Das Film auch Kunst ist, wird uns in vielen großen Inszenierungen immer wieder gerne bewiesen. Doch was ist, wenn ein oder mehrere Kunstwerke zum Film werden und der Film zu einem gesamten Ölgemälde verschmilzt? In Loving Vincent wird jede Filmaufnahme in aufwendiger Arbeit mit Ölfarbe übermalt und fügt sich so in das künstlerische Lebenswerk des niederländischen Malers Vincent van Gogh (1853- 1890). Was wie ein Animationsfilm mit biografischem Hintergrund anmutet, wird schnell zu einem Kriminalfilm mit Noir-Elementen.
Armand Roulin (Douglas Booth) bekommt von seinem Vater, dem Postmeister Joseph Roulin (Chris O‘ Dowd), einen seltsamen Auftrag. Nach dem Tod des berühmten Malers Vincent van Gogh soll dessen letzter Brief an seinen Bruder Theo übergeben werden. Armand, ein Raufbold und Trinker, hat für diesen Botendienst allerdings kein Verständnis. Er ist sogar van Gogh abgeneigt, der für viele als irrer Maler gilt; hat er sich doch zuletzt sein Ohr abgeschnitten und es einer Prostituierten geschenkt.
Trotzdem macht sich der Sohn des Postmeisters auf die beschwerliche Reise nach Auvers-sur-Oise, nichtsahnend, dass er schon bald im Sog des faszinierenden Ausnahmekünstlers stecken wird.
Van Gogh, der sich in einem Kornfeld erschoss, hinterlässt viele Fragen und Rätsel. Armand muss mehr und mehr erkennen, dass hinter der Fassade des exzentrischen Künstlers eine zerbrechliche Natur steckte. Als der Zusteller dieses Briefes die letzten nahestehenden Personen befragt, die im Kreise des Künstlers weilten, kommen ihm mehr und mehr Zweifel, ob es sich hier wirklich um Suizid und nicht um Mord handelt.
Je nach Zeugenaussage variiert das Bild van Goghs vom in sich gekehrten Einzelgänger zum wahnsinnigen Exzentriker, dem man nicht in die Augen sehen kann. Als Armand feststellen muss, dass Vincents Bruder Theo ebenfalls vor kurzem verstarb, beginnt die Suche nach der nächsten nahestehenden Person. Kann der unfreiwillige Postbote seine Aufgabe dennoch bewältigen oder landet er am Ende in einer Sackgasse?
Der Bootsmann, der kunstbegeisterte Doktor, die Freundin, der Vermieter und dessen Familie – alle werden sie zu Zeugen und decken mehr und mehr Hintergründe über die letzten Tage des weltberühmten Malers auf. Was wie ein Biopic in edler Öl-auf-Leinwand-Optik beginnt, verstrickt sich mehr und mehr in einen stilsicheren Agatha Christie Thriller. War es Mord und wenn ja, was war das Motiv und wer der Täter?
Dem Zuschauer werden van Goghs berühmteste Gemälde vor Augen geführt, die hier sehr stimmig als Hintergründe und Schauplätze dienen. Portraits erwachen zum Leben und werden zu Protagonisten des Werkes, sodass die umfangreiche Gemäldesammlung als Fundus für diesen außerordentlichen Film genutzt wird.
Wenn die Caféterasse am Abend (1888) zur Kulisse einer nächtlichen Szene wird oder die Sternennacht (1889) über den Köpfen der Hauptfiguren funkelt, wird man der Bildgewalt geradezu ausgesetzt und in die Werke eingesogen, die so liebevoll animiert zum Leben erweckt werden, dass einem fast schon Tränen der Rührung über die Wangen kullern.
Viele Bilder kennt man und doch hat man sie noch nie derart präsentiert bekommen. Zwar ist der namensgebende Künstler längst verstorben, doch bleibt sein Werk als Hauptakteur stets im Fokus der filmischen Reise. Rückblicke, die die Aussagen der Zeugen beleuchten, werden als wunderschöne schwarz-weiß-Zeichnungen voller Details, einer Skizzensammlung ähnlich, dargestellt und mischen den verträumten, melancholischen Ölgemäldelook deutlich auf.
Auf eine nie dagewesene Art und Weise werden sämtliche Werke des Begründers der modernen Malerei in einen solchen Zusammenhang gebracht, als hätte der Zeichner höchst persönlich auf diesen Film hingearbeitet. Dem Zuschauer bieten sich einmalige Einblicke und Erkenntnisse. So hat Van Gogh in nur acht Jahren einen Wandel vom Laien zum Malermeister vollzogen. In dieser Zeit schuf er über 800 Werke, die gefühlt auch alle in diesem Film eingestreut werden.
Solche Informationen und Fakten frischen den Film auf und machen ihn nicht nur zu einem guten Unterhaltungsfilm, sondern eignen sich auch bestens, um in Schulen das Interesse für diesen Künstler zu wecken. Wer nach Loving Vincent kein Interesse hat, eine van Gogh Ausstellung zu besuchen, hat während des gesamten Films geschlafen oder macht sich einfach nichts aus Kunst.
Zwar gab es schon öfter Filme, die reale Schauspielszenen mit Farbe übermalten, wie Feuer und Eis (1983) oder A Scanner Darkly (2006) aber keiner kommt an diese Art von künstlerischer Gewalt heran, die von Van Gogh persönlich zu stammen scheint. Auf jeden Fall einer der ungewöhnlichsten und schönsten Filme, der es in den letzten Jahren ins Kino geschafft hat.
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