Unser Pfeife rauchender, Deerstalker-Mütze tragender und mittlerweile omnipräsenter Lieblingsdetektiv ist mal wieder zurück. Ab dem 24. Dezember arbeitet Sherlock Holmes in unseren Kinos an seinem allerletzten Fall. Aber braucht man denn wirklich schon wieder eine Verfilmung über den englischen Meisterdetektiv? „JA!“ rufen Sherlockians aus aller Welt, „Laaangweilig!“ rufen andere.
Doch tatsächlich hebt sich Mr. Holmes von den zahlreichen Verfilmungen von Arthur Conan Doyles Geschichten ab. Denn diesmal begleiten wir den arg in die Jahre gekommenen Sherlock Holmes bei der Aufklärung des Falls, der ihn vor dreißig Jahren dazu brachte seine Karriere an den Nagel zu hängen.
Wir befinden uns in England im Jahre 1947. Auf einem Landsitz in Sussex lebt der mittlerweile 93 Jahre alte Sherlock Holmes (Ian McKellen) zurückgezogen und kümmert sich um seine Leidenschaft, die Bienenzucht. Vorbei sind schon lange die Jahre, in denen er zusammen mit seinem Freund Dr. John Watson schwierige Kriminalfälle löste. Alle Weggefährten aus seiner einstigen Glanzzeit sind inzwischen verstorben und auch um Holmes‘ Gesundheit steht es nicht gut. Auch an ihm nagt das Alter und beunruhigt stellt er fest, dass sein einst legendäres Gedächtnis ihn zunehmend im Stich lässt.
Verzweifelt versucht er den Fall zu rekonstruieren, der ihn damals dazu veranlasste mit dem Detektivgeschäft aufzuhören. Auf der Suche nach der Wahrheit begleitet Holmes der junge Roger (Milo Parker), Sohn seiner neuen Haushälterin Mrs. Munro (Laura Linney). Anfangs recht wenig begeistert davon, dass Roger in seinen privaten Sachen herumschnüffelt, erkennt Holmes das Talent und die Neugier des Jungen und beschließt, fortan mehr Zeit mit ihm zu verbringen.
Mehr und mehr kommen Sherlock weitere Details zu dem Fall in den Sinn. Während Holmes Roger die Bienenzucht beibringt, tauschen sich die beiden auch über Holmes‘ vergessenen Fall aus. Rogers jugendlicher Scharfsinn hilft Sherlock sichtlich, sich an immer mehr zu erinnern. Am Ende stehen beide vor einer weit komplizierteren Verstrickung von Umständen als am Anfang zu vermuten war. Auf der Suche nach der Wahrheit muss sich Holmes seiner Vergangenheit, aber auch der Gegenwart stellen, um endlich dahinterzukommen was ihn vor all den Jahren dazu bewog seine Karriere so plötzlich zu beenden.
Mr. Holmes ist die Verfilmung des 2005 erschienen Romans A Slight Trick of the Mind des amerikanischen Autors Mitch Cullin. Nach Gods and Monsters (1998) ist es bereits die zweite Zusammenarbeit zwischen Regisseur Bill Condon und Hauptdarsteller Ian McKellen.
Condon präsentiert uns in seinem Film eine viel menschlichere Seite des weltbekannten Meisterdetektivs, denn das Alter geht auch an jemandem wie Sherlock Holmes nicht spurlos vorbei. Der Mythos Sherlock Holmes ist vielleicht unsterblich, aber der Mensch ist es nicht.
In der Rolle des berühmten Detektivs sehen wir Ausnahmeschauspieler Ian McKellen, der schon in zahlreichen Rollen Maßstäbe setzte. So auch hier. Beeindruckend ist die Altersspanne, die McKellen abdecken kann. Selbst erst in seinen Siebzigern, schafft er es einen 93 Jahre alten Mann zu spielen, dessen Glanzzeit schon seit langem Vergangenheit ist. Holmes‘ körperlichen und geistigen Verfall porträtiert er mit einer Punktgenauigkeit die berührt, und welche die Figur zu keiner senilen Parodie eines einst großen Charakters werden lässt. Die Herausforderung an Autor und Filmemacher bestand darin eine Figur neu zu erschaffen, die man so noch nicht kennt aber trotzdem wiedererkennt.
Auf bekannte Merkmale wie die Deerstalker-Mütze oder die Pfeife wurde weitgehend verzichtet. Vielmehr erkennt man die Figur durch ihren Charakter und ihr Auftreten. Alle seine hohen Qualitäten werden durch Sherlocks Äußeres widergespiegelt, durch Mimik und Gestik. Und dass das so funktioniert ist nicht zuletzt der Verdienst einer großartigen schauspielerischen Leistung Ian McKellens.
Doch auch der restliche Cast liefert eine fantastische Leistung ab. Vor allem Jungschauspieler Milo Parker überzeugt und schafft es Routinier Ian McKellen schauspielerisch die Stirn zu bieten. Roger verkommt nicht zu einem in Sherlocks Schatten stehenden Sidekick, sondern bringt seine eigene Tiefe mit in die Geschichte ein. Milo Parker gelingt es Rogers schmerzvolle und verlustreiche Vergangenheit bewegend darzustellen. Laura Linney komplettiert das „Drei-Personen-Stück“. Wie in vielen ihrer Filme schafft sie es auch hier ihre Rolle mit viel Leidenschaft und Einfühlungsvermögen zu verkörpern.
Der Filmaufbau folgt den Regeln einer klassischen Sherlock Holmes Geschichte, in der nach und nach verschiedene Puzzleteile aufgedeckt werden und am Ende zur Lösung des Rätsels beitragen. Action gibt es dabei jedoch sehr wenig. Der Film lebt überwiegend von seiner Bildsprache. So war es vor allem für Kameramann Tobias Schliessler eine Herausforderung vom dynamischen Actionfilm wegzugehen und die Wirkung der Bilder überwiegend durch Beleuchtung und Bildaufbau zu inszenieren. Zusammen mit der herausragenden Arbeit ihrer Darsteller erreichen die Filmemacher ein stimmiges Gesamtbild, das den Ton des Films bestimmt.
Zeitlich zieht uns der Film in die erste Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Immer wieder auftretende Erinnerungen von Sherlock Holmes führen zu Zeitsprüngen zwischen Jahrhundertwende und Nachkriegszeit. Gedreht wurde Mr. Holmes im Süden Englands und London.
Insgesamt ist Mr. Holmes ein gelungenes, fiktives Biopic zum weltbekannten Meisterdetektiv. Die Darstellung eines gealterten Sherlock Holmes ist eine willkommene Abwechslung zwischen den zahlreichen Verfilmungen von Arthur Conan Doyles Geschichten, welche vor allem durch seinen sehr starken Cast getragen wird, der mit seinem Zusammenspiel auch etwaige Längen in der Erzählung gekonnt überspielt.
Regie: Bill Condon
Drehbuch: Jeffrey Hatcher
Musik: Carter Burwell
Darsteller: Ian McKellen, Laura Linney, Hiroyuki Sanada, Milo Parker
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