Dieser Film ist wie die St. Pauli: ehrlich, hart und nicht immer schön. Im ungeschönten Drama Gegengerade – Niemand siegt am Millerntor ist das Millerntorstadion Dreh- und Angelpunkt von verschiedenen Schicksalen. Während auf dem Platz die Mannschaft versucht, ihr wichtigstes Spiel zu gewinnen, spielen sich rund um das Stadion verschiedene Schicksale ab, die alle miteinander verbunden sind. Aber ist der Film so spannend wie 90 Minuten Fußball?
Es gibt Vereine, die sind klar und ohne Kante – und es gibt Vereine, die besitzen hauptsächlich Kanten. Zu erster Kategorie gehört der Klassenprimus FC Bayern München. Manuel Neuer und sein Team spielen großartigen Fußball, wie man es von einem Meister erwartet. Die wiederkehrenden Siege gehören schon zur routinierten Prozedur und sorgen bei Werbepartnern und Finanziers für Freudentränen. Dieses Glücksgefühl sollte sich auch in der aktuellen Saison nicht ändern. Glaubt man den Fans und dem Quotenstand der Online Wetten mit 1,14 (Stand: 12.1.), ist der Bundesliga-Thron auch 2021 den Bayern gesichert.
Deutlich mehr Kante und Überraschungen sorgt dagegen der Hamburger Verein FC St. Pauli. Mit politischer Haltung und einem Auf und Ab in der 2. Bundesliga sorgt der Verein um Trainer Timo Schultz stets für Gesprächsstoff. Doch auch die Fangemeinde, die mit viel Rückhalt hinter ihrer Mannschaft steht, gilt als eigenwillige Gruppierung. Der 2011 erschienene Film Gegengerade wirft einen Blick auf die Fans und ihre Leidenschaft. Ob der Film so beliebt wird wie andere Filme, in denen es um den Fußball geht?
Viele Namen, wenig Story
Regisseur Tarek Ehlail erzählt die Geschichte von Magnus (Timo Jacobs aus Der lange Sommer der Theorie) und Kowalski, der von Denis Moschitto aus Almanya – Willkommen in Deutschland gespielt wird. Zwei Freunde, die zum festen Kern des St. Pauli-Fanclubs gehören und aus unterschiedlichen Welten kommen. Während Magnus aus der wohlbehüteten Umgebung Blankenese kommt, arbeitet Kowalski für seinen Lebensunterhalt auf dem Schrottplatz. Mit dem filmbegeisterten Dokufilmer Arne, der von Fabian Busch verkörpert wird, wird das Trio komplettiert. Er ist es, der seine Freunde mit der Kamera am Tag des wichtigen Aufstiegsspiels vom FC St. Pauli begleitet und auch in den brenzligen Situationen lieber beobachtet als einschreitet. Punkkonzerte, Polizisten ärgern und Schlägereien anzetteln: Die Freizeitgestaltung der Männer ist überschaubar.
Eine tiefgehende Geschichte suchen Zuschauer vergebens. Man folgt Arne, Magnus und Kowalski durch Hamburgs berüchtigtes Viertel und lässt dabei kein Klischee aus. Die Herbertstraße wird besucht, es wird sich auf Pegel getrunken und kuriose Gestalten tauchen an jeder Straßenecke auf. Zahlreiche Cameoauftritte, die Gegengerade mit sich bringt, wirken schon fast berechnend und mit der Brechstange geplant. Die Vielzahl von Hamburger Größen, die von Schauspieler und Regisseur Moritz Bleibtreu (Cortex) bis hin zu Claude-Oliver Rudolph und Vivien Schmitt sind zwar nett anzusehen, doch wirken sehr in das Konzept gepresst. Mehr als ein Schmunzeln bleibt am Ende nicht übrig für den netten Versuch. Die Mühe, die es gebraucht hat, um die Mini-Rollen zu verteilen, hätte gern in andere Aspekte des Filmes investiert werden können.
Schlagkraft ohne Aussage
Betrachtet man den Film von Regisseur Tarek Ehlail nüchtern, kommt der Gedanke auf, dass Pauli-Fans ein Fußballspiel lediglich zum Anlass nehmen, um sich zu prügeln. Mit wem? Egal! Hauptsache, die Fäuste fliegen. Dass dies sicherlich eine unangenehme Verallgemeinerung ist, mag man zwar noch verkraften. Doch wer den Fokus auf fragwürdiges Verhalten legt, der hätte innerhalb des Drehbuchs einige Fragen stellen können, die Tiefe und Bedeutung in die Geschichte bringen. Das reine Verhalten von gewaltbereiten Fans zu zeigen, hebt sich nicht von der bitteren Realität ab. Im Drehbuch hätte man jedoch die Chance gehabt, etwas Aufklärungsarbeit zu leisten und Hintergründe zu erörtern. Leider wurde diese Möglichkeit verspielt.
Film nur für Fans
In die Historie wichtiger und bewegender Fußballfilme hat es Gegengerade – Niemand siegt am Millerntor somit nicht geschafft und bleibt ein Machwerk für Fans, die sich um die Kritik der Außenstehenden kaum kümmern. Die Premierenfeier, die 2011 in einem Berliner Hotel stattfand, unterstreicht diesen Eindruck: Partygäste begannen in einem Luxushotel zu randalieren und zerstörten das Inventar.
Erst die Polizei konnte die ausufernde Feier stoppen. Dass Ehlail mit seinem Film keine Gesellschaftskritik auf die Leinwand bringen wollte, sondern die Fanliebe zu einem besonderen Verein skizzieren wollte, mag verständlich und plausibel sein. Am Ende wurde jedoch aus einer guten Idee mit tollem Cast ein Fußballfilm, der die Anhängerschaft von St. Pauli in einem klischeehaften – und sicherlich nicht wahren – Licht zeigt.
Bildrechte: KSM FILM