Sing Street (2016) | Filmkritik

Sing Street

Dublin 1985. Junge Iren strömen scharenweise über das Meer nach London, um der Unterbeschäftigung im eigenen Land zu entgehen. Ernüchterung macht sich breit. Auf der anderen Seite beginnt die goldene Ära von Top of the Pops. Schillernde Musikvideos, die so gar nicht in den tristen irischen Alltag passen wollen, entpuppen sich als neueste Medienrevolution. Bands wie A-Ha, Duran Duran, Depeche Mode und The Cure haben den Beatles den Rang abgelaufen und füllen nun die Köpfe der Jugend.

In dieser Zeit, als Mixtapes eine Verführungstaktik waren – natürlich mit dem eigenen Kassettenrekorder aufgenommen – ist Musik auch Connor Lawlers (Ferdia Walsh-Peelo) Medizin und zugleich sein Mittel, das Herz der Schönheit Raphina (Lucy Boynton) zu erobern. Ohne lange nachzudenken gründet er eine Band, um sie zu beeindrucken. Zusammen mit dem großspurigen Winzling Darren (Ben Carolan), dem kaninchenkraulenden Allroundtalent Eamon (Mark McKenna) und anderen Teenagern der Gegend versucht er den spießigen Schulalltag bei den Christian Brothers mit einer Portion Spaß zu würzen.

Dabei bleiben Rückschläge im wahrsten Sinne des Wortes nicht aus, schließlich gefallen Schul-Mobber Barry (Ian Kenny) und den verstaubten Lehrern das extravagante Auftreten der Jungs kein bisschen. Doch auch hierfür wird Connor auf der Suche nach dem Sound seines Lebens eine Note finden.

Das Genre Rom-Com (kurz für: Romantische Komödie) erfreut sich unter Filmliebhabern wirklich keiner besonderen Beliebtheit. Viele Streifen dieser Sparte konzentrieren sich auf Kitsch und Witz, wobei beides meist nicht zündet. So bleibt Material zurück, dass kein wirkliches Alleinstellungsmerkmal besitzt und im unteren Mittelmaß verschwindet.

Dies kann man von den Werken des irischen Talents John Carney ganz gewiss nicht behaupten. Es ist eine wahre Freude seine Entwicklung, seit seinem Feature-Film-Durchbruch mit Once (2007) zu beobachten. War dieser Gewinner des Sundance-Publikumspreises und sogar Oscar-Abräumer für „Bester Filmsong“ noch ein Projekt mit Amateurkameras, geringem Budget und einem Drehbuch, das nur Beiwerk war, um wirklich großartige Songs zu promoten, hatte Carneys Can A Song Save Your Life? (2013) bereits einen ausgereiften Plot zu bieten.

Mit Sing Street gelingt ihm, der die Songs seiner Filme stets selbst schreibt, sein bisher bestes Werk. Wie schon zuvor verlagert er einen Großteil der Charakterentwicklung in seine Lieder, eine erfrischende Methode, die die größten Stärken des Films vereint: Musik und Figuren.

Wie in der typischen Rom-Com gibt es schließlich auch in Sing Street Momente voll Kitsch, ein klassisches Drei-Akt-Schema und größtenteils jugendfreie Gags. Allerdings machen die Bandtitel des ulkigen Jugend-Ensembles das Werk zu etwas wirklich Großartigem. Schon mit dem urkomischen ersten Musikvideodreh zu The Riddle of the Model ist der Zuschauer voll an Bord und wartet nur auf die nächste Einlage derselben Art. Zum Glück präsentiert Sing Street davon noch eine ganze Reihe, gegen Ende sogar eine bezaubernde Musical-Einlage.

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Aber nicht nur die Musik funktioniert auf ganzer Linie, sondern auch der Humor. Ob es nun die ständig wechselnden Outfits der Bandmitglieder sind – je nachdem welche Vorbilder sie gerade verehren –, Darrens vorlaute Art, die so gar nicht zur Zahnspange, dem Rotschopf und seinem Schmalhans-Aussehen passen will, oder Connors ansteckendes Charisma. Die vielen kleinen Zwischentöne stimmen einfach.

Es sind winzige Szenen, die dem Film seine Seele geben. Eine Kussszene, die gerade deswegen so ungemein sympathisch wirkt, weil sie so realistisch verkorkst – wie bei Teenagern eben – ist. Oder Brendan Lawlers (Jack Reynor) unbändiger Jubelausbruch angesichts der Kompromisslosigkeit seines kleinen Bruders Connor, die er sich wohl für sich selbst immer gewünscht hatte. Ohnehin ist Brendan eine der ausdifferenziertesten Figuren des Films. Hin- und hergerissen zwischen Neid und Stolz für seinen Bruder, überdenkt er sein eigenes Leben am Scheideweg.

Protagonist Connor entwickelt sich derweil vom unsicheren Schuljungen gefangen im Alltagsblues zu einem starken Charakter. Er ist damit ein nahegehendes Beispiel für jemanden, der aus seiner Passion Selbstwertgefühl gewinnt und somit etwas, das ihm niemand kaputt machen kann. Zunächst träumt er sich über die Musik in eine heile Welt, doch später wird er sein Leben selbst in die Hand nehmen und mit einem jugendlichen Optimismus zur Tat schreiten.

In dieser Spanne zwischen glücklich und traurig bewegt sich Sing Street über seine Laufzeit von 106 Minuten hinweg und ist damit eine Analogie zum Teenagerleben an sich. Das Gesamtpaket aus 80er-Nostalgie, einem Soundtrack voller Ohrwürmer und einer ansteckenden Riege aus jungen Schauspieltalenten verdient nichts anderes als das Prädikat „Gute-Laune-Streifen“. Diese Rom-Com mit starkem Coming-of-Age-Einschlag besitzt so mehr als nur ein Alleinstellungsmerkmal und ergibt ein rundes Filmerlebnis, das zweifelsohne zu den besten des Jahres zählt.

Regie: John Carney
Drehbuch: John Carney
Musik: Becky Bentham
Darsteller: Lucy Boynton, Maria Doyle Kennedy, Aidan Gillen, Jack Reynor, Kelly Thornton, Ferdia Walsh-Peelo

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Bildrechte: StudioCanal

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