Regisseur Edgar Wright meldet sich mit einem für ihn neuen Genre zurück. Der visionäre Kopf hinter Filmen wie Baby Driver (2017), Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt (2010) und der Blood-and-Ice-Cream-Trilogie betritt die Spielwiese der Horrorfilme.
Ein Liebesbrief an das Soho der 1960er
Doch wer den Filmschaffenden kennt, weiß, dass in Last Night in Soho auf den Zuschauer weit mehr als einfache Jump-Scares warten. Wright nimmt uns mit auf eine visuelle und akustische Reise in die 1960er Jahre des Londoner Stadtteils Soho.
Eloise ist das typische Mauerblümchen: Seit dem Selbstmord ihrer Mutter wächst sie gut behütet auf dem Land bei ihrer Großmutter auf. Alle drei Generation der Familie verbindet die Leidenschaft zur Mode.
Und eines Tages eröffnet sich Ellie eine neue Welt: Für ein Modestudium zieht es sie vom Land nach London. Doch der Traum der jungen Frau zerplatzt im Nu. Ausgegrenzt und verspottet verlässt Ellie das Wohnheim und mietet sich in eine kleine Einzimmerwohnung ein.
Die Geister der Vergangenheit
Im Schatten der Kommilitonen flüchtet Ellie bei Nacht in das glamouröse London der 1960er Jahre. In ihren Träumen verfolgt sie die Geschichte der aufstrebenden Sängerin Sandy und immer wieder vermischen sich Gegenwart und Vergangenheit.
Zwischen Mode von Mary Quant, Sean Connery als James Bond im Kino und dem berühmten Nachtclub Café de Paris im West End wandelt Ellie immer öfter zwischen Traum und Realität. Aber was sind die Absichten des attraktiven, jedoch undurchsichtigen Mannes an Sandys Seite?
Und als ein Mord geschieht, wird aus dem wahr gewordenen Traum plötzlich ein Albtraum, aus dem es kein Entkommen zu geben scheint.
Last Night in Soho als reinen Horrorfilm abzustempeln, wäre eine enorme Untertreibung. Der düstere Psychothriller spiegelt im wahrsten Sinne des Wortes die Emanzipation der Frauen bis hin zur modernen #MeToo-Bewegung wieder. Und dieser Weg ist steinig, schwer und voller Blut.
Ein atmosphärisches Kunstwerk
Was nach den ersten Minuten noch wie ein lockerer Teenie-Film wirkt, wird bereits dadurch unterbrochen, dass Protagonistin Ellie zum Aufbruch aus der Heimat ihre tote Mutter im Spiegel verabschiedet. Und dies soll nicht die letzte Begegnung mit dem Tod sein, die ihren Weg kreuzt.
Wright führt seine Zuschauer immer wieder auf eine falsche Fährte, spielt mit dem schaurigen Genre und verzettelt sich das ein oder andere mal auch ein wenig in Klischees. Aber vor allem errichtet er ein kleines Denkmal für das London der 1960er Jahre.
Das Setting und die Kostüme von Last Night in Soho sind eine Augenweide und der Soundtrack rundet das Geschehen gekonnt ab. Downtown von Tony Hatch, Wishin‘ and Hopin‘ von Dusty Springfield und Happy House von Siouxsie and the Banshees sind nur einige der angespielten Songs, welche eine unterhaltsame Zeitreise erlauben.
Ikonen aus vergangenen Tagen
Mit Rita Tushingham als Ellies Großmutter Peggy Turner, Terence Stamp als mysteriöser Barbesucher und der im September 2020 verstorbenen Diana Rigg sind zudem drei Ikonen des britischen Films der 1960er vor der Kamera zu sehen. Doch nicht nur die Vergangenheit wird in Last Night in Soho zelebriert.
Der Fokus liegt auf Thomasin McKenzie (Jojo Rabbit) und ihrer Spiegelschwester Anya Taylor-Joy (Das Damengambit).
Die gemeinsamen Ellie-Sandy-Sequenzen verwirren die Gedanken des Zuschauers auf wunderbare Weise. Sandy scheint über die Tanzfläche der Clubs zu schweben, während Ellie als Schatten zunächst dem Treiben folgt. Sobald Ellie ins Licht tritt, beginnen sich die Grenzen zu vermischen.
Ein Blick in den Spiegel der Gesellschaft
Die Dreier-Tanz-Konstellation ist wahrlich ein Highlight des Films, welches seine gesamte Ästhetik offenbart und abermals unterstreicht, welch grandioser Künstler Edgar Wright ist.
Diesem zauberhaften Glanz wird mit fortlaufender Spielzeit immer mehr Alptraum und Horror entgegengestellt. Was man in die Geister der Vergangenheit hinein interpretieren möchte, bleibt dem Zuschauer stellenweise selbst überlassen. Täter und Opfer wechseln sich so oft ab, wie die Spiegelungen von Ellie und Sandy.
Der erste Ausflug von Regisseur Edgar Wright in die Welt von Grusel und Mystery ist wahrlich gelungen. Es mag der bekannte Witz des Regisseurs fehlen, aber dafür begeistert er mit beeindruckenden Bildern, einem nostalgischen Soundtrack und einem Frauen-Duo, das Raum und Zeit verschmelzen lässt.
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