Der schweizerische Theaterregisseur und Autor Milo Rau, der dafür bekannt ist, sich in Stücken wie Hate Radio, Kongo Tribunal oder Mitleid. Die Geschichte des Maschinengewehrs inszenatorisch mit den politischen Katastrophen auf dem afrikanischen Kontinent zu beschäftigen, rückt in seinem neuen Projekt Das neue Evangelium die Schicksale Geflüchteter an den europäischen Außengrenzen in den Fokus.
Was würde Jesus im 21. Jahrhundert predigen?
Dabei erprobt er mit den Betroffenen selbst anhand eines Passionsspiels den Aufstand gegen die Verhältnisse.
Die zentralen Fragen der dreischichtigen Produktion, bestehend aus einer Kampagne, verschiedenen Kunstperformances und einem Film, werden wie folgt formuliert:
Was würde Jesus im 21. Jahrhundert predigen? Wer wären seine Jünger? Und wie würden die heutigen Träger weltlicher und geistiger Macht auf die Wiederkehr und Provokationen dieses einflussreichsten Propheten und Sozialrevolutionärs der Menschheitsgeschichte reagieren?
Zwischen Dokumentarfilm, Spielfilm und politischer Aktionskunst
Diesen Fragen folgend inszeniert Rau seine Passionsgeschichte in Süditalien, an der südeuropäischen Außengrenze, wo Geflüchtete aus Afrika stranden, anschließend als Erntehelfer auf Tomatenplantagen ausgebeutet werden und gemeinsam mit durch Getreideimporte arbeitslos gewordenen Kleinbauern ums Überleben kämpfen.
Jesus, der von dem Geflüchteten und Politikaktivisten Yvan Sagnet verkörpert wird, kehrt in Das Neue Evangelium in das italienische Flüchtlingslager bei Matera zurück und findet dort unter den Ausgebeuteten seine Jünger. Matera ist dabei nicht nur ein reales Chiffre für die katastrophale europäische Außenpolitik, sondern auch filmhistorisch interessant.
Von Ben Hur (1959) über Pasolinis Das 1. Evangelium – Matthäus (1964) bis hin zu Mel Gibsons Die Passion Christi (2004) wurden viele religiöse Stoffe dort gefilmt und produziert.
Anders als die anderen dort gedrehten Filme, die sich auf herkömmliche Art und Weise an biblischen Stoffen abgearbeitet haben, sucht Das Neue Evangelium in seiner religiösen Vorlage einen gegenwärtigen, sozialen Realismus und zeigt dabei eindrücklich die Solidarität und Hoffnung derer, die kaum noch Luft zum Atmen haben. Oder in den Worten des italienischen Philosophen Giorgio Agamben, wenn er vom Homo Sacer spricht:
Der rechtlose, auf die bare Existenz reduzierte Mensch.
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