Das Märchen der Märchen (2015) | Filmkritik

Das Märchen der Märchen setzt sich aus drei Teilen zusammen, die von drei verschiedenen Königreichen und deren heiklen Angelegenheiten handeln: Im Segment The Queen können sich die Gaukler und Akrobaten noch so sehr ins Zeug legen: Die Königin (Selma Hayek) ist einfach nicht amüsiert, denn alles was sie will, ist ein Baby. Doch um das zu bekommen, müsste ihr Gemahl (John C. Reilly) zunächst ein Seeungeheuer erlegen und dessen Herz anschließend von einer Jungfrau kochen lassen. Die Königin isst schließlich das Herz – mit ungeahnten Auswirkungen.

Der König von Highhills (Toby Jones) interessiert sich im zweiten Märchen The Flea mehr für seine Insektensammlung als für den Heiratswunsch seiner Tochter Fenizia (Jessie Cave). Er hegt und pflegt sein geliebtes Haustier, einen Floh, so dass dieser zu einer gigantischen Kreatur heranwächst. Mit einem Quiz soll ein Gemahl gefunden werden, doch statt eines schmucken Prinzen beantwortet ein hässlicher Oger die eigentlich unmöglich zu lösende Frage.

Die dritte Erzählung The Two Old Women folgt dem sexbesessenen König von Strongcliff (Vincent Cassel) bei den Nachstellungen der zwei mysteriösen Schwestern Imma (Shirley Henderson) und Dora (Hayley Carmichael). Er hat sich in eine liebreizende Stimme verliebt, doch ahnt nicht, dass diese der hässlichen Dora gehört. Im Dunkeln gibt sie sich dem König hin, dessen Neugier ihm jedoch keine Ruhe lässt, bis er sie bei Licht erblickt.

Königreiche müssen nicht immer miteinander verfeindet sein, Krieg führen und durch eine Intrige nach der anderen ihre Macht festigen, wie man das aus Game of Thrones kennt. Vor allem nicht, wenn jedes seine ganz eigenen Herausforderungen zu bewältigen hat. Das Märchen der Märchen basiert auf drei italienischen Erzählungen aus der Sammlung Il Pentamerone von Autor und Poet Giambattista Basile. In seinen Geschichten und Fabeln aus dem 17. Jahrhundert trug er frühe Versionen von Märchenklassikern wie Dornröschen, Rapunzel und Aschenputtel zusammen. In diesen Film ließen die vier Drehbuchautoren Edoardo Albinati, Matteo Garrone, Massimo Gaudioso und Ugo Chiti auch weitere Elemente anderer Fabeln mit einfließen.

Für den italienischen Filmemacher und Maler Matteo Garrone ist Das Märchen der Märchen der erste englischsprachige Film, der unter seiner Regie entstand. Im Mai 2015 feierte er bei den Filmfestspielen in Cannes seine Weltpremiere und ging in das Rennen um die Goldene Palme. Für sein Mafia-Doku-Drama Gomorrha – Reise in das Reich der Camorra und die durchwachsene Mediensatire Reality wurde er in Cannes 2008 und 2012 jeweils mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet. Beim dritten Cannes Besuch blieb ein Preis zwar aus, dafür war er mit seinem Filmbeitrag umso mehr im Gespräch.

Dass die eigentümlichen Haustiere und geheimnisvollen Leidenschaften der Protagonisten zunächst befremdlich wirken, ändert sich auch im Verlauf der Handlung nicht. Jede Geschichte ist auf ihre Weise absurd und damit außergewöhnlich unterhaltsam. Gemeinsam ist den beiden Königen und der Königin nur ihre Neigung zum Unnatürlichen: ein Kind auf unnatürlichem Weg, ein übernatürlich großer Floh und die animalische Begierde nach einer Frauenerscheinung.

Die Hauptrollen wurden mit erfahrenen und bekannten Hollywoodgesichtern besetzt, die jeder Figur ihre eigene Kuriosität und ihren eigenen Wahnsinn verleihen. Allein die Szene, in der Salma Hayek mit solch einer Hingabe und Überzeugung das Herz des Drachen verspeist, drückt das innere Verlangen aus, welches alle drei Geschichten und Herrscher miteinander vereint.

Der kleinwüchsige Herrscher von Highhills sieht in seinem Thron aus wie ein Kleinkind während sein Floh die Größe eines Jagdhundes annimmt und ein Riese seine Tochter an sich reißt. In einem anderen Königreich badet ein sexhungriger König in einem Pool aus nackten Frauen, Wein und Trauben. Jede Figur wirkt wie eine geniale Karikatur von einer oder mehreren Todsünden. Immer dabei: die Habgier.

In Das Märchen der Märchen gibt es keine bekannten Geschichten vom Guten und Bösen und „wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute“. Die Stories wandeln zwischen Komik und Tragik, Absurdität und Sensibilität. Leben und Tod, Schicksal und Zufall gehen Hand in Hand. Für ihre Gier müssen alle drei Protagonisten einen bitteren Preis bezahlen und werden auf unterschiedliche Weise getäuscht. So vermitteln die Handlungen eine bis heute gültige Moral und fügt zu den Märchen- auch Fabelelemente hinzu.

Optisch hat Garrone nichts dem Zufall überlassen. Die Könige, Prinzen und Prinzessinnen schreiten in leuchtenden Farben durch ihre Burgen und Schlösser, während das Volk sich farbtechnisch vom staubigen Boden kaum abhebt. Der prunkvolle Schmuck ist das einzige, was in Immas und Doras verkommendem Haus glänzt. Die überladenen Kulissen sind liebevoll und aufwendig gestaltet und die Fantasie- und Zauberwesen detailreich gezeichnet, wobei die menschlichen Charaktere eigentlich auch allesamt wie Fabelwesen wirken.

Die Erzählweise ist hingehend ungeschönt und brutal und beweist, dass Märchen nicht nur (in diesem Falle gar nicht!) etwas für Kinder sind. Manche Szenen sind zudem derart konfus, dass der Zuschauer verwirrt zurückbleibt. Andere ziehen sich wiederum zu sehr in die Länge. Trotz aller Merkwürdigkeiten kann man ein wenig Verständnis für die seltsamen Handlungen aufbringen, da im Grunde eine tiefe Sehnsucht in den Seelen der Charaktere schlummert, doch für die meisten nimmt es kein gutes Ende.

Und die Moral von der Geschicht’, ist wirklich offensichtlich nicht. Warum gerade diese drei Geschichten das „eine“ Märchen der Märchen bilden, wird auch zum Ende hin nicht ersichtlich. Dennoch überzeugen in Das Märchen der Märchen die kuriosen Begebenheiten, die mitreißend sind und auch ein paar Lacher und Seufzer parat halten.

Trotz einiger erzählerischer Schwächen ist Das Märchen der Märchen mit seiner eigenwilligen und origineller Bildsprache ein echter Hingucker nebst nicht enden wollender rosaroter Neuverfilmungen von (Disney)Märchen, für das ein unterhaltsames Starensemble gewonnen werden konnte.

Bewertung

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Informationen
Das Märchen der Märchen | 27. August 2015 (Deutschland) 6.4

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