„Was gegen die Natur ist, hat auf Dauer keinen Bestand.“, so wusste Evolutionstheoretiker Darwin. Sein Gesetz des Stärkeren ist auch Jahrhunderte nach seinem Tod noch gültig. Nur der Anpassungsfähigste hat Überlebenschancen und die natürliche Selektion sichert den Fortbestand nur für den Stärksten. Auch Jahrhunderte nach Darwins Forschungen sind seine Erkenntnisse noch aktuell.
Diese Aktualität steigt, als sich der neuzeitliche Mensch als Organismus herauskristallisiert, der nach Meinung vieler der Natur entgegensteht. Menschen bauen Häuser. Sie teeren Straßen, holzen Wälder ab und rotten Arten aus. Im 21. Jahrhundert entfernt die stetige Fortentwicklung der Technologien sie sogar noch weiter von der Rolle, die ihnen ursprünglich von der Natur gegeben wurde. Natürlich, sagen die einen, aber dass wir noch hier sind macht uns zu Darwins „Stärkerem“. Nein, sagen die anderen und erkennen den Menschen als das Element, das wegen seiner Gegensätzlichkeit zur Natur auf Dauer keinen Bestand haben wird.
Angenommen, sie hätten Recht: Was würde uns dann erwarten? Vielleicht würde es genauso passieren, wie in M. Night Shyamalan Endzeit-Thriller The Happening gezeigt. Vielleicht würde die Natur zurückschlagen: auf die menschliche Natur reagieren und Pflanzen durch die Abgabe von Neurotoxinen dazu bemächtigen, Menschen überall auf der Welt in den Selbstmord zu treiben. Möglicherweise reagiert die Natur auch wie in Roland Emmerichs spektakulärem Katastrophenfilm 2012: mit einem Kontinentaldrift, der durch Erdbeben, Vulkanausbrüche und Tsunamis die Welt an sich in den Untergang treibt. Oder sie reagiert mit einem fatalen Virus und lässt damit die Horrorszenarien von Neil Marshalls Doomsday, Danny Boyles 28 Tage später oder Francis Lawrences I am Legend Wirklichkeit werden.
Filme über die Rache der Natur gibt es genügend, denn der Film ist ein Medium, das menschliche Natur von allen Seiten beleuchtet. Das macht den natürlichen Mensch-gegen-Natur-Konflikt zu einem der filmischsten überhaupt. Menschen haben sich so in Tierhorrorfilmen gegenüber Wildtieren behaupten müssen. Sie stellten sich gegen Naturkatastrophen oder schlugen sich durch die Widrigkeiten der Wildnis. Die Schönheit unberührter Natur nimmt dir den Atem, so die Grundaussage der meisten Filme dieser Art, und wenn du nicht aufpasst, nimmt sie dir den Atem für immer.
In den meisten Fällen diente der Kontrast von wunderschöner und zugleich düster-gefährlicher Umgebung der Untermauerung von den Licht- und Schattenseiten menschlicher Natur im Allgemeinen, so in Filmbeispielen wie Jerzy Skolimowskis Essential Killing. Einige Filme zogen es sogar von der anderen Seite auf und ließen den Mensch-gegen-Natur-Konflikt nicht die eigentliche Handlungsdramaturgie stützen, sondern machten ihn zum Mittelpunkt der Dramaturgie, den alle restlichen Filmbestandteile stützen sollten. Ein aktuelles, deutsches Beispiel dafür ist Jacob Schlafens geplanter Independent-Thriller Sie jagen bei Nacht, der aus Essential Killings düster-gnadenlose Natur sogar Inspiration gezogen hat.
Wohin fliehst du, wenn die Natur dein größter Feind wird? – so lautet eine zentrale Handlungsmotivation in Skolimowskis, Schlafens, Emmerichs sowie Shyamalans Survival-Filmen und Dutzenden ihrer Art. „Natur ist unerbittlich und unveränderlich“, so Galileo Galilei „es ist ihr gleichgültig, ob die verborgenen Gründe und Arten ihres Handelns dem Menschen verständlich sind oder nicht.“ Diese Aussage steht im Zentrum so gut wie aller Thematisierungen des Mensch-gegen-Natur-Konflikts. Die Herangehensweise an diese zentrale Aussage ist aber bei weitem nicht immer dieselbe, denn die tatsächliche Gestalt feindlicher Natur ist äußerst vielseitig. Umso interessanter, einen Blick auf die vielfarbige Liste aus Filmen zu werfen, die den Menschen bisher mit den unerbittlichen Handlungsweisen der Natur konfrontiert haben. Das haben wir für euch getan und eine Bestenliste von zehn Filmen dieses Themas zusammengestellt, die ihr unbedingt gesehen haben solltet.
1. Liam Neeson kämpft in Carnahans „The Grey“ gegen menschliche Natur
Joe Carnahans minimalistisch und fatalistisches Survival-Drama The Grey wendet sich bewusst dem überladenen Hollywood-Mainstream entgegen und schickt Actionstar Liam Neeson als John Ottway in die Tundra Alaskas, wo er sich nach einem Flugzeugabsturz zusammen mit sieben Bohrarbeitern gegen tödliche Kälte, vernichtenden Hunger und aggressive Wölfe behaupten muss.
Der düstere Grundton des Settings mündet in eine zynische Verbitterung über die selbstzerstörerische Natur des Menschen. Carnahan erbaut einen karg archaischen Kosmos eigener Gesetzmäßigkeiten – denen vom Überleben des Stärkeren. Unfähigkeiten, menschlicher Egoismus und dessen Arroganz werden von der Natur unverzüglich und gnadenlos mit dem Tod bestraft. Die Schönheit der majestätisch weiten Landschaftsaufnahmen eines schneeverschütteten Alaskas wird für die acht Verunglückten zu einem bedrückenden Gefängnis ihrer eigenen Anmaßungen und steigert sich in eine alles entscheidende Frage: Werden sie daraus entkommen?
2. Ethan Hawke kämpft in feindlicher Natur ums „Überleben!“
Frank Marshall verfilmt 1993 Piers Paul Reads Buch „Alive: The Story oft he Andes Survivor“, die von der wahren Geschichte einer verunglückten Rugby-Mannschaft handelt. Die Männer stürzen in den Anden Uruguays ab und entdecken konfrontiert mit dieser Extremsituation und den Extremtemperaturen oberhalb der Schneegrenze die umliegende Natur mit ihrem dramatischen Bergfundament als Quelle allen Lebens und zugleich hoffnungsloses Labyrinth ohne Anfang und Ende, das sie wie Tischtennisbälle zwischen Angst, Hoffnung und Verzweiflung hin und her springen lässt.
Statt einer einzelnen Heldenfigur stellt Marshall die Gruppe und ihren dynamischen Überlebenskampf in den Mittelpunkt der Erzählung. Im Geiste des Buches beschäftigt sich Überleben! authentisch, sachlich und minimalistisch damit, welche Züge die menschliche Natur nach Monaten des Ausnahmezustandes Wildnis ausmachen. Die dabei entstehenden Fragen sind ebenso schockierend, wie existenziell: Wenn du im Nirgendwo vor weiten Panoramen verschneiter Bergspitzen dein Leben retten wolltest, kämen Handlungen wie Kannibalismus dann für dich infrage?
3. Jerzy Skolimowskis „Essential Killing“ beleuchtet die Natur der Unmenschlichkeit
Auf den Filmfestspielen in Venedig wird der preisgekrönte Polit-Thriller Essential Killing vom polnischen Regisseur Jerzy Skolimowksi 2010 uraufgeführt. Der eher minder bekannte Film handelt von einem Taliban, der US-amerikanischen Truppen entkommt und sich in die Wälder des winterlichen Polens fliehen kann. Eine Dominoreaktion unmenschlichster Gewalt wird losgetreten und entwickelt vor ausdrucksstarker Wildnis eine verstörende Dynamik der Hoffnungslosigkeit.
Ohne Partei zu ergreifen, erzählt Skolimowski von den Unmenschlichkeiten fremder und erbarmungsloser Natur – der dort draußen sowie der eigenen. Mohammeds Flucht ist zentrales Element der Geschichte: seine Flucht vor der Unmenschlichkeit menschlicher Gewaltakte, vor der seiner eigenen Unmenschlichkeiten und nicht zuletzt vor der Unmenschlichkeit unberührter Wildnis.
4. „Vertical Limit“ bringt Martin Campbell und Chris O’Donnell an ihre Grenzen
Martin Campbells Vertical Limit ist ein Film, der auf vielfältige Weise von Grenzen erzählt und mit Einnahmen von rund 215 Millionen US-Dollar als einer der erfolgreichsten Survival-Filme überhaupt gilt. Peter und Annie Garrett schneiden ihren Vater bei einer Klettertour vom Seil und lassen ihn in den Tod stürzen. Jahre später finden sich Annie und Peter auf einer Besteigung desgleichen Berges wieder, die Millionär Vaughn zu PR-Zwecken eingefädelt hat.
Annie wird zusammen mit Vaughn und Bergführer McLaren in einer Eisspalte verschüttet. Im Basislager stellt Peter einen Rettungstrupp für die Verschütteten zusammen, aber die Natur bleibt feindlich und das Konfliktpotenzial der Beteiligten schürt sich. Vor spektakulären und fotografisch eindrucksvollen Bildern des einsamen Berges erreichen alle Expeditionsteilnehmer bald ihre Grenze. Nur wer sie überwindet, wird sein Leben retten können.
5. Sean Penn schickt Emile Hirsch „Into the Wild“
Mit Into the Wild erzählt Sean Penn die wahre Geschichte von Aussteigers Christopher McCandless, die Jon Krakauer zuvor in seinem gleichnamigen Buch aufgegriffen hatte. Dem Anfang 20-jährigen Christopher (Emile Hirsch) stehen alle Türen offen. Anstatt sich aber den Plänen seiner Eltern zu verschreiben und für die große Karriere als Krone auf einem privilegierten Leben zu entscheiden, lässt er alles hinter sich und bricht als Aussteiger Into the Wild auf.
Er trampt bis in die Wildnis von Alaska. Erst außerhalb der Gesellschaft lernt er tatsächlich zwischenmenschliche Nähe kennen. Die Sonnenseiten des Aussteigerlebens verdunkeln sich aber, als er alleine durchs Nirgendwo wartet, unaufhaltsam an Gewicht verliert und die feindliche Seite menschenleerer Wildnis kennenlernen muss. Das Werk zeigt, wie nah die Schönheit und die Gefahren der Natur beieinander liegen. Manchmal ist Wildnis zum Sterben schön und Christopher muss das auf die härteste Weise erfahren.
6. Robert Redford segelt in „All ist Lost“ dem Tod entgegen
J. C. Chandors schickt Robert Redford 2013 als einzigen Darsteller seines minimalistisch-puristischen Survival-Dramas All is Lost in den Sturm. Als wäre es nicht genug, dass ein über Bord gegangener Container sein Segelboot schwer beschädigt, ergreift ein schwerer Sturm kurz darauf das leckende und lediglich provisorisch stabilisierte Boot und setzt den namenlosen Segler außer Gefecht.
Als er wieder erwacht, muss er sich auf ein Rettungsfloß fliehen, da sein Segelboot binnen der nächsten Minuten sinken wird. Der Sturm wütet weiter. Die Vorräte und Kräfte des Seglers erschöpfen sich zusehends. All is Lost zeigt auf reduzierteste Weise einen Stück für Stück resignierenden Robert Redford im erbitterten Überlebenskampf gegen die unsagbare Kraft einer mörderische Natur, der ein jeder Mensch um Welten unterlegen ist.
7. Richard Harris wird für Richard C. Sarafin zum „Mann in der Wildnis“
Anfang der 70er Jahre legt der Western sein ursprüngliches Gewand ab und beginnt das Element der reinigenden Naturerfahrung von moderner Zivilisation zu integrieren. Sarafins Mann in der Wildnis ist eines der bekanntesten Beispiele dafür. Bei einer Forschungsexpedition im Nordwestterritorium wird der Scout Zachary Bass (Richard Harris) schwer von einem Bären verwundet und nach einem überraschenden Wintereinbruch in der Wildnis zurückgelassen.
Bass überlebt seine Verletzungen und muss lernen, sich mit der Wildnis zu arrangieren. Um zu überleben, muss er von und mit der Natur leben. Das Thema „Mensch gegen Natur“ erreicht in Sarafins Western nicht nur eine Versöhnung, sondern versöhnt Protagonisten Bass zugleich mit seiner eigenen Vergangenheit.
8. „The Way Back“ schickt Kriegsgefangene in die Wüste
2010 erscheint mit dem Drama The Way Back – Der lange Weg die Verfilmung des Romans „Der lange Weg: Meine Flucht aus dem Gulag“ von Sławomir Rawicz. Während des Zweiten Weltkrieges flieht eine Gruppe Kriegsgefangener aus dem Gulag in Sibirien über die Mongolei nach Indien. Peter Weirs visuell packende Film lässt die Männer im Gefangenenlager sowie auf der Flucht vor den Grausamkeiten des Krieges die vielfältigen Grausamkeiten widriger Extremnatur kennenlernen.
Aus Schneestürmen stolpern sie in die Wüste Gobis und schleppen sich bis über den Himalaya. Die wuchtigen Landschaftspanoramen betonen die verschwindend geringe Größe des Menschen vor der gewaltigen Kraft der Natur und werfen die Protagonistengruppe auf der Flucht vor unmenschlichen Umständen in eine Grenzsituation der Gnadenlosigkeit, die alle psychischen und physischen Strapazen der Gruppe greifbar werden lässt.
9. Mackey und Aaron riskieren für Macdonald den „Sturz in die Leere“
2003 erscheint mit Kevin Macdonalds Dokudrama Sturz in die Leere die visuell beeindruckende Verfilmung von Joe Simpsons autobiografischem Buch gleichen Namens. Simpson war zusammen mit seinem Freund Simon Yates nach Peru gereist, um den Siuala Grande zu besteigen und dort seiner Kletterleidenschaft nachzugehen.
Beim Abstieg verunglückte Joe in einem Schneesturm und fiel in eine 10 Meter tiefe Gletscherspalte. Das Dokudrama mischt Interviewsequenzen von Yates und Simpson mit einer visuell direkten Darstellung der Ereignisse durch die Schauspieler Brendan Mackay und Nicholas Aaron, was Simpsons authentischem Überlebenskampf gegen die gnadenlose Natur eine plastische Spürbarkeit verleiht.
10. Roland Emmerich verschiebt „2012“ die Kontinentalplatten
Dass das Thema „Mensch gegen Natur“ nicht zwingend auf minimalistisch puristische Weise inszeniert werden muss, zeigt Roland Emmerich 2009 mit seinem Katastrophenfilm 2012 – das Ende der Welt. John Cusack und Amanda Peet stehen im Zentrum des bildgewaltigen Event-Films, dessen sensationelle Effekte den Klimax feindlicher Naturbewegungen umreißen: den Weltuntergang aufgrund eines Kontinentaldrifts, wie der Maya-Kalender in für das titelgebende Jahr prognostiziert hatte.
Tsunamis, Erdbeben und Vulkaneruptionen steigern sich in ein lautes Spektakel der Effekte und umreißen die gewaltigen Folgen, die widrig gestimmte Natur im schlimmsten Fall heraufbeschwören könnte. Im Angesicht von Naturkatastrophen bleiben Milliarden von Menschen machtlos zurück. Aufklärung gibt 2012 vor allem über das eine: Wenn die Natur es möchte, wird sie aus dem Konflikt „Mensch gegen Natur“ immer und zweifelsohne als großer Gewinner hervorgehen.