Um Flüchtlingskrise, Rechtsextremismus und Trauerbewältigung dreht sich der Film Je suis Karl, der seine Premiere auf der 71. Berlinale gefeiert hat.
Auf Eurotour mit einem Nazi
Und um eines vorweg zu nehmen: Die 126 Minuten Laufzeit haben es in sich. Denn der Zuschauer hat aufgrund der Schwere der Thematik kaum eine Möglichkeit zu entkommen.
Maxi (Luna Wedler) und ihr Vater Alex (Milan Peschel) überleben als einzige ihrer Familie ein Bombenattentat in Berlin.
Worum geht es in Je suis Karl?
Bei dem Terrorangriff kommen Maxis Mutter und ihre Brüder ums Leben. Die Hintergründe der Tat sind zunächst unklar und die Ermittlungen der Polizei dauern an. Während Alex vergeblich nach Halt sucht, hat Maxi bereits Hilfe gefunden.
Der junge Student Karl (Jannis Niewöhner) tritt in ihr Leben und beide verstehen sich auf Anhieb gut. Er lädt Maxi ein mit nach Prag zu kommen, wo sich die Jugend Europas trifft. Maxi traut ihm und fliegt nach Tschechien. Doch hinter einem angeblichen Jugendtreff steckt in Wirklichkeit eine Revolution der Neuen Rechten. Maxi ahnt jedoch noch nicht, worauf sie sich eigentlich eingelassen hat.
Rein inhaltlich ist Je suis Karl eine ambitionierte, brandaktuelle und zutiefst erschütternde Geschichte. Die in der realen Welt aufkommende rechte Bewegung in vielen europäischen Staaten wird filmisch wunderbar zu einer plausiblen Geschichte zusammengesetzt.
Jedoch fehlt es der Story leider an dem benötigten Feinschliff, denn einzelne Handlungsstränge verpuffen einfach. Als Beispiel sei hier ein Dialog aus dem Film erwähn.: Karl fragt Maxi: Bin ich ein Faschist?. Maxi antwortet: Darf ich mitkommen?. Richtig tiefgründig und erklärend wird es nicht. Und dieser Eindruck bleibt durch den gesamten Film hinweg bestehen.
Berlin. Nicht irgendwann – heute.
Der Film liefert keine Antworten auf eine gesellschaftliche Entwicklung. Vielmehr sind es dicke Ausrufezeichen, die hier markant auf der Leinwand präsentiert werden. Regisseur Christian Schwochow (Bad Banks) setzt dabei auf bereits bekannte Erzählformen und ergänzt sie mit neuen. Immer wieder ploppen Smartphone-Livestreams auf, um die jungen Menschen auch mit jungen Medien in Einklang zu bringen. Stellenweise macht dies auch Sinn, denn soziale Netzwerke gehören definitiv in unsere Zeit.
Jedoch wirkt es manchmal auch aufgesetzt und flach, wenn der rechtsradikale Karl im Livestream seine Standard-Plattitüden an seine Follower raushaut. Hier wäre etwas mehr Tiefgang wünschenswert gewesen. So wäre aus einer tollen Geschichte auch ein toller Film geworden. Aber Schwochow verlässt sich zu sehr auf Klischees, anstatt wirklich unbequem zu werden.
Positiv hingegen sind die Darsteller zu bewerten. Allen voran Nachwuchsdarsteller Jannis Niewöhner. Moritz Bleibtreu sagte einst in der Filmsendung Kino Plus:
Jannis ist ein Filmstar. So einfach ist es.
Und genau dies stellt Niewöhner in Je suis Karl auch wieder unter Beweis. Jede Szene mit ihm ist intensiv, emotional und authentisch. Er stellt all seine anderen Darsteller in den Schatten. Seine Präsenz und seine Ausstrahlung geben dem Film einen deutlichen Mehrwert. Und es entsteht – so seltsam es auch ist – an einigen Stellen ein Hauch von Mitleid für den rechtsradikalen Bombenleger. Das ist schon ein teils sehr merkwürdiges Bauchgefühl.
Eine Machtergreifung in Europa
Direkt hinter Niewöhners Leistung überzeugt auch Luna Wedler (Das schönste Mädchen der Welt). Sie gibt ihrer Rolle Glaubwürdigkeit und eine innere Unruhe, die einen zum Nachdenken bringt. Aber auch hier wäre ein klein wenig mehr Raffinesse der Figur für den Film besser gewesen.
Es ist nämlich nicht nachvollziehbar, warum sie dem Rechtsradikalen folgt. Ob dubiose Telefonate, die Rede von einem Aufbruch oder die Fürsprache von harten Strafen für Kriminelle: Die Anzeichen waren für die junge Maxi da. Dennoch ignoriert sie diese und driftet selbst in die rechte Schiene ab.
Zusammenfassend bietet Je suis Karl ordentliches Berlinale-Material, was mit etwas mehr Tiefgang zu einem starken Beitrag geworden wäre. Allerdings verschränkt sich Regisseur Schwochow auf die bereits vorhandenen Anstöße zum Thema Rechte Szene. Vielleicht hätte ein bisschen mehr Mut zu einem starken Film verholfen. So bleibt alles weiter unbeantwortet.
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