Ridley Scott kann Epos. Der Regisseur hat sich in seiner Karriere schon durch viele Genres dirigiert. Mal besser, mal schlechter, aber spätestens seit Gladiator (2000) ist diese Erkenntnis da. Große Bilder und opulente Schlachten zu inszenieren, liegt ihm einfach. Selbst seine schwächeren Filme in diesem Metier haben stets durch diese Attribute glänzen können.
Er kam aus dem Nichts. Er eroberte alles.
Für seinen neuesten Streich kriegt es der Brite mit gleich zwei Exzentrikern zu tun. Der eine ist Napoleon Bonaparte, einstiger Kaiser Frankreichs und einer der größten Feldherren der jüngeren europäischen Geschichte.
Der andere ist Joaquin Phoenix, ein ohne Frage hervorragender Schauspieler, der mit seinen beeindruckenden Performances in Filmen wie bspw. Joker, Her oder Inherent Vice zu einem der stärksten Charaktermimen Hollywoods zählt, sich aber auch u.a. durch Projekte wie „I’m Still Here“ gerne als unkonventioneller Selbstdarsteller inszeniert.
Nun treffen die beiden Exzentriker also aufeinander, genauer gesagt spielt der eine den anderen. Und Ridley Scott sitzt hinter dem Thron, lässt die Guillotinen fallen und die Grande Armée in die Schlachten ziehen. Das klingt doch alles erstmal mindestens nach einem Oscar-Kandidaten in sämtlichen Kategorien. Warum das leider nicht der Fall ist, hat gleich mehrere Gründe. Aber schauen wir erst einmal auf die Handlung:
Der Aufstieg & Fall des ikonischen französischen Kaisers
Der Film startet im Jahre 1789, mit Marie Antoinettes Kopf zu Füßen der wütenden französischen Meute. Mitten in dieser Revolution wird Bonaparte beauftragt, den Hafen von Toulon aus den Händen der Alliierten zu reißen. Sein militärischer Erfolg sorgt für eine Kettenreaktion, infolgedessen er durch weitere Feldzüge (u.a. der Ägyptenfeldzug) weiter und weiter die Machthierarchie emporsteigt.
Einen Staatsstreich und einige Koalitionskriege später zieht er als Kaiser Napoleon I. nach Austerlitz, eine seiner bedeutsamsten Schlachten. Fernab von Napoleons politischer Karriere fokussiert sich der Film aber vor allem auf die Beziehung zu seiner großen Liebe, Joséphine Beauharnais (Vanessa Kirby).
Und da liegt auch schon ein Kernproblem des Films. Denn die Chemie zwischen Kirby und Phoenix, die will nicht so wirklich überspringen. Ungelenk und zuweilen skurril, schaut man zwei Individuen dabei zu wie sie sich hassen, bevor sie sich richtig geliebt haben, um sich dann wieder zu vergeben und so weiter.
Ein Held zum fremdschämen
Die emotionale Tragweite dieser Beziehung wird zu keinem Punkt greifbar, und das ist gerade in der Hinsicht besonders schade, dass sich der Film besonders viel Zeit für beide nimmt und dabei wesentliche historische Details unter den Tisch kehrt.
Das Problem fängt allerdings schon bei Napoleon selbst an. Er wird plump und unbeholfen charakterisiert. In diesem sonst doch sehr ernsthaft inszenierten Historiendrama wirkt diese Darstellung zuweilen einfach „cringe“.
Und so fragt man sich, wieviel davon Scotts Intention war und wieviel Phoenix, der bekanntermaßen seine Rollen gerne inhaltlich nochmal anpackt, seinem Napoleon hinzugedichtet hat. Sicherlich ist dieser Kaiser ein kauziger und eigenwilliger Kerl gewesen, nicht umsonst ist der Napoleon-Komplex eine geläufige Verhaltensbezeichnung. Aber eine komplette Diffamierung dieser Person, dessen Genie nur fast non-verbal in den wenigen Schlachtsequenzen zum Vorschein kommt, wäre in einem weitaus gesellschaftskritischeren oder einem satirischen Ansatz deutlich besser aufgehoben gewesen.
Zwischen Comedy und Epos
Hier wirkt es leider fehlplatziert, weil Scott um diese Karikatur herum einen todernsten Historienfilm mit entsättigten Bildern erzählen möchte.
Und so bleiben vor allem die Szenen für die große Leinwand übrig. Und die kann Ridley Scott einfach inszenieren, wie er schon oft genug bewiesen hat. Die drei großen Schlachten, für die sich der Film Zeit nimmt (Toulon, Austerlitz und Waterloo) sind einfach packend von der ersten bis zur letzten Sekunde, wirken authentisch und gigantisch umgesetzt, wie man es heutzutage leider noch selten sieht. In genau diesen Momenten merkt man wieder, dass hier etwas Großes geschaffen wurde, das einfach ins Kino gehört und Spaß macht.
Und so bleibt auch etwas Hoffnung für den Director’s Cut, den Scott aktuell für Apple TV produziert. Ganze 4 Stunden, und damit fast 1,5 Stunden länger als die Kinoversion, soll dieser sein. Einige Kritiker sehnen sich dabei den Film herbei, der Napoleon aktuell verpasst zu sein. Ob sich damit aber die Schwächen auf inhaltlicher und emotionaler Ebene beheben lassen, ist anzuzweifeln.
Zu viele Exzentriker verderben den Film
Fazit: Napoleon ist definitiv für die große Leinwand gemacht und Historien-Nerds sowie Fans von gigantischen Bildern werden in vielen Momenten auf ihre Kosten kommen. Leider scheitert der Film in seinen ruhigeren Momenten und so wirkt das Kinoerlebnis am Ende doch etwas halbgar.
Phoenix‘ Napoleon ist die „cringeste“ Historienfigur der Filmgeschichte.
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