Drehbuchautoren Her-man J. Mankiewicz (Gary Oldman) – genannt Mank –, der in den 1930er- und 40er-Jahren für das berühmte MGM-Filmstudio arbeitet, ehe er plötzlich einen fatalen Autounfall erleidet und noch plötzlicher Orson Wells – das aufstrebende und doppelt so exzentrische Wunderkind Hollywoods – an seinem Krankenbett erscheint, um Geschichte zu schreiben. Sie beide sollten gemeinsam Citizen Kane (1941) entwickeln, für den Mank später einen Oscar gewinnen würde und der in die Annalen des Bewegtbildes als einer der einflussreichsten und besten Filme aller Zeiten einging.

Manks Weg zum Jahrhundertskript, für das Wells ihm nur 60 Tage Zeit ließ, führt über hunderte zerknüllte Drehbuchseiten und wird immer wieder unterbrochen von Flashbacks in seine Vergangenheit. Es mischen sich Episoden über seine Alkoholsucht oder seinen Hang zum Wettspiel mit Begegnungen, die er mit dem Zeitungsmagnaten Wilhelm Randolph Hurst teilte, der unzweideutig die Inspiration für Manks Hauptfigur in Citizen Kane, Charles Foster Kane, bot.

© Netlix

INNEN – STADTWOHNUNG – NACHT

Der ERZÄHLER tippt jetzt wild auf die Tastatur seines Laptops, schenkt sich zwischendurch Whiskey nach und spricht immer wieder mit sich selbst.

ERZÄHLER
Ich kann nicht anders. Nein, ich muss einfach ehrlich sein. Egal wie sehr ich David Fincher liebe. Aber ich bin enttäuscht von diesem Streifen. Ich hätte mir mehr gewünscht. Er ist schließlich einer meiner Lieblingsregisseure, seit ich filmverrückt bin. Ich mochte bisher ausnahmslos alle seine Werke, von Meisterwürfen wie Sieben (1994), Fight Club (1999) oder The Social Network (2010) ganz zu schweigen. Sogar die Serien House of Cards (2013-2018) und Mindhunter (2017-2019) unter seiner Federführung waren besonders.

Aber Mank ist das eben nicht. Besonders. Vieles über den Film mag besonders sein: Zum Beispiel, dass David Finchers Vater, der Journalist Jack Fincher, bereits 1992 das Drehbuch dazu schrieb und sein Sohn es nun Jahre nach seinem Tod (2003) endlich zu Ende bringen konnte. Oder aber der Film, von dem der Film handelt: Citizen Kane. Manche Klassiker erwecken durch ihren Ruf so hohe Erwartungen, dass man leicht enttäuscht werden kann. Doch als ich das erste Mal Citizen Kane sehen durfte, konnte ich diesem Ausnahmewerk nicht widerstehen.

INNEN –SCHLOSS XANADU– NACHT (FLASHBACK)

© Netlix

CLOSE UP

CHALRES FOSTER KANE
Wir sehen den bärtigen, altersfaltigen Mund der Hauptfigur (in Citizen Kane), wie er langsam, dem Sterben nahe, ein Wort aushaucht.

CHARLES F. KANE
Rosebud…

INNEN – STADTWOHNUNG – NACHT

CLOSE UP
ERZÄHLER
Wir sehen den bärtigen Mund des ERZÄHLERS. Er spricht weiter mit sich selbst.

ERZÄHLER
Wenn ich an diesen Meilenstein der Filmgeschichte zurückdenke, daran, wie revolutionär die nichtlineare, von Flashbacks durchsetzte Erzählweise damals war. Wie emotional die Reise in die Lebensgeschichte dieses Charles Foster Kane war… Wenn ich daran denke, dann ist es mehr als nur schade, dass Mank so generisch ist, ein gewöhnliches Biopic wie viele andere zuvor.

Sicher. Es gibt zwischendurch Momente von wahrhaftiger Großartigkeit. Da ist diese Szene, in der ein völlig betrunkener Mank eine Dinnerparty sprengt und dem Delirium nahe vor allen Augen und Ohren den Plot von Citizen Kane erfindet. Oder eine tranceartige Montage bei einer Wahlparty. Einige Dialogzeilen geben tolle Aphorismen ab.

© Netlix

Die schauspielerischen Leistungen von Amanda Seyfried (Les Miserables) oder Gary Oldman (Die dunkelste Stunde), aber auch Ferdinand Kingsley (Dracula Untold) und Tom Pelphrey (Ozark) machen Spaß beim Zusehen. Finchers Regiearbeit wird sicher viele YouTube-Essays auslösen, da seine tadellose Handschrift natürlich auch hier wieder zu erkennen ist. Wie er Szenen aufteilt und Gespräche einfängt, ist ausgezeichnet.

Doch das Gesamtpaket bleibt nicht viel mehr als ein Crowdpleaser für Filmnerds und Hollywoodliebhaber. Und obwohl ich bisher dachte, dass ich genau das wäre, scheint mir doch mehr an einer packenden Geschichte mit originellen Figuren zu liegen, als an einer Best-of-Revue von ImdB-Trivia. Und da genießt auch einer meiner Lieblingsregisseure keine Narrenfreiheit.

Wenn ein Projekt über einen der innovativsten Filme aller Zeiten selbst kaum Innovatives zu bieten hat, dann weiß ich, was ich mir ansehe, wenn ich das nächste Mal zwei Stunden Zeit habe.

Der ERZÄHLER scheint mit seiner Arbeit kurz vor dem Ende zu stehen. Er hakt die letzten Zeichen widerwillig in die Tastatur, als wollte er sie lieber nicht schreiben. Dann trinkt er seinen Whiskey aus und verlässt den Platz.

CLOSE UP auf die letzten Zeichen:
6 von 10 Punkten.

AUSBLENDE SCHWARZ

Bewertung

Trailer

Informationen
Mank | 4. Dezember 2020 (Deutschland) 6.8
Regisseur: David FincherDrehbuchautor: Jack FincherDarsteller: Gary Oldman, Amanda Seyfried, Lily CollinsHandlung:

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Bildrechte: Netflix

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