Sonne und Beton (2023) | Filmkritik

Sonne und Beton

Felix Lobrecht ist ein Phänomen dieser Zeit. Alles, was der 34-jährige anfasst, scheint Gold zu werden. Seine Bühnen-Shows sind nach Minuten ausverkauft, sein Podcast Gemischtes Hack mit Tommi Schmitt zählt immer noch zu den erfolgreichsten der Welt. Und dann ist da noch sein Roman. Sonne und Beton, natürlich ein Bestseller. Bei ihm läuft, kann man sagen.

Was also ist der logische next Step?

Natürlich, ein Kinofilm. Drei Jahre hat es gebraucht, um den Bestseller leinwandtauglich zu machen. Zusammen mit Regisseur David Wnendt schrieb Lobrecht auch das Drehbuch zu Sonne und Beton und war auch während der gesamten Produktionszeit Ansprechpartner für allerlei Themen rund um das Leben in einem Berliner Problembezirk.

Er selbst hat es ja am eigenen Leib erfahren, ist in Neukölln aufgewachsen. Auch Sonne und Beton soll teilweise von persönlichen Ereignissen inspiriert sein, ist aber weit weg von einer tatsächlichen Autobiografie.

© Constantin Film


2003: Der Sommer in Berlin ist dieses Jahr besonders heiß. Auf dem brennenden Asphalt erhitzen sich auch die Gemüter der Jugendlichen. Inmitten der Plattenbauästhetik von Gropiusstadt schleppt sich Lukas (Levy Rico Arcos) durch den Alltag. Begleitet von seinen Freunden Gino (Rafael Luis Klein-Hessing) und Julius (Vincent Wiemer) gerät er bereits in den ersten Minuten des Films in einen Konflikt mit einer Gruppe Jugendlicher, die im Park Drogen ticken.

Zwischen Hoffnung und Verzweiflung im Plattenbau

Mit weitreichenden Folgen: Lukas muss Geld auftreiben, um den Streit beizulegen. Von seinem alleinerziehenden Vater (Jörg Hartmann) kann er keine Hilfe erwarten, ebenso wenig von seinem großen Bruder Marco (Luvre47).

Als seine Schule eine große Ladung neuer Rechner erwartet, wittert die Gruppe ihre Chance auf einen Coup. Mit der Hilfe des neuen Mitschülers Sanchez (Aaron Maldonado Morales) planen sie einen Einbruch, der ihr Leben verändern soll. Raus aus den Schulden und aus der Armut.

Währenddessen schlagen sich die vier Jugendlichen durch ihren Alltag, u.a. muss Gino mit seinem alkoholkranken und gewalttätigen Vater (David Scheller) klarkommen und Julius fällt die Pistole seines Bruders in die Hände.

© Constantin Film


Die Geschichte von Sonne und Beton ist einfach gehalten. Keine konstruierten Twists, keine hollywood-esque Überinszenierung. Im Mittelpunkt des Films steht das Leben im Plattenbau. Für den einen oder anderen sicherlich eine fast unwirkliche Parallel-Gesellschaft, die es der Film aber wie kaum zuvor schafft in eine Realität zu verwandeln, die jeden erreicht.

Selten war Jugendsprache so authentisch & ehrlich

Dazu trägt zum einen der Einsatz von Bildsprache und Musik bei. 2003 steht auch für die frühen Jahre des roughen Gangsterraps, und so ist Aggro Berlin natürlich ein nicht unwesentlicher Bestandteil des Soundtracks (in einer kleinen Nebenrolle ist auch B-Tight zu sehen).

Einer der wichtigsten Pfeiler des Buches war aber die Sprache. Selten zuvor wurden Charaktere aus dieser Welt so lebendig und greifbar. Zum Glück schafft es der Film, genau das ebenfalls zu transportieren. Viele große deutsche Produktionen inszenieren von oben herab eine Scheinwelt, die oft an der Glaubwürdigkeit scheitert und sich zum Teil in Fremdscham verliert. In Sonne und Beton sind die Dialoge authentisch, erwecken die Figuren und ihre Welt zum Leben.

Vor allem die Darsteller haben daran keinen unwesentlichen Anteil. Die Schauspieler der vier Kids sind größtenteils ebenfalls in Problembezirken aufgewachsen und erfrischend unverbrauchte Gesichter in der ansonsten oft festgefahrenen Filmlandschaft Deutschlands. In Nebenrollen sind unter anderem auch Rapper wie Luvre47 oder Olexesh zu sehen, die ähnliche Biografien aufweisen.

© Constantin Film


Authentizität ist das Stichwort. Schon 4 Blocks hat das bewiesen. Nicht ohne Grund zählt die Serie (u.a. mit Kida Khodr Ramadan und Veysel) zu einer der erfolgreichsten und, viel elementarer, besten des Landes.

Eine erfrischende Neuinterpretation des Coming-of-Age-Genres

Nun geht es in Sonne und Beton natürlich nicht um rivalisierende Clans und organisierte Kriminalität. Das Drama widmet sich vielmehr dem Plattenbau-Alltag. Und trotzdem gibt es diese Parallele, die so wichtig ist für künftige Projekte und den Erfolg dieser Projekte. Sie schafft nicht nur eine für das deutsche Kino beeindruckende Ernsthaftigkeit und Glaubwürdigkeit, sondern hilft eventuell auch dabei die oft abgehobene, mittelständische deutsche 08/15-Filmindustrie auf den Boden der Tatsachen zu holen.

Wenn man in Deutschland hört, dass ein Stand-Up-Comedian einen Film veröffentlicht, ahnt man Schlimmes. Dabei ist Sonne und Beton kein Felix Lobrecht-Film, sondern die Umsetzung eines knallharten Jugenddramas, das ohne Zeigefinger-Moral einem Teil unserer Gesellschaft eine Bühne gibt, der viel mehr Aufmerksamkeit verdient. Eine Art deutscher La Haine, wenn auch nicht ganz in der Brachialgewalt und Dramatik.

Aktuell belohnen die Kinokassen den Film für seinen Mut. Hoffen wir, dass es so weitergeht. Gerade läuft bei ihm, zurecht.

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Bildrechte: Constantin Film

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