Guillermo del Toro, der unangefochtene Meister der filmischen Monster, widmet sich mit Frankenstein nun endgültig der wohl ikonischsten Kreatur der Literatur- und Filmgeschichte.
Ein vertrauter Mythos, neu betrachtet
Allerdings nicht für die große Kinoleinwand, sondern für Netflix – was dem Projekt jedoch erstaunlich wenig von seiner epischen Wucht nimmt. In knapp zweieinhalb Stunden entfaltet del Toro eine düstere, melancholische Neuinterpretation, die weniger auf klassischen Schock setzt, sondern vielmehr auf Tragik, Körperlichkeit und existenzielles Leid.

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Die Geschichte wird aus zwei Perspektiven erzählt und rückt damit sowohl den Schöpfer als auch die Kreatur ins Zentrum. Victor Frankenstein erschafft hier kein Wesen aus zusammengeflickten Leichenteilen, sondern ein Monster, das vielmehr aus Hybris, wissenschaftlichem Ehrgeiz und emotionaler Leere geboren wird.
Viktor Frankenstein. Mein Schöpfer.
Del Toro interessiert sich weniger für das Wie der Erschaffung als für die Konsequenzen: Schuld, Verantwortung und die Unfähigkeit des Menschen, mit dem eigenen Werk zu leben.
Diese Entscheidung verleiht dem Film eine beinahe philosophische Tiefe. Es geht nicht um das Monster als Bedrohung, sondern um das Monster als Spiegel menschlicher Grausamkeit. Die Inszenierung erinnert dabei stellenweise an eine gotische Oper – durchtränkt von Schnee, Trauer und einer allgegenwärtigen Schwere.

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Jacob Elordi liefert als Kreatur die wohl beste Leistung seiner bisherigen Karriere ab. Er spielt das Monster nicht als stumpfes Ungeheuer, sondern als leidendes, beinahe anmutiges Wesen, voller Schmerz, Würde und stiller Verzweiflung. Trotz aller Verstümmelung und Körperlichkeit scheint seine natürliche Schönheit immer wieder durch – was die Tragik der Figur nur verstärkt.
Schauspielerische Glanzleistungen
Oscar Isaac als Victor Frankenstein ist ebenso intensiv, wenn auch kontroverser angelegt. Sein Victor wirkt weniger gequält als vielmehr rastlos, fast manisch. Er ist brillant, aber moralisch leer, getrieben von Ego und Selbstverachtung. In manchen Momenten erreicht Isaac eine beeindruckende Abscheulichkeit, in anderen fehlt der Figur jedoch die innere Zerrissenheit, die man erwarten würde.
Mia Goth überzeugt als moralischer Anker der Geschichte. Mit stoischer Ruhe und eisiger Präsenz verleiht sie dem Film eine emotionale Erdung. Ihre Figur ist nicht laut, nicht melodramatisch, sondern beobachtend und gerade dadurch enorm wirkungsvoll.

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Visuell ist Frankenstein eine Wucht. Die Bildsprache ist zutiefst gotisch, voller Schatten, Schnee und morbider Schönheit. Del Toro versteht es meisterhaft, Körperhorror und Poesie miteinander zu verbinden. Die Musik ist eindringlich und melancholisch, manchmal beinahe überwältigend, und trägt stark zur emotionalen Dichte bei.
Das Tempo ist gemächlich, aber angemessen. Die lange Laufzeit fühlt sich größtenteils gerechtfertigt an, da sie Raum für Atmosphäre, Figurenentwicklung und emotionale Wirkung lässt. Der Film wirkt bewusst groß gedacht. Ein Werk, das eigentlich für die große Leinwand geschaffen wurde.

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Der größte Schwachpunkt liegt im Finale. Hier dreht del Toro den Pathos-Regler deutlich zu weit auf. Die emotionale Katharsis wird so stark forciert, dass sie stellenweise ihre Wirkung verfehlt und eher distanziert als berührt. Auch einige Änderungen an der bekannten Geschichte wirken unnötig oder sogar kontraproduktiv.
Ein würdiger, wenn auch nicht perfekter Beitrag
Besonders die neu eingeführte Figur Harlander, gespielt von Christoph Waltz, bleibt überflüssig. Sie trägt wenig zur Handlung bei und lenkt eher ab. Zudem wirken manche Motivationen der Figuren im letzten Drittel verwässert oder zu stark erklärt, anstatt sie wirken zu lassen.
Trotz seiner Schwächen ist Frankenstein ein beeindruckender Film. Guillermo del Toro scheitert nicht – aber er trifft nicht immer ins Schwarze. Dort, wo er sich zu sehr vom emotionalen Druck treiben lässt, verliert der Film an Subtilität. Doch Elordis Kreatur, die herausragende Atmosphäre und der visuelle Stil retten das Gesamtwerk.
Als neue Interpretation eines oft erzählten Stoffes bietet der Film genug Eigenständigkeit, um zu überzeugen. Er ist traurig, schön, manchmal überladen, aber stets ambitioniert. Eine starke Ergänzung zum Frankenstein-Mythos – und ein Film, der trotz Netflix-Veröffentlichung ganz klar nach der großen Leinwand schreit.

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