Wie in jedem Jahr hat die Spiel des Jahres e.V. erneut die besten Brett- und Kartenspiele mit dem beliebten Kritikerpreis ausgezeichnet. Persönlich habe ich keines der Spiele aus den Kategorien Kinderspiel und Spiel des Jahres gespielt, dafür aber alle Nominierten der Kategorie Kennerspiel des Jahres. Die Crew hätte ich selbst in die Kategorie Spiel des Jahres gesetzt, ebenso Der Kartograph.
Underwater Cities und Paladine des Westfrankenreichs sind für mich schon eher typische Vertreter der Kennerspiele, haben es aber leider nur auf die Empfehlungsliste geschafft. Bei mir wäre Die Crew zum Spiel des Jahres und Paladine des Westfrankenreichs zum Kennerspiel des Jahres gekürt worden.
Kinderspiel des Jahres 2020
Bereits im Juni durfte sich das Kinderspiel Speedy Roll von Autor Urtis Šulinskas über die Auszeichnung als Kinderspiel des Jahres 2020 freuen. Die weiteren Nominierten waren das farbenfrohe Reaktionsspiel Foto Fish von Michael Kallauch und das kooperative Einschätzspiel Wir sind die Roboter von Reinhard Staupe.
Pilze, Äpfel und Blätter liegen auf dem Tisch verteilt, wie auf einem Waldboden. Das ist auch wichtig, denn sie braucht der kleine Igel, um schnell nach Hause zu kommen, bevor ihn der Fuchs einholt. Zum Glück hat sich der Igel eingerollt: zu einer niedlichen Fusselkugel. An der haften die Waldteile wie bei einem Klettverschluss, wenn man denn nur geschickt genug kugelt. Pro erwischtem Waldteil darf man sich ein Stück weit über den Spielplan bewegen, vorausgesetzt, man hat die richtigen Teile erwischt. Das tut man kooperativ oder im Wettstreit. Und wer schon richtig gut ist, dieses Rollen zu spielen, probiert die Varianten für Fortgeschrittene und Profis aus – und muss die Kugel zum Beispiel mit geschlossenen Augen rollen. Dieses Geschicklichkeitsspiel mit taktischer Note ist einfach eine runde Sache.
In Kinderspielen wurden schon viele Dinge gerollt. Murmeln, Kugeln, Stämme, aber bis jetzt war noch kein Tennisball dabei. Die Idee, diesen als Igel zu behaupten, an dessen filzigen Stacheln mit Klett beschichtete Äpfel, Pilze und Blätter hängen bleiben, ist allein schon besonders. Aber das alles mit einem Wettrennen zu verknüpfen, bei dem der Igel tatsächlich über den Tisch kugelt und die „aufgespießten“ Dinge die Zugweite bestimmen, macht den besonderen Reiz von „Speedy Roll“ aus. Egal ob kooperativ oder gegeneinander: Hier wird bei jeder Partie eine spannende Geschichte erzählt.
Kennerspiel des Jahres 2020
Heute nun wurden sowohl das Spiel des Jahres als auch das Kennerspiel des Jahres prämiert. Den Kritikerpreis als Kennerspiel des Jahres 2020 konnte die kooperative Weltraumreise Die Crew von Autor Thomas Sing für sich gewinnen. Die weiteren Nominierten waren das Landschaftspuzzle Der Kartograph von Jordy Adan und das Verhandlungsspiel The King’s Dilemma von Hjalmar Hach, Lorenzo Silva und Carlo Burelli.
Als Teil einer Raumschiff-Crew reisen die Spieler zum neunten Planeten am Rand des Sonnensystems. Dabei begegnen ihnen allerlei typische Probleme der Raumfahrt: Defekte Triebwerke oder Sauerstoffmangel dienen als thematische Aufhänger für ein kooperatives Stichspiel, das die Spieler in 50 immer kniffligeren Missionen herausfordert. Zu Beginn werden dazu Aufgaben verteilt: Welches Crew-Mitglied muss welche Karte in einem Stich gewinnen? Und muss dies in einer bestimmten Reihenfolge geschehen? Beim Absolvieren der Mission sind die Kommunikationsmittel der Spieler stark eingeschränkt: Informationen über die eigene Kartenhand dürfen allenfalls bruchstückhaft mitgeteilt werden. Nur mit Teamwork, Weitblick und Ideenreichtum können die Crew-Mitglieder deshalb das ferne Ziel erreichen.
Die Crew ist ein kooperatives Stichspiel und alleine damit schon etwas Besonderes. Doch der Reiz erschöpft sich nicht in diesem Alleinstellungsmerkmal. Kaum ein Spiel zuvor war in der Lage, den besonderen Charme von Stichspielen so auf den Punkt zu bringen. Ganz beiläufig werden die Sinne für die Feinheiten dieses Genres geschärft und die Spieler gleichzeitig auf originelle Weise herausgefordert. Die Crew ist Missionar und Mentor zugleich. Eine wahrhaft großartige Reise!
Spiel des Jahres 2020
Den prestigeträchtigen Preis für das Spiel des Jahres 2020 vergab die Jury in diesem Jahr an das Kreativspiel Pictures von Daniela und Christian Stöhr. Die weiteren Nominierten waren das Städtepuzzle My City von Reiner Knizia und das Legespiel Nova Luna von Uwe Rosenberg und Corné van Moorsel.
Bauklötze, Schnürsenkel, Symbol-Karten und mehr. Die insgesamt fünf in „Pictures“ enthaltenen Material-Sets könnten auf den ersten Blick kaum unterschiedlicher sein. Trotzdem dienen sie alle demselben Zweck: Mit ihnen sollen die Spieler Foto-Motive so darstellen, dass ihre Mitspieler diese in der großen Gesamtauslage wiederfinden können. Je nach Aufgabe und Material ist das gar nicht mal so einfach, sondern erfordert kreative Ideen und Abstraktionsvermögen. Außerdem muss der Überblick über die anderen Motive der Auslage gewahrt werden, damit man nicht versehentlich doppeldeutig werkelt. Wenn alle Spieler mit ihren Kreationen zufrieden sind, folgt das gegenseitige Erraten mit Punktevergabe. Anschließend wird durchgetauscht, sodass jeder Spieler jedes Material-Set einmal ausprobieren kann.
Die Material-Sets in Pictures wirken anfangs fast willkürlich zusammengewürfelt, sind in Wahrheit aber klug gewählt: Jedes Set fordert die Spieler auf andere Art heraus, und so ist der Anreiz zum Experimentieren enorm. Die Ergebnisse sind oft erstaunlich, weshalb die Raterunden schnell dem Besuch von Kunstausstellungen gleichen: Mit tollen Aha-Momenten und amüsierenden Rechtfertigungsversuchen des missverstanden Künstler-Genies. Große Kreativität mit einfachsten Mitteln!