Dune (2021) | Filmkritik

Das Jahr 10191 markiert eine Zeitenwende in der Geschichte des galaktischen Imperiums. Über 80 Jahre hat das Haus Harkonnen den strategisch wichtigen Planeten Arakis regiert und den Abbau des mächtigsten Rohstoffs im Sonnensystem – der psychoaktiven Droge Spice – beaufsichtigt.

Die Rückkehr auf den Wüstenplaneten

Nun lässt der interstellare Imperator die Harkonnen abziehen, um sie durch das Adelsgeschlecht der Atreides zu ersetzen. Damit obliegt nun Herzog Leto Atreides (Oscar Isaac) die Verantwortung über die Spice-Raffinerien auf Arakis. Doch kaum ist er mit seinem Tross auf dem Wüstenplaneten angekommen, schwant ihm Unheil.

Es ist so, als hätte man ihm ein Pulverfass inmitten eines Waldes brennender Streichhölzer hinterlassen.

© Warner Bros.

Ihn erwarten nämlich nichts als minderwertiges Gerät zur Spice-Ernte, eine erbarmungslose Wüste voller riesiger Sandwürmer und ein einheimisches Volk – die Fremen –, das von Letos Vorgängern brutal unterdrückt wurde.

Träume über die Fremen

In diesem Risikogebiet ist jeder neue Schritt ein Wagnis. Das spürt auch Paul (Timothée Chalamet), der Sohn des Herzogs und dessen designierter Nachfolger. Die Last der neuen Aufgabe für ihn und seine Familie verfolgt Paul bis in den Schlaf.

Nacht für Nacht begegnet er im Traum den Fremen und besonders einer ihrer geheimnisvollen Töchter namens Chani (Zendaya). Doch als Paul plötzlich auch bei völliger Wachheit zu träumen beginnt und diese Visionen immer mehr mit der Realität verschmelzen, ist schnell klar, dass die Fäden des Schicksals von viel höherer Stelle gehalten werden als ihm selbst.

© Warner Bros.

Als Christopher Nolans Tenet (2020) im August letzten Jahres tatsächlich im Kino anlief, nachdem die Corona-Pandemie zuvor monatelang das Geschäft lahmgelegt hatte, war es nicht unrealistisch darauf zu hoffen, dass auch Denis Villeneuve’s Dune wie geplant am 17. Dezember 2020 in den deutschen Lichtspielhäusern erscheinen könnte. Natürlich kam es schließlich ganz anders.

Die Rettung des Kinos?

Eine neue Viruswelle machte es nötig, dass der Starttermin um fast ein ganzes Jahr verschoben wurde. Doch nun sollte es endlich so weit sein. Dune startet im Kino. Und eines ist von der ersten Kameraeinstellung an klar: Das Spektakel, was Tenet für das Kinojahr 2020 war, ist Dune für das Kinojahr 2021.

Wie schon bei Villeneuve’s letztem Film – Blade Runner 2049 (2017) – ist die Weite der Welt, in die der Regisseur seine Zuschauerinnen und Zuschauer entführt, schier unglaublich. In den überlebensgroßen Hallen aus Stein, den pyramidenartigen Gebäuden, auf den nicht enden wollenden Flurfluten, inmitten der tödlichen Grandezza, die Arakis‘ Wüste aufführt, umhüllt von der schwarzen Einsamkeit des Orbits; da wartet auf die Figuren und die Kinobesucher gleichermaßen ein Kosmos, dem man von der ersten Sekunde an anmerkt, dass er so viel größer ist, als der Film überhaupt einfangen kann.

Das zeitweise bedrohliche Ausmaß der Bilder, die Kameramann Greig Fraser (Rogue One: A Star Wars Story, Vice, Zero Dark Thirty) eingefangen hat, ergibt zusammen mit der nicht weniger imposanten Filmmusik von Altmeister Hans Zimmer (Der König der Löwen, Inception, Fluch der Karibik) ein Erlebnis, das allein für die Großleinwand gemacht ist und einen nur durch sie hindurch in die Geschichte so unvergleichlich hineinzusaugen vermag.

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Es ist, als würde man in eine ganz andere Ära und Welt eingeladen, die einen gerade auch durch die Musik, in der fremde Sprachen, Geräusche, Instrumente und Liturgien erklingen, körperlich bewegt. Dieses audiovisuelle Kraftpaket von einem Film erinnert daher auch in seiner positiven Großspurigkeit an die besten Epen der Leinwandgeschichte wie die Weltraumsaga Star Wars, aber auch wegen seiner tribalen Zukunftsvision, den fantastischen handgemachten Rüstungen und den politisch-diplomatischen Verstrickungen an Der Herr der Ringe und Game of Thrones.

Ein meisterliches Sci-Fi-Epos

Diese Macht der Bilder hat Warner Bros. – die Produktionsfirma hinter Dune – ironisch unterwandert, indem die Zuständigen sich schon letztes Jahr dafür entschieden, dass der Film in den USA zeitgleich zum Kinostart für einen Monat gratis auf dem Streaming-Anbieter HBO-Max verfügbar sein wird. Dazu sei an dieser Stelle klar vermerkt: Wer es wirklich vorzieht, Dune das erste Mal auf dem heimischen Fernseher zu schauen statt im Kino, dem ist schlicht und einfach nicht mehr zu helfen.

Die Buchvorlage hinter dieser epischen Erzählung stammt aus der Feder des US-amerikanischen Schriftstellers Frank Herbert, der den Auftakt seines sechsteiligen Dune-Zyklus‘ 1965 vorlegte und damit einen Meilenstein der Sci-Fi-Literatur des 20. Jahrhunderts ablieferte. Nachdem der Stoff bereits als unverfilmbar gegolten hatte, versuchte sich 1984 schließlich niemand Geringeres als Kult-Regisseur David Lynch (Eraserhead, Twin Peaks, Mulholland Drive) daran.

Doch er biss sich die Zähne aus. Seine geplante Interpretation von Herberts Klassiker sollte nahezu vier Stunden umfassen. Universal Pictures dampfte den Film für das Kino auf zwei Stunden Laufzeit ein und entzog Lynch sogar die letzte Verfügung über den Schnitt. Es kam zum Zerwürfnis zwischen beiden Parteien. Desillusioniert sollte Lynch danach dem Hollywood-Studio-System den Rücken kehren.

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Aus der Fernsehfassung des Filmes ließ er sogar seinen Namen ausstreichen und durch den fiktiven Platzhalterregisseur Alan Smithee ersetzen. Bis heute ist Der Wüstenplanet (1984) der einzige Film, auf den Lynch nach eigener Aussage nicht stolz ist.

Großes Kino für die große Leinwand

Denis Villeneuve ist es nun fast vierzig Jahre später gelungen eine ernsthafte, künstlerisch ambitionierte und bombastische Leinwandadaption zu erschaffen. Während der Film auf seiner gestalterischen Ebene jeden Menschen verzaubern wird, der Fantasy- und Science-Fiction-Worldbuilding liebt und außerdem all denen dringend empfohlen sei, die das Kino als Kunstform genießen, so ist Dune dennoch kein klassischer Blockbuster der heutigen Zeit.

Dafür ist sein Erzähltempo zu hürdenreich. Wie schon Blade Runner 2049, der wohl auch deswegen an der Kinokasse floppte, lässt sich Dune sehr zäh an und enthält in den ersten eineinhalb Stunden einige Längen. Doch wie auch schon bei Blade Runner 2049 ist das nicht etwa eine Schwäche des Filmes, sondern eine absichtsvolle, wenn auch den herkömmlichen Sehgewohnheiten widersprechende Strategie, die Zuschauerinnen und Zuschauer, noch mehr in die Welt der Figuren hineinzuziehen.

Genau wie für die Charaktere ist dann nämlich diese eine entscheidende Passage im Film eine Spannungs-Explosion, die Menschen vor und auf der Leinwand zugleich überrumpelt. Tatsächlich braucht man also zwar über die 155 Minuten Laufzeit Sitzfleisch. Doch wer sich darauf einlässt, kann Bilder und Töne erleben, die so virtuos nur alle paar Jahre überhaupt im Kino zu sehen sind.

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Auch auf der emotionalen Ebene stellt das Werk eine bildgewaltige Reise dar. Neben durchstilisierten Dialogen, deren Pathos man wegen des archaischen Settings rivalisierender Adelshäuser problemlos akzeptieren dürfte, gibt es eine Vielzahl wortloser Momente, in denen die Kamera plötzlich nicht mehr die kolossale Weite der Wüstenlandschaft von Arakis in der Totale betont, sondern die ganze emotionale Weite in den Gesichtern der Figuren in Close-Ups aufspürt.

Religiöse Symbolik im Film

Gerade der Weg, den Timothée Chalamet (Call me by your Name, Little Women, Hot Summer Nights) als melancholischer Adelssohn Paul und Rebecca Ferguson (Mission Impossible Fallout, Reminiscence: Die Erinnerung stirbt nie, Stephen Kings Doctor Sleeps Erwachen) als dessen sorgenvolle Mutter in der zweiten Hälfte des Films zusammen gehen, ist geprägt von ihren schauspielerischen Glanzleistungen. Die Beziehung von Paul zu der von Ferguson gemimten Lady Jessica steckt voller philosophischer Metaphern.

Da geht es um eine Messias-Gestalt und seine Mutter, die mehr zu wissen scheint, als er selbst. Da muss der junge Verheißungsträger vor dem großen Imperator in die Wüste fliehen. Für Kennerinnen und Kenner sind die Parallelen zu den Christus-Erzählungen des Lukas- und Matthäusevangeliums offenkundig. Aber auch religionskritische Traditionen schwingen deutlich in der Erzählung mit, genauso wie politische Zwischentöne.

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So lässt sich die Spice-Ernte auf Arakis zweifellos als Parabel auf den Ölhandel des 20. Jahrhunderts und seine quasi-imperialistischen Züge lesen. Baron Vladimir Harkonnen (Stellan Skarsgård) symbolisiert dabei den ausbeuterischen und drakonischen Imperialismus vergangener Zeiten, während Herzog Leto Atreides (Oscar Isaac) einen moderneren Typus darstellt, der auf Kooperation statt Unterdrückung setzt und dennoch in die Sackgasse führt, weil er in seinem Überlegenheitsgebaren immer noch für die eigentliche Würde und Expertise der einheimischen Bevölkerung blind ist.

Dune 2: Wird eine Fortsetzung kommen?

Sowohl die Arsenale der Geschichte als auch die viel zu reale Situation in Afghanistan im Jahr 2021 bieten hier viel Stoff zum filmisch angeleiteten Philosophieren. Passend zu dieser erzählerischen Vielschichtigkeit kommt das Finale von Dune nicht als krachendes Actionfeuerwerk daher, sondern zeigt den Protagonisten Paul an einer emotional überzeugend bebilderten Wegscheide. Seine interessante Charakterentwicklung und noch wenig beleuchteten Geheimnisse der Fremen sind der Stoff, aus dem wohl der zweite Teil gewebt sein wird.

Doch für den gibt es allerdings noch kein offizielles grünes Licht. Zu hoffen wäre das aber auf jeden Fall: Denn Dune ist trotz seiner voraussetzungsreichen Erzählstruktur nicht nur Unterhaltung mit Bombastfaktor, sondern auch eine künstlerische Vision mit Herz und Verstand, die alle Unkenrufe vom Untergang des Kinos, die während der Pandemie erklungen sind, Lügen straft.

Bewertung

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Dune | 16. September 2021 (Deutschland) 8

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