Wenn O. Henry den Ruf als Meister des literarischen Twists genießen darf, muss man wohl M. Night Shyamalan als den Meister des filmischen Twists bezeichnen. Kaum einer seiner Filme schafft es ohne große Wendung bis zum Abspann und mit Werken wie The Sixth Sense (1999) oder The Village – Das Dorf (2004) überraschte er sein Publikum durch atmosphärische Thriller, vermischt mit etwas Horror.
Danach folgte jedoch eine lange Durststrecke voller Rückschläge und Misserfolge. Shyamalan entfernte sich immer weiter von seinen Wurzeln und driftete auf die Schiene der Hollywood-Blockbuster ab. Eine Strecke, die ihn zu keinem erfolgreichen Ziel führen sollte. Das Mädchen aus dem Wasser (2006), Die Legende von Aang (2010) und After Earth (2013) wurden von Kritikern und Zuschauern gleichermaßen gemieden.
2015 sollte jedoch das Jahr werden, in welchem Shyamalan die Handbremse zieht und sich auf das besinnt, was ihn einst so besonders machte. Mit einem geringen Budget von 5 Mio. US-Dollar, unbekannten Darstellern und einem fesselnden Drehbuch aus der eigenen Feder, setzte er sich an sein persönliches Comeback und schuf The Visit.
Die alleinerziehende Mutter Loretta Jamison (Kathryn Hahn) und ihre Kinder Rebecca und Tyler führen eigentlich ein idyllischen Leben. Wäre da nicht die Vergangenheit der Mutter. Vor 15 Jahren hatte diese nämlich einen unvergessenen Streit mit ihren Eltern und verließ das Elternhaus ohne Rückkehr.
Es gab nie wieder Kontakt. Anrufe und Kontaktaufnahme via Internet wurden von Loretta ignoriert. Doch ganz anders gehen die 15-jährige Tochter und ihr jüngerer Bruder mit der Situation um. Sie wollen ihre Großeltern kennenlernen und überzeugen daher ihre Mutter, dass sie eine Woche bei Nana und Pop Pop verbringen dürfen.
Mit dem Zug geht es nach Pennsylvania, wo es zu einem herzlichen Treffen mit den neu gewonnenen Großeltern kommt. Was als wunderbare Vereinigung der Generationen und Bilderbuch-Wiedersehen beginnt, entwickelt sich jedoch Tag für Tag mehr zu einem Höllentrip für Rebecca und Tyler.
Schnell bemerken sie, dass ihre Großeltern verstörende Eigenarten besitzen und immer wieder gedankenverloren seltsame Dingen tun. Und was hat es mit der Regel auf sich, dass die beiden Geschwister nach 21:30 Uhr nicht mehr ihr Zimmer verlassen dürfen? Gerade dann, wenn im Haus das Angst einflößende Röcheln und Kratzen beginnt?
Bei der Realisierung seines neuesten Horrorstreiches setzte M. Night Shyamalan auf ein in dem Genre beliebtes Mittel: den Found-Footage-Look. Gefilmt von den beiden Protagonisten beginnt The Visit als familiärische Dokumentation, die Mutter und Großeltern wieder vereinen soll. Der Zuschauer sieht daher nur das, was auch Rebecca und Tyler erleben. Die Umsetzung sowie auch der Einsatz der Laptop-Webcam funktionieren dabei wie schon in Blair Witch Project (1999) oder Cloverfield (2008) einwandfrei. Durch verwackelte, dunkle Aufnahmen wird der Zuschauer mit an den Ort des Geschehens transportiert.
Auf erzählerischer Ebene legt The Visit ebenso packend los. Die Einführung der Figuren wird auf ein Minimum reduziert, was für dieses Genre mehr als ausreicht. Schnell befindet wir uns in der Obhut der mysteriösen Großeltern und täglich erleben wir durch die Augen der Kamera neue und seltsame Vorkommnisse. Dieses Schema funktioniert soweit auch, wie gewohnt von Shyamalan, tadellos und immer wieder läuft es einem kalt den Rücken herunter, wenn beispielsweise Nana die Kinder auf allen Vieren verfolgt oder Pop Pop im Stall seine Flinte putzt.
Wie so oft ist es dann das Ende, was solchen Filmen das Genick bricht. Ist der Twist recht früh absehbar: ja. Ist die Auflösung zu abstrakt und zu früh platziert: ja. Stören all die humoristischen Elemente, die sich durch den Film ziehen: ja. Es sind Kleinigkeiten, die The Visit doch einen großen Schaden zufügen was das Sehvergnügen angeht. Finanziell hingegen hat es sich für Regisseur Shyamalan auf ganzer Strecke gelohnt. Er spielte das 19-fache seiner Produktionskosten ein und auch wenn der Film auf filmischer Ebene kein Meisterwerk ist, scheint Shyamalan wieder auf der richtigen Straße gelandet zu sein.
Regie: M. Night Shyamalan
Drehbuch: M. Night Shyamalan
Musik: Paul Cantelon
Darsteller: Olivia DeJonge, Ed Oxenbould, Deanna Dunagan, Peter McRobbie, Kathryn Hahn