Ein Paar filmt sich beim Sex. Die Frau hat eine Maske auf, während sie erotische Befehle gibt. Die Kamera wackelt umher und hält schonungslos auf alle Details drauf, die sich in den Fokus bewegen. Dann endet der Film. Dumm nur, dass es sich bei der lasziven Darstellerin um eine Lehrerin einer renommierten Privatschule in Bukarest handelt.
Bad Luck Banging or Loony Porn im Wettbewerb der Berlinale
Der Film landet natürlich aus Versehen im Internet auf einer einschlägigen Pornoseite. Wenig später ist er auf einem Handy eines Schülers und macht so die Runde in der Schule. Jeder Versuch, den Film aus dem Netz zu löschen, schlägt fehl. Und so muss Emi (Katia Pascariu), die unfreiwillige Hauptdarstellerin des Heimpornos, vor den Elternrat.
Einem Tribunal gleich donnern die aufgebrachten Eltern gegen die junge Frau, die eigentlich eine sehr passionierte und respektable Lehrkraft ist. Doch ihr gegenüber sitzen General, Pfarrer, Antisemiten, Homophobe und jedes erdenkliche Klischee unserer Gesellschaft. Bewaffnet mit Doppelmoral, Engstirnigkeit und Feindseligkeit gegenüber anders denkenden.
Regisseur Radu Jude zeichnet in Babardeală cu bucluc sau porno balamuc (Bad Luck Banging or Loony Porn) ein überspitztes aber nicht unrealistisches Szenario über Moral, Kommerz und Pornografie. Der Film teilt sich in grob drei Teile ein.
Ein satirisches Triptychon
Den Anfang macht, neben dem filmischen Zankapfel in Form eines hausgemachten Schmuddelclips, der Leidensweg der jungen Frau durch ein chaotisches Bukarest. Die Straßen sind laut, die Menschen gehetzt und neben extravaganten Einkaufszentren stehen verfallende Wohnhäuser voller Graffiti.
An der Kasse eines Supermarktes wird die Kluft zwischen Arm und Reich besonders deutlich, wenn eine Kundin aus Geldmangel gezwungen wird, ihre Ware zurückzugeben.
Im zweiten Teil wird in kleinen Filmschnipseln das Alphabet mit groben Begrifflichkeiten, wie Revolution, Pornografie, Küche oder Geschichte aneinander gereiht. Hier werden nur Schlagwörter mit einschlägigen Bilder untermalt, die ihre Wirkung nicht verfehlen.
Von A bis Z durchs Alphabet
Mal schießen US-Soldaten im Filmdokument, welches durch Wikileaks ans Licht kam, dann posiert eine junge Frau vor einem Triumphbogen. Für das weibliche Geschlecht bleiben da nur abwertende Schimpfworte übrig. So befremdlich dieser Teil des Films auch anmuten mag, zeigt er doch, dass unsere Medien uns mit gleicher Präzision bombardieren. Hat man es von A bis Z durchgestanden, transportiert der Film einen zurück zum Tribunal des wütenden Mobs aus Eltern und Lehrern im 3. Teil.
Emi, der man trotz Mundschutz ansieht, dass sie sich wie vor einem Erschießungskommando fühlt, muss mit ansehen, wie eine Mutter den Heimporno auf einem Tablet vorführt, damit auch jeder Anwesende einen Blick auf das Liebesleben und den Corpus der Angeklagten werfen kann.
Das Urteil über die Existenzberechtigung unserer Heldin
Umso befreiender der Moment, wenn sich die Lehrerin endlich zu Wort meldet und sich gegen die Anschuldigung wehrt. Das Plädoyer am Ende ist die Stärke des gesamten Films und hat nicht nur in Rumänien, sondern weltweit eine unglaubliche Aktualität.
Denn was haben Kinder auf Pornoseiten verloren? Wie weit darf auf die Privatsphäre der Menschen Einfluss genommen werden? Wann wird aus Moral Doppelmoral?
Filmisch gesehen gibt es bei Bad Luck Banging or Loony Porn einige Längen und teils technische Patzer, wenn die Kamera, ähnlich einem privaten Urlaubsvideo, über eine Hausfassade wackelt und übertrieben lange in einer Einstellung verharrt oder man einem dicken Mann zusieht, der nur sehr schwerlich aus seinem Geländewagen klettert. Hier hätten einige Kürzungen und Straffungen nicht geschadet.
Wer geduldig bis zum Ende wartet, kann aber ein starkes Finale erleben, dass auch nach dem Film für viel Redebedarf sorgen dürfte.
Ob der Film die Jury der 71. Berlinale überzeugen kann, bleibt abzuwarten. Ich drücke Radu Jude jedenfalls die Daumen.
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