Die Bartholomäusnacht (1994) | Filmkritik

Die Bartholomäusnacht Filmkritik

Was unterscheidet dieses historische Drama von anderen Historienfilmen? Einen realen geschichtlichen Hintergrund, starke Darsteller, berauschende Kostüme, glaubhafte Kulissen, große Dramatik, Musik und jede Menge Intrigen haben doch auch einige andere Historienfilme (von denen es trotzdem immer noch zu wenige gibt).

In einer königlichen Familie sind Macht, Verführung und Täuschung miteinander verbunden

Aber der entscheidende Unterschied ist die Intensität die Regisseur Patrice Chereau und sein Ensemble (aus gefühlt 80 % der besten französischen Mimen) hier auf die Bühne zaubern.

Die Darsteller bieten nicht steife ein handelsübliche Darbietung erlernter Schauspielkunst dar, sondern stürzen sich förmlich in ihre Rollen, sie leben und weben und beben in ihnen. Sie gehen so tief in ihnen auf, dass man nicht eine Sekunde zweifelt, ob das Gesehene Realität ist.

© capelight pictures

Es wirkt wie live gefilmtes Leben in einer längst vergangenen Zeit. Das Spiel ist nicht nur stehen und betont sprechen, sondern es ist auch körperlich. Oft gehen die Akteure sehr dicht an den Angesprochenen heran, sodass man das körperliche Unbehagen einer Bedrängung oder die Sinnlichkeit des Augenblicks fast körperlich spürt als Zuschauer. Manchmal fallen sie sogar mit dem Schwung ihrer Bewegung nach vorne, was nicht tölpelhaft oder zufällig ist, sondern der im wahrsten Sinne des Wortes mitreißenden Inszenierung Chereaus zu verdanken ist.

Margot, Schwester von Charles IX., König von Frankreich, und Tochter von Catherine de Médicis, wird gegen ihren Willen mit dem protestantischen König Henri de Navarre verheiratet

Die sowieso sehr aufwühlende Materie von Alexandre Dumas‘ Roman La reine Margot (deutsch unter den Titeln Die Königin Margot und Die Bartholomäusnacht) über das Massaker an den evangelischen Hugenotten 1572 wird hier durch die Glaubwürdigkeit der dargestellten Personen und die emotionale Betroffenheit auf eine Spitze getrieben, die mitunter schwer zu ertragen ist.

Es ist kein leichter Film, den man zum Vergnügen mal eben so zwischendurch schaut. Der Film ist lang und anstrengend und verlangt dem Zuschauer in seiner mentalen Intensität sehr viel ab. Darum wird es kaum einen Zuschauer geben, der aus dem Kino oder von der DVD-Betrachtung kommt und spontan sagt: „Dies ist der beste Film, den ich je gesehen habe.“ (Das habe ich auch nicht bei Braveheart getan, den ich langfristig für den zweitbesten Film aller Zeiten halte).

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Nahezu jede Hollywood-Historie geht im Vergleich dazu runter wie Öl, weil dort doch immer etwas Kintopp und märchenhafte Überhöhung stattfindet. Der sperrige La Reine Margot aus Frankreich bleibt einem zunächst im Halse stecken, ABER je öfter man ihn sieht, desto stärker wird die Wirkung, denn erst dann erkennt man die vielen Feinheiten, welche durch eine enorm hohe Zahl an Personen oft übersehen werden, und derer man sich erst bewusst wird, wenn man die Funktion und die Facetten aller Personen genau erkannt hat.

Ein kunstvolles Epos über Bosheit, Intrigen und Verrat

Dem Standard-Zuschauer wird dieser historisch weitgehend korrekte Film zu unübersichtlich sein, besonders wenn er über wenigr historische Bildung verfügt.

Dies ist ein Cineasten-Film der anspruchsvollen Art, aber auch voller Spannung, Tragik und mit einem fast ständig im Raum schwebenden Flair von Sinnlichkeit, die so weit geht, dass die außerordentlich sinnliche Margot auch mit ihren Brüdern geschlafen hat… anscheinend nicht gezwungen, sondern aus einer überbordenden, weiblichen Sexualität heraus, die gerne immer wieder Neue(s) ausprobiert.

In ihrer Hochzeitsnacht will sie nicht etwa mit ihrem frisch angetrauten Mann Henri vögeln, sondern versucht es erst mit einem ihrer vielen bisherigen Liebhaber, dem mörderisch-bösartigen Herzog von Guise (Spanier Miguel Bose – in diesem Film mit einer teuflisch fiesen Ausstrahlung – in Das Geheimnis der Sahara war er ein wunderschöner arabischer Held). Als das scheitert, meint Margot: Ich werde die Nacht auf keinen Fall ohne einen Mann verbringen und geht mit ihrer Hofdame in die armseligen Straßen und sucht sich dort einen gutaussehenden Fremden aus, mit dem sie sofort Geschlechtsverkehr hat – wohlgemerkt in ihrer Hochzeitsnacht. Dieser Fremde La Mole (Vincent Perez – auch grandios spielend) wird für sie wichtiger als erwartet, da sie sich beim Koitus verliebt.

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Anders als im üblichen Mainstream-Film ist diese unersättliche Person nicht als verachtenswert Verworfene dargestellt, sondern als eine der Guten, die über das bloße begierige Subjekt hinauswächst zur mutigen und klugen Helferin der Bedrohten und sie erkennt, welches Verbrechen dort gerade durch ihre Familie inszeniert wird, dem tausende von Menschen zum Opfer fallen.

Eine blutige französische Geschichtsstunde

Eine weitere Stärke ist die Charakterzeichnung der Bösen. Selten schaffte es eine ältere Frau so abgrundtief mörderisch und intrigant rüberzukommen, wie die Virna Lisi als Mutter der Medici tat. Für diese Rolle wurde sie zurecht mit Filmpreisen überschüttet.

Ihre Söhne sind ebenfalls beeindruckend. Pascal Greggory als dünner, hinterhältiger, arroganter und absolut boshafter Anjou, der offen bisexuell ist. Der jüngste Bruder Alencon ist im Rahmen seiner geringen Fähigkeit auch boshaft – ein Fiesling der zweiten Reihe sozusagen.

Der älteste Bruder Charles IX. ist König und wird von Charakterschauspieler Jean-Hugues Anglade derartig vielschichtig und feinsinnig portraitiert, dass es ein Erlebnis ist. Die geistige Behinderung des beeinflussbaren und labilen Charles ist nicht so stark, dass er keine eigenen Entscheidungen treffen könnte oder auch menschliche Charakterzüge erkennen. Er ist nur mental nicht stark genug, um den verderblichen Einflüssen seiner hasserfüllten Brüder und seiner grausamen Mutter etwas entgegen zu halten.

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Erstaunlich auch die differenzierte Beziehung die sich zwischen Charles und Henry (Daniel Auteuil) entwickelt. Als Symbolfigur der evangelischen wird Henry aus Navarra mit Margot verheiratet, um angeblich Katholiken (wie die Medici) und Protestanten (Hugenotten) zu versöhnen. Obwohl Margot ihn nicht anziehend findet, hilft sie Henry und sogar Charles sieht ihn als Freund… doch was ist die Freundschaft eines schwachen Königs umgeben von machtgierigen Intriganten wert?

Die rote Hochzeit aus dem Kinojahr 1994

Prägend bei der Machart des Films ist stets der Realismus. Hier ist alles dreckig. Die Straßen sind schlammige Kloaken, Kostüme triefen vor Schmutz oder Blut, Menschen schwitzen, bluten. Zwar keine Gewaltorgie (wie sie von den allzu zart besaiteten französischen Kritikern bemängelt wurde) aber dennoch härter, blutiger unangenehmer als jeder Historienfilm vor 1994.

Die Härte ist etwa auf Braveheart-Niveau mit einer noch gnadenloseren Massaker-Tendenz. Neben der körperlichen Unreinheit ist es ebenso die geistige und moralische Verderbtheit, welche die Gesellschaft in diesem Film auszeichnet. Ehebruch, Orgien, Inzucht werden als köstliches Freizeitvergnügen betrieben. Gefasst in wunderbar geschickte Dialoge: Wer verbirgt sich in eurem Schlafgemach? – Ein Liebhaber oder ein Bruder – beides in einer Person?

Nach rund 30 Sichtungen und umfangreicher Kenntnis der anderen Filme des Jahres 1994 zweifle ich nicht eine Sekunde, dass Queen Margot für mich nicht nur der beste ausländische Film, sondern auch insgesamt der beste Film des Jahres ist, gefolgt von Interview mit einem Vampir und Frankenstein.

Bewertung

Trailer

Informationen

Die Bartholomäusnacht | 29. September 1994 (Deutschland) 7.4

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