Dass es nicht leicht ist anders zu sein als die anderen, muss Ratte Remy immer wieder am eigenen Leibe erfahren. Eigentlich hat er einen hoch ausgebildeten Geruchs- und Geschmackssinn und würde seine Kolonie gerne zu besserem Essen bewegen. Von seinem Bruder erfährt er dafür nur simpel gestrickte Verwunderung, seinem Vater kommt die Sache sehr gelegen: Endlich hat er jemanden, der das ergaunerte Essen zuverlässig auf Gift prüfen kann.
Kleine Ratte, große Ziele
Doch eigentlich hat Remy höhere Ambitionen. Das Landhaus, unter dessen Dach die Kolonie lebt, wird von einer rüstigen alten Dame bewohnt, die gerne Kochsendungen schaut. Dass sie dabei einen weiteren kleinen Bewohner ihres Hauses erfreuen kann, ahnt sie nicht.
Remy, begeistert von der Welt, die sich ihm dabei offenbart, ist ein großer Fan von Auguste Gusteau, einem Sternekoch aus Paris, der ein Motto vertritt, das passender nicht sein könnte: Tout le monde peut cuisiner – Jeder kann kochen.
Angespornt und vor allem mit viel Input versorgt, versucht Remy aus den Gegebenheiten das Beste zu machen und geht immer höhere Risiken ein, um frische Zutaten und Gewürze zu bekommen. Diese schmeißt jedoch leider niemand in guter Qualität weg, geschweige denn, dass ihn jemand an den Herd lassen würde. So kommt es schließlich, wie es kommen muss: Er wird erwischt und die alte Dame jagt die Ratten mit Schrotflinte und Gezeter aus dem Haus.
Bei der Flucht durch die Kanäle wird Remy von seiner Kolonie getrennt und landet schließlich, wie von einer inneren Stimme geleitet, auf den Dächern Paris‘ – direkt vor Gusteaus Restaurant.
Zeit für neue Gerichte
Seit Gusteaus Ableben läuft hier aber nichts mehr, wie es mal war. Die Küche verlor nicht nur einen Stern, sondern auch an Popularität und Ruf. Der ehemalige Sous Chef Skinner leitet das Restaurant mittlerweile mehr schlecht als recht. Die Speisekarte ist alt, der Meister tot und so ist der tägliche Albtraum, dass ein Kunde gerne mal etwas Neues ausprobieren will.
Genau in dieser Situation kommt auch noch der junge und etwas ungelenke Linguini, der laut Brief seiner Mutter der Sohn und somit Erbe Gusteaus ist, in diese Küche und sucht einen Job. Skinner passt das so gar nicht in den Kram. Er gibt Linguini aber widerwillig eine Stelle als Küchenhilfe oder eher Mädchen für alles.
Kleine Ratte, große Ziele
Die Wege Remys und Linguini kreuzen sich in der Küche des Restaurants bei der Rettung einer Suppe, nach der Remy eingefangen wird und von Linguini entsorgt werden soll. Die Erwartungen an Linguini, der eigentlich überhaupt nicht kochen kann, steigen ins Unermessliche, da jeder in der Küche davon ausgeht, er hätte die Suppe gekocht. Das dies eigentlich aber Remy zu verdanken ist, weiß nur Linguini. Er ist verzweifelt.
Was soll er denn nun tun? Gerettet wurde die Suppe von dieser Ratte oder hatte er sich das nur eingebildet? Und überhaupt versteht diese Ratte doch sogar viel mehr, als sie eigentlich sollte… Und genau da formt sich ein Band zwischen der kleinen Ratte und dem schlaksigen Menschen, das die Küche noch kräftig ins brodeln bringen soll. Begleitet von Küchenpersonal mit zwielichtiger Vergangenheit, der energischen Köchin Colette und herausgefordert von einem Kritiker, der für seine Vorliebe für gutes Essen erstaunlich schlank ist, wagen sich die beiden an ein riskantes und nie dagewesenes Kochduett.
Ratatouille ist der 8. Spielfilm aus dem Hause Pixar Animation Studios und mit fast 2 Stunden Laufzeit auch einer der längsten. Geschrieben von Brad Bird, Jan Pinkava und Jim Capobianco hatte der Animationsfilm die besten Aussichten ein Erfolg zu werden, denn sie schrieben schon an den Skripten von beispielsweise Die Unglaublichen (Bird) und König der Löwen (Capobianco). Regie führten Brad Bird und Jan Pinkava.
Die Besetzung der Sprechrollen in der englischen Originalfassung lässt sich sehen (oder in diesem Fall hören). Patton Oswalt (Seinfeld, Magnolia) als Remy, Theater- und Filmurgesteine Ian Holm (Der Hobbit, Der Herr der Ringe, Das Fünfte Element) als Skinner und Peter O’Toole (Troja, Der Letzte Kaiser, Lawrence von Arabien) als Anton Ego, um nur wenige zu nennen.
Mit der Stimme von Tim Mälzer
Die deutsche Fassung setzt in Punkto Promibonus auf Tim Mälzer in der Rolle des Kochs Horst. Überraschenderweise schafft der Fernsehkoch hier tatsächlich ein annehmbares Sprechtempo verglichen mit seinen sonstigen Auftritten.
Die Hintergrundidee zu Ratatouille ist zugegebenermaßen nicht die Neueste. Die Geschichte des aufsteigenden Außenseiters erfindet das Rad nicht neu, bringt aber vor allem in dieser Version nochmal ganz neue Aspekte mit. Die Charaktere wurden liebevoll kreiert und animiert, ihre Entwicklungen sind schlüssig.
Die Ratten wurden sehr sorgfältig entworfen, was auch dringend nötig war, denn über das Thema Nagetiere, auch noch Ratten, die in der Küche mit Nahrung hantieren, können viele eher weniger lachen, geschweige denn sich auf so eine Idee auch nur hypothetisch einlassen (- meine Tante mag den Film deswegen bis heute nicht). Für alle, die nicht vollends phobisch auf Ratten reagieren, hat Pixar hier aber wirklich knuddelige, kleine Viecher erschaffen und ich wage zu behaupten, dass nicht wenige Eltern sich nach diesem Film mit dem Wunsch nach Ratten als Haustier konfrontiert sahen und sehen.
Die Darstellung der Dynamik einer Restaurantküche ist im Film großartig gelungen. Konsultiert wurde Thomas Keller, Chefkoch und Besitzer des „The French Laundry“ in Yountville, Kalifornien. Ein großes Lob verdient zwar nicht nur an dieser Stelle, aber hier besonders deutlich, die Wahl der Farbpalette des Films. Wo reguläre Restaurantküchen normalerweise in kaltem Neonlicht und harten Edelstahlplatten eine sehr sterile Stimmung verbreiten, griff man bei Ratatouille auf Kupfer- und Messingtöne zurück und beleuchtete die Küche deutlich wärmer.
Eintauchen in eine bunte Welt
Dadurch entstand vor allem in diesem sonst sehr ruppigen Gewerbe eine regelrecht heimelige Wohlfühlathmosphäre, die man während des gesamten Films auch außerhalb der Küche wunderbar zu erhalten wusste. Paris erstrahlt in den wärmsten und freundlichsten Farben ohne (sofern die Farbeinstellung beim Fernseher nicht auf Rechtsanschlag steht) aus der Bonbontüte gegriffen zu wirken.
Die Darstellung von Essen, ohne auf die üblichen Sinne wie Geruch oder Geschmack zurückgreifen zu können, ist nicht unbedingt einfach. Ratatouille lässt es aber aussehen wie ein absolutes Kinderspiel.
Grandios ist die optische und akustische Darstellung von Remys Geschmackserlebnissen gelungen, und da bei der Animation auf Foodstylisten verzichtet werden konnte, sieht das gekochte Essen im Film tatsächlich einfach nur köstlich aus. Wer diesen Film bei leerem Magen schaut, wird garantiert hungrig werden, spätestens wenn Colette die Brotkruste als Erklärung für Linguini knistern lässt.
Alles in allem ist dieser Film mehr als nur die Erzählung einer Ratte, die gerne kochen möchte. Er ist eine Liebeserklärung an gutes und vor allem gesundes Essen, eine Geschichte über Freundschaft, Vertrauen und ein Plädoyer dafür, mutig zu sein, um aus alteingesessenen Mustern herauszubrechen und vor allem für Gleichberechtigung einzustehen. Nicht umsonst heimste dieses schöne Stück unzählige Preise ein, darunter einen Golden Globe und einen Oscar, jeweils als Bester Animationsfilm.
Übrigens: Thomas Keller entwarf tatsächlich ein „echtes“ Rezept für die im Film gekochte Variante des namengebenden Ratatouilles.
Im Internet zu finden als „Confit Byaldi“. (Rezept auf Brigitte.de)
Mein Tipp: Dazu Linguini kochen. Nicht nur wegen des Namens eine schöne Ergänzung, auch die Portion im Film stellt sich in der Realität als sehr „haute cuisine-esk“ heraus.
Regie: Brad Bird, Jan Pinkava
Drehbuch: Jan Pinkava, Brad Bird, Jim Capobianco
Musik: Michael Giacchino
Stimmen: Patton Oswalt, Lou Romano, Ian Holm, Janeane Garofalo, Peter O’Toole, Brian Dennehy, Peter Sohn, Brad Garrett
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