Alte Welten, neue Sehnsucht – Das Mittelalter kehrt zurück

Schon bald entführt uns der Mystery-Abenteuerfilm „Der letzte Tempelritter“ ins 14. Jahrhundert. Eine finstere Zeit, in der die Pest unzählige Opfer fordert und die Kirche Jagd auf vermeintliche Hexen macht. Eine Zeit, die sich wohl kaum jemand zurückwünschen kann… Oder etwa doch? Die stetig wachsende Zahl von Mittelalter-Fans in ganz Deutschland jedenfalls spricht eine andere Sprache. Innerhalb einer breit gefächerten Mittelalterszene werden die „dunklen Jahrhunderte“ auf Mittelaltermärkten, Ritterspielen, Gauklerfesten und ähnlichen Veranstaltungen zu neuem Leben erweckt. Auch Edwin Ball, Mitorganisator und Pressesprecher des Mittelalterlich Phantasie Spectaculum, dem weltweit größten reisenden Mittelalterfestival, stürzt sich mit Begeisterung ins mittelalterliche Leben. Uns hat er erklärt, warum:

Sie gehören nun schon seit 2003 zum Team des Mittelalterlich Phantasie Spectaculum und sind nach wie vor begeistert dabei. Woher kommt die Faszination für das Mittelalter, von der sich seit einigen Jahren immer mehr Gleichgesinnte mitreißen lassen?

Edwin Ball: Das europäische Mittelalter ist das Fundament unserer heutigen Kultur und gerade bei uns in Deutschland allgegenwärtig. Hier finden wir tausende Burgen, mittelalterliche Städte und Bauten.Gleichzeitig birgt das Mittelalter für den modernen Menschen auch den Traum vom vergessenen Leben. Er sieht im ersten Moment nicht die vielen negativen Aspekte dieser Epoche, sondern die Attribute die es heute so nicht mehr gibt. Zeit zum Beispiel. Damals herrschte noch nicht diese Hektik und Rastlosigkeit. Wer an Ritter denkt, bringt diese sofort mit Tapferkeit und Ehrlichkeit in Verbindung (obwohl damals meist das Gegenteil überwog), Attribute die die Menschen heutzutage oft vermissen. Wo Ritter, da auch Burgen. Und wo Burgen sind, ist auch die Romantik zuhause, hübsche Burgdamen die gefeit werden möchten, Minnesänger und mehr. All diese Attribute finden die Menschen auf den vielen mittelalterlichen Veranstaltungen. Sie lehnen sich zurück und genießen den Traum vom vergessenen Leben.

Das Mittelalterlich Phantasie Spectaculum bietet zahlreiche Attraktionen für die ganze Familie wie etwa das Ritterturnier oder das von Künstlern und Gauklern dargebotene „Traumspektakel“. Darüber hinaus schließen sich alljährlich verschiedene Heerlager, überwiegend aus Nord- und Westdeutschland, dem mittelalterlichen Zug an, um ihre Abende im Kreise von Waffenschmieden, Herolden, Mägden und Edelfrauen an der Feuerstelle zu verbringen. Worin liegt der Reiz am rustikalen Lagerleben und dem gemeinsamen Schwelgen in mittelalterlichen Phantasien?

Edwin Ball: Die gesamte mittelalterliche Szene geht sehr offen und kollegial miteinander um, Kommunikation wird hier großgeschrieben. Gemeinsam frönen die Heerlageristen und Rittergruppen einem außergewöhnlichem Hobby mit kulturhistorischem Anspruch und großem Naturempfinden. Statt zum Beispiel ihre Zeit isoliert am Computer zu verbringen, sind diese Menschen ständig im lebendigen Dialog, helfen sich gegenseitig, etwa beim Bau Ihrer Lager und Ausrüstung, oder genießen das einfache, aber auch bisweilen abenteuerliche Wochenendleben in freier Natur.

Was sind das für Leute, die sich in ihrer Freizeit das in mühevoller Handarbeit geknüpfte Kettenhemd über den Leib werfen, um im mittelalterlichen Zeltlager Fladenbrot zu backen und sich im Schwerterkampf zu beweisen?

Edwin Ball: Hier finden wir Menschen aus allen Gesellschaftsschichten, vom Jugendlichen der Spaß an diesem Hobby hat bis zum Akademiker und ganzen Familien, die Ihren Urlaub lieber stückchenweise an verlängerten Wochenenden im Mittelalter verbringen und nicht in die Tropen reisen.

Obwohl Sie überwiegend für die Pressearbeit zuständig sind, verlassen auch Sie jedes Jahr Ihr Büro, um mit dem Festival von Stadt zu Stadt zu ziehen. Als Moderator des künstlerischen Programms schlüpfen Sie dann in die Rolle des „Marktvogt Eduard von Sonnenberg“. Warum ist solch eine zweite, mittelalterliche Identität so wichtig für die Anhänger der Mittelalterszene?

Edwin Ball: Das ist keine zweite Identität. Diese Rolle ist seit über 30 Jahren mein Beruf. Damit verdiene ich meinen Unterhalt und bezahle meine Steuern. Aber sicherlich gibt es viele Rollenspieler, die sich solch eine zweite Identität zulegen. So wird dieses Hobby noch prägsamer und interessanter für den einzelnen Teilnehmer oder die einzelne Teilnehmerin.

Wenn Sie die Wahl hätten, würden Sie tatsächlich Ihr Leben in der modernen zivilisierten Welt gegen den beschwerlichen Alltag im Mittelalter – ohne Strom, Klospülung, PC und all die anderen luxuriösen Annehmlichkeiten unserer Zeit – eintauschen wollen?

Edwin Ball: Niemals. Denn das Mittelalter war geprägt von Krieg und Krankheit, Frondienst und Armut. Und selbst als König war der Lebenszyklus allzu kurz. Zahnschmerzen ohne Schmerztabletten… niemals.

Wie viel hat das fröhliche Lagerleben auf dem Festival tatsächlich mit dem Bild zu tun, das die Wissenschaft seit Jahren vom Mittelalter zeichnet? Jenem Bild, auf dem auch blutige Schlachten im Namen der Kirche, Hexen- und Ketzerverfolgungen, Elend und Krankheiten wie die Pest zu finden sind?

Edwin Ball: Überhaupt nichts, wir produzieren unsere Mittelalterfestivals in phantasievoller Weise und lassen die fröhlichen und schönen Aspekte der damaligen Epoche aufleben. Ein Festival nach kulturhistorischen und wissenschaftlich fundierten Aspekten wäre in Deutschland überhaupt nicht genehmigungsfähig und die Besucher würden sich mit Abscheu abwenden. Oder hätten Sie Lust, über ein Veranstaltungsgelände zu wandern, wo Tonnen von stinkendem Unrat verteilt sind, Ratten herumspringen und last not least die Notdurft an Donnerbalken verrichtet werden muss?

In „Der letzte Tempelritter“ wird eine junge Hexe (Claire Foy) für die sich ausbreitende Pest verantwortlich gemacht und in ein entlegenes Kloster entführt. Dort wartet ein geheimnisvolles Ritual auf sie, das ihre Macht brechen und somit der vernichtenden Pest Einhalt gebieten soll. Werden bestimmte Rituale aus dem Mittelalter auch heute noch vollzogen. Wenn ja, wie kann man sich das vorstellen?

Edwin Ball: Natürlich, wir finden noch viele religiöse, politische und auch kulturelle Rituale des Mittelalters in der heutigen Zeit. Die katholischen Gottesdienste sind generell stark von mittelalterlichen Ritualen geprägt. Die Freimaurer haben noch Ihre Rituale, das Sonnwendfest oder die Jahreskreisfeiern werden noch heute zelebriert.

Im Film werden die Tempelritter Behmen (Nicolas Cage) und Felson (Ron Perlman) auf ihrem weiten Weg in das entlegene Kloster hart auf die Probe gestellt. Im Zweikampf zeigt sich, warum gerade sie die von Kardinal D`Ambroise (Christopher Lee) Auserwählten für die Überführung der Hexe sind. Verraten Sie uns: Wie wurde man im Mittelalter eigentlich zum Tempelritter? Und, wie tritt ein Tempelritter heutzutage auf einem Mittelalterfestival auf?

Edwin Ball: Der Templerorden war ein Geistlicher Ritterorden, der im Laufe des ersten Kreuzzugs entstand. Er war der erste Orden, der die Ideale des adligen Rittertums mit denen der Mönche vereinte. Die Ritterbrüder entstammten immer dem Adel und mussten den Ritterschlag bereits vor dem Eintritt in den Orden erhalten haben und natürlich mussten die Ordensritter sich auch den insgesamt 686 Statuten des Ordens unterwerfen. Der Tempelritter tritt auf den Festivals meist in Rüstung auf, mit weißem Überwurf und Kreuz des Templerordens.

Ab dem 24. März 2011 dürfen wir im Kinosessel Platz nehmen und uns ins „vergessene Leben“ zurückversetzen lassen: In „Der letzte Tempelritter“ schlüpfen Nicolas Cage und Ron Perlman in das Rüstzeug der Tempelritter und hauchen dem finsteren Mittelalter auf der Kinoleinwand neues Leben ein.

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