Fresh (2022) | Filmkritik

Es gibt Filme, die der interessierte Zuschauer guckt, weil er weiß, was er zu erwarten hat und zufrieden ist, wenn er genau das bekommt. Und es gibt Filme, die der interessierte Zuschauer lieber ganz unvorbereitet und erwartungsneutral schauen sollte, weil er ihn in ungeahnte Abgründe entführt. Zur letzteren Art darf Fresh von Mimi Cave gezählt werden, welcher seit April 2022 auf Disney Plus verfügbar ist.

Eine perverse Vorliebe als Symbol für patriarchalen Machtmissbrauch

Fresh handelt von Noa (Daisy Edgar-Jones), die auf Partnersuche ist, doch mit ihren Flirt-Apps nur schlechte Erfahrungen mit miesen Typen macht. Rein zufällig lernt sie in der Gemüseabteilung eines Supermarktes den charmanten Steve (Sebastian Stan) kennen, der ihr mit seinem Humor imponiert.

Noa lässt sich auf die neue Bekanntschaft ein und nach einem gelungenen Date bei ihr lädt Steve sie für ein Wochenende zu sich nach Hause ein – abgeschieden und fernab der Stadt. Ein Ausflug, der zum Albtraum wird: Steve betäubt und fesselt Noa und weiht sie in sein perverses und sadistisches Geheimnis ein.

© Disney

In der ersten halben Stunde plätschert Fresh wie eine seichte Romantic-Comedy dahin, die sich vor allem auf das Kennenlernen und die Dynamik zwischen den beiden Protagonisten konzentriert.

Radikaler Twist nach 30 Minuten

Dies erweist sich als ein sehr lang geratenes Intro, denn auf den radikalen Bruch nach 30 Minuten folgen erst die Opening Credits. Fortan entwickelt sich der Film zunehmend zu einem faszinierend-abstoßenden Psycho-Thriller mit einer Spur makabren Humor. Ein riskanter Stimmungscocktail, der funktioniert, weil das Mischverhältnis passt.

Der Zuschauer durchlebt mit der Protagonistin einen emotionalen Gang durch die Hölle und begleitet sie bei der vermeintlich unmöglichen Aufgabe, sich aus den Fängen ihres Kidnappers und seinem überdimensioniert wirkenden Zuhause zu befreien.

© Disney

Kritik an Patriarchat und Männlichkeit

Was genau sich in dem Haus von Steve abspielt, soll unerwähnt bleiben. Doch im Kern geht es bei Fresh vor allem um Machtstrukturen und deren Missbrauch durch das Patriarchat. Ein System, in der Frauen nicht mehr sind als Handelsware, als ein Stück Fleisch. Männer, die sich gegenseitig unterstützen, um das System aufrechtzuerhalten und sich an der eigenen Macht zu bereichern. Dabei wird eine perverse Vorliebe kultiviert und in einem marktwirtschaftlichen System eingebettet. Alles, was der Film zeigt, lässt sich derweil auch als Metaphern lesen.

Toxische Verhaltensweise von Männern zeigen sich dabei bereits in der harmlosen ersten halben Stunde, als etwa ein Mann, den Noa datet, ihr Vorschriften zum Kleidungsstil machen möchte und beleidigend wird, als sie ihn abweist. Von Dick Pics, die Noa von anderen Männern erhält, mal ganz zu schweigen. Zugleich wird das Bild des starken Mannes immer wieder dekonstruiert, wenn etwa ein Freund der besten Freundin Noas sich als Retter der Damsel in distress aufschwingt, aber bereits beim Geräusch eines Schusses das Weite sucht.

Promising Young Woman lässt grüßen

Mit seiner patriarchalen Kritik schlägt Fresh in eine ähnliche Kerbe wie der Überraschungshit Promising Young Woman von Emerald Fennell. Die Ähnlichkeit zeigt sich auch in popkulturellen, musikalischen Einschüben, die so gar nicht in die Stimmung des Filmes passen wollen, aber doch irgendwie funktionieren. Die Darstellung Steves als Psychopath wandelt zwischen Patrick Bateman und charmanten Sunny-Boy-Psychopathen a là Dexter oder Joe Goldberg.

© Disney

Gespielt wird Steve von Sebastian Stan, der unter anderem als Winter Soldier in den Marvel-Filmen bekannt ist. Stan schafft den Spagat aus liebenswürdigen Unschuldslamm und einem sadistischen Kontrollfreak spielend leicht und sorgt trotz seiner Rolle für den ein oder anderen Lacher. Noch eindrücklicher ist das Spiel seiner Schauspielpartnerin Daisy Edgar Jones, die Noa verkörpert und dabei zwischen Verletzlichkeit und Selbstbewusstsein oszilliert.

Ende mit Mängeln

Schwächen offenbart das Ende, an dem der Antagonist Steve sich plötzlich nicht mehr allzu klug anstellt, viele Szenen zunehmend vorhersehbar werden und dann noch eine Freundin und Komplizin Steves erscheint, die die Protagonistin in Kämpfe verwickelt, als der Spannungsbogen längst schon abgeflaut ist. Mehr Screentime und mehr Tiefe hätte auch die von Jonica T. Gibbs verkörperte Rolle der besten Freundin Noas verdient gehabt, eine toughe Figur, die in der Mitte des Filmes zu lange abtaucht.

Insgesamt macht Fresh seinem Namen alle Ehre: Es ist ein erfrischender Film, dem es gelingt ein sehr abstoßendes Thema durch seine schwarzhumorige Inszenierung verdaulich zu machen ohne dabei die Bedrohlichkeit des Szenarios, in der die Protagonistin hineingeworfen wird, abzuschwächen.

Neben starken Schauspielleistungen überrascht Fresh durch groteske Einfälle, durch eine starke Kameraarbeit, assoziative und suggestive Bilder und viele kleine Details, die den Zuschauer dazu verleiten, den Film auch ein zweites Mal zu schauen – auch wenn der Effekt des Plot-Twist nach der Erstsichtung natürlich nicht mehr zu wiederholen ist.

Bewertung

Trailer

Informationen

Fresh | 15. April 2022 (Deutschland) 6.7
Regisseur: Mimi CaveDrehbuchautor: Lauryn KahnDarsteller: Daisy Edgar-Jones, Sebastian Stan, Jojo T. GibbsHandlung:

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Bildrechte: Disney

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