Als die britische Schriftstellerin Mary Shelly 1818 ihren Gruselroman „Frankenstein“ schrieb ahnte noch niemand, dass Frankenstein oder Der moderne Prometheus eine der wichtigsten Werke der Literatur werden würde. Das Monster, welches vom wahnsinnigen Victor Frankenstein aus unzähligen Leichenteilen gebastelt und durch einen Blitz zum Leben erweckt wurde, gehört nicht nur zu den beliebtesten Halloweenkostümen, sondern hat auch zu unzähligen Filmen und Adaptionen angeregt.
Ob bei den Munsters (1964–1966), Van Helsing oder der Justice League Dark der DC Comichefte, überall tauchen Anspielungen und Kopien des ursprünglichen Ungeheuers auf. Das Buch regt auch seit vielen Jahrzehnten zu zahllosen Filmumsetzungen und Remakes an. So ist es nicht verwunderlich, dass Hollywood sich wieder an klassischen Horrorstoff wagt und altbewährtes neu inszeniert.
Mit Victor Frankenstein – Genie und Wahnsinn nimmt sich diesmal Regisseur Paul McGuigan (Lucky Number Slevin) des schaurigen Stoffes an, konzentriert sich aber weniger auf das Monster, sondern mehr um seinen Schöpfer, dessen einziger Wunsch darin besteht, den Tod zu überlisten und Leben zu erschaffen.
Als wissenschaftliches Genie mit Hang zum Wahnsinn tritt James McAvoy (Drecksau) in Erscheinung. Als unterforderter Student strebt er nach der göttlichen Macht, den Funken des Lebens in tote Körper zu hauchen. Ihm zur Seite steht der treue Assistent Igor, der von Daniel Radcliffe (Harry Potter-Reihe) mit einem bemerkenswerten Mut zur Hässlichkeit verkörpert wird. Zwar verpasst Frankenstein dem Zirkusfreak ein gewaltiges Makeover, doch bleiben Spuren seiner verunstalteten Körperhaltung dauerhaft zurück.
Im Zirkus lernen sich die beiden jungen Männer kennen, als eine Artistin unglücklich vom Trapez stürzt. Schwer verwundet kann ihr nur noch ein Wunder helfen. Der namenlose Clown mit dem Buckel, der später auf den Namen Igor hören soll, zeigt hier, dass er viel aus seinen medizinischen Büchern gelernt hat, die er in den Pausen liest. Frankenstein ist von so viel anatomischer Kenntnis begeistert und bietet der Zirkusattraktion ein Leben außerhalb der Schaustellerei an.
Im Labor werkeln die beiden erstmals an einem Affenkadaver, den sie mit allerlei anderen Tierteilen aufgepeppt haben. Das Zombieäffchen dreht zwar in der Londoner Universität durch, zeigt aber, welches Potential die Forschung der beiden Wissenschaftler hat. Baron Bomine (Robin Pearce) ist jedenfalls beeindruckt und plant, die Bestrebungen der beiden Genies zu unterstützen. So wird im dritten Akt des Films endlich gezeigt, wie ein Blitz den leblosen Leichenkörper des Monsters zu neuem Leben verhilft. Ob es dann besser ausgeht, als mit dem Affen am Anfang, ist die spannende Frage.
Regisseur McGuigan kümmert sich in dieser Neuauflage anders um den Stoff als gedacht. Statt recht früh mit der Erweckung des Monsters zu beginnen, beleuchtet er lieber die Freundschaft zwischen Frankenstein und Igor. Gerade die Rolle des Helfers wird hier deutlich besser ausgearbeitet, als in früheren Werken. Igor ist nicht bloß bucklig, er ist ein Genie! Mit selbst angeeigneten Kenntnissen in menschlicher Anatomie versteht er wie kein Zweiter, worum es Victor in seinem Streben geht. Ohne Igors Einfälle wäre der verrückte Wissenschaftler, der sich selbst als Prometheus bezeichnet, nicht annähernd so weit gekommen. Statt also Forscher und Assistent bei der Arbeit zu beobachten, hat man es hier mit zwei gleichwertigen Schlauköpfen zu tun.Dabei kann James McAvoy sehr überzeugend zeigen, welche Dämonen seinen Charakter eigentlich im Inneren zerreißen. Da er den Tod seines Bruders nicht verarbeitet hat, sucht Frankenstein hier nach einer Möglichkeit, ein Leben für den Tod einzutauschen. Dabei fragt er sich allerdings später selbst, ob die Existenz eines Leichenhaufens dann noch als Leben gelten kann. Zuerst presst er seine Lippen auf das Gesicht des Monsters und bittet es, zu leben, dann besinnt er sich angesichts der grotesken Monstrosität und erkennt, dass dies kein Leben sein kann. Ebenfalls wird die Loyalität seines getreuen Helfers Igor niemals angezweifelt, bis er sich gegen den Plan der Erweckung stellt.
Um noch mehr Spannung zu erzeugen, ist auch noch Scotland Yard mit von der Partie. Inspector Turpin (Andrew Scott) ist den beiden Monstermachern immer dicht auf den Fersen und versucht Frankensteins Perversionen zu vereiteln. Hierbei kommt es regelrecht zu einem Katz- und Mausspiel in den Gassen Londons.
Mit viel Spannung und großartigen Bildern wird Frankensteins Abenteuer hier bestens in Szene gesetzt. Gerade die beiden Hauptdarsteller Radcliffe und McAvoy haben den Film im Griff und zeigen, dass es auch auf der Theaterbühne als Zweimannstück bestens funktionieren würde. Mit Charisma und einer unglaublichen Wandlungsfähigkeit ist dieser Film das beste, was die Darsteller seit langer Zeit geliefert haben: einen szenisch makellosen, kurzweiligen Gruseltrip, der anders als andere Remakes mehr als nur eine simple Daseinsberechtigung hat. Dieser Film war nötig, um dem toten Stoff des Buches neues Leben zu verleihen.
Well done!
Regie: Paul McGuigan
Drehbuch: Max Landis
Musik: Craig Armstrong
Darsteller: James McAvoy, Daniel Radcliffe, Jessica Brown Findlay, Andrew Scott, Charles Dance
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Bildrechte: 20th Century Fox