Die rote Schildkröte (2016) | Filmkritik

Die rote Schildkröte

Bilder sagen manchmal mehr als tausend Worte. Getreu diesem Motto ist Die rote Schildkröte ein Film, der zwar wortlos aber keinesfalls ohne Inhalt ist.

Ein namenloser Schiffbrüchiger strandet auf einem tropischen Eiland und sieht sich allein der Natur und den Elementen ausgesetzt. Einem Kammerspiel gleich, erlebt er nun das Abenteuer seines Lebens in einer ihm unbekannten Welt. Dabei werden Zuschauer sicher nicht zufällig an Robinson Crusoe oder Cast Away (2000) erinnert. Ob die Odyssee eines Schiffbrüchigen, ohne Tiger, tatsächlich seine 80 Minuten dauerhaft unterhalten kann?

Alles beginnt mit der stürmischen See, die bereits seit Menschengedenken der Quell zahlloser Abenteuer und Leiden ist. Mit einer Nussschale gegen die Gewalten des Ozeans anzukämpfen ist dann doch zu viel für den armen Mann und er landet schließlich als menschliches Treibgut an einem fremden Strand.

Jedoch ist die paradiesische Idylle nichts für den jungen Mann und er plant sogleich seine Flucht von der schönen Insel. Schnell sind aus Bambusstangen und ein paar Lianen ein schnittiges Floß gezimmert, welches immerhin größer als sein altes Bötchen ist. Doch kaum geht die Jungfernfahrt ins azurblaue Meer los, wird das Wasserfahrzeug in alle Teile zerschlagen. Wer oder was dahinter steckt, bleibt bislang unbekannt. Also stapft unser Protagonist, sichtlich angefressen, zurück und baut Floß Nummer 2. Immerhin hat er nicht aufgegeben.

Natürlich hat dieser und andere Versuche das genau selbe Ergebnis. Das Floß zerfällt, und man ist zurück am Strand. Als wolle eine geheimnisvolle Kraft den unfreiwilligen Besucher nicht gehen lassen. Nach einiger Zeit ist der Urheber der Floßattacken ausgemacht: eine rote Schildkröte.

Diese treibt wie ein Koloss friedlich im Meer und scheint nur einen Argwohn gegen Flöße zu haben, nicht aber gegen den Mann. Damit das riesige Geschöpf nicht auch die nächste Flucht verhindern kann, beschließt der Mann, typisch menschlich, den Saboteur zu vernichten. Mit einem Stockhieb ist das Geschöpf erledigt und wird zum Sterben auf den Panzer gedreht. Doch kaum ist die blutige Tat vollbracht, plagen den Gestrandeten Gewissensbisse. Schließlich versucht er sogar das Leben des friedlichen Reptils zu retten, doch vergebens.

Doch was dann passiert, kann natürlich nur in einem Ghibli-Film passieren: aus den toten Resten der Schildkröte schält sich ein hübsches Mädchen. Selbstverständlich fühlt sich der Mann sofort zu dieser attraktiven Fremden hingezogen. Man lernt sich kennen und lieben und gründet bald darauf eine kleine Familie. Aus den Versuchen, das Paradies zu verlassen, wird nun der Wunsch, für immer zu bleiben.

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Das hier nicht ein einziges Wort fällt, ist angesichts der sonstigen filmischen Plapperei eine herrliche und beruhigende Abwechslung. Regisseur Michael Dudok de Witt benutzt ganz einfach andere Mittel, um Inhalt und Emotionen begreiflich zu machen. Musik, Licht, Stimmung und Gesten reichen in ihrer Vielzahl aus, um stets zu verstehen, was für einen Konflikt der Gestrandete durchmacht und wie er durch seine Fehlschläge frustriert wird.

Dabei zeigt sich die Insel stets in der passenden Stimmung. Der grüne, stille Bambuswald; der helle Strand mit dem seichten Meeresrauschen sind nur einige von den stimmigen Kulissen, die einem derart greifbar vorkommen, dass man den Sand unter den nackten Füßen fast schon spüren kann. Und besonders bei der dichten Atmosphäre kommt das ganze Können der Zeichner zum Vorschein, die es schaffen, einen mitten in die lebendige Kulisse zu katapultieren. Dabei vergisst man schnell, dass alles nur Striche und Schraffuren sind.

Kein Wunder, dass zu Recherchezwecken Regisseur de Witt einen Urlaub auf einer Insel machte und dabei jedes noch so kleine Detail aufnahm. Denn gerade die kleinen Details, wie die kleinen Krabben, beleben die Insel und geben ihr eine unvergleichliche Persönlichkeit. Das Wunder und die Schönheit unserer Natur wird hier bestens zur Schau gestellt und so verfliegen die Minuten dieses Films genau so schnell, wie ein echter Urlaub.

Wer bereits Erfahrungen mit dem japanischen Animationshaus Ghibli (Chihiros Reise ins Zauberland) gemacht hat, kann sich mit Die rote Schildkröte auf ein handwerklich einwandfreies Machwerk freuen, dass einem ebenfalls ans Herz wachsen wird. Dass hier kein einziges Wort gesprochen wird, heißt eben nicht, dass man hier nichts erzählt bekommt. Ganz im Gegenteil.

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