Horror im Kino klappt meist ohne allzu viel Innovation und Tiefgang. Nicht nur an Halloween erfreuen sich Zuschauer an einer leicht aufgewärmten Mischung aus Jumpscares, Splatter und Grusel. Doch ab und an kommt es in dem Genre vor, dass sich ein Vertreter etwas wagt und ins kalte Nass springt. Manchmal nur mit dem kleinen Zeh, manchmal in voller Montur.
Und die Zahl der mutigen Filmemacher scheint derzeit ein Hoch zu erleben. Nach Get Out (2017) und A Quiet Place traut sich nun Hereditary – Das Vermächtnis seinem Publikum eine gespenstische Geschichte voller kreativem Horror und origineller Furcht zu erzählen.
Familie Graham scheint ein gesittetes und unspektakuläres Leben zu verbringen. Annie (Toni Collette) ist eine liebevolle Mutter und lebt zusammen mit ihrem Mann Steve (Gabriel Byrne) und ihren beiden Kindern Peter (Alex Wolff) und Charlie (Milly Shapiro) etwas abgelegen, umringt von einem dichten Wald. Ebenso wohnt auch die 78-jährige Großmutter Ellen mit im Haus, welche besonders zu der 13-jährigen Charlie ein enges Verhältnis pflegt. Das junge Mädchen fristet ein Dasein als Außenseiterin und verbringt ihre freie Zeit meist in ihrem Baumhaus, wo sie aus Plastikabfällen und toten Tieren Figuren anfertigt.
Als eines Tages die Großmutter des Hauses verstirbt, verändert sich das Leben aller Beteiligten schlagartig. Nach und nach kommen tief verborgene Geheimnisse der Familie Graham ans Licht – und mit ihnen düstere Erkenntnisse. Es scheint, dass Oma Ellens Ableben ein dunkles und unheilvolles Schicksal heraufbeschworen hat, welches nach und nach das Haus mit Dunkelheit füllt!
Hereditary – Das Vermächtnis gehört zu der Art Film, über welche man im Vorfeld am besten möglichst wenig weiß. New Yorker-Regisseur Ari Aster gab mit dem Werk ebenso sein Regie- wie auch sein Drehbuchdebüt bei einem Langfilm. Und diese Arbeit darf man wohl als äußerst gelungen bezeichnen. Der Film beginnt mit einer vielleicht durchaus langatmigen Einführung der Personen und Gegebenheiten, wobei bereits nach kurzer Zeit ein Gefühl der Unruhe und des Unbehagens beim Zuschauer entsteht.
Dass Familie Graham durchaus nicht die Kopie einer Bilderbuchfamilie ist, zeigt sich zwar nicht direkt, aber unter der Oberfläche brodelt es enorm. Das Verhältnis zwischen Annie und ihrer verstorbenen Mutter war alles andere als rosig, Peter ist ein jugendlicher Kiffer und Charlie ist keinesfalls nur introvertiert, sondern schneidet für ihre Sammlung auch ohne zu zucken einer toten Taube den Kopf ab.
Verstörend und interessant soll diese Familienkonstellation jedoch nur die Spitze des Eisberges sein, welche in 128 Minuten Horror und Furcht auf der Leinwand präsentiert wird. Sobald Hereditary an Fahrt aufgenommen hat, gibt es bis zum Ende kaum noch eine Bremse. Der Einfallsreichtum von Regisseur Aster lässt dabei Freunde des Genres immer wieder laut aufjubeln.
Um nur ein paar eindrucksvoll inszenierte Szenen zu nennen, sei ein äußerst blutiger Autounfall genannt, ein furchterregender Dämon mit Spinnenfähigkeiten und eine Abtrennung des Kopfes am eigenen Leib. Hereditary überlässt nicht immer viel der eigenen Fantasy, sondern zeigt teils schonungslos den Horror im Hause Graham.
Vorgetragen wird dies primär von einer bestens aufgelegten Toni Collette (Little Miss Sunshine), die ihre Familie mit aller Macht versucht zu beschützen und doch dem Wahnsinn zu verfallen droht. Es ist nicht so, dass Regisseur Ari Aster das Genre neu erfindet, aber er setzt die bekannten Puzzleteile neu und äußerst originell zusammen. Wie so oft bei den Vertretern der Sparte Horror und Grusel ist es das Ende, das nicht durch und durch stimmig und vollendet wirkt. Aber allein dies und der etwas zähe Beginn sind die Bausteine, die nicht perfekt gesetzt wurden.
Hereditary – Das Vermächtnis ist ein durch und durch interessanter Horrorfilm, der für den Mainstream funktioniert und doch erfrischend anders ist. Man darf auf weitere Werke von Regisseur Aster gespannt sein und weiterhin das Genre Horror aufgeschlossen im Auge behalten.
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