Baz Luhrmanns Verfilmung mit wegweisender Optik, aber schwacher Musikauswahl.
„Als ich noch jünger und verwundbarer war, gab mein Vater mir einmal einen Rat, der mir bis heute im Kopf herumgeht. ‚Wann immer du jemanden kritisieren willst‘, sagte er, ‚denk daran, dass nicht alle Menschen auf der Welt es so gut hatten wie du‘“. Mit diesen berühmten Worten sollte mit Der große Gatsby der wohl erfolgreichste und berühmteste amerikanische Roman des 20. Jahrhunderts erscheinen. Dass es bereits mehrere Verfilmungen des bekannten Stoffes von 1925 gab, legte die Messlatte nur noch höher, ist die 1974 erschienene Version mit Robert Redford als Gatsby und Francis Ford Coppolas Drehbuch doch etabliert und unter Fans sehr geschätzt.
Umso größer waren die Skepsis und gleichermaßen riesigen Erwartungen bei der nun bereits fünften US-Verfilmung des Romans, denen sich Regisseur Baz Luhrmann (Moulin Rouge, Romeo und Julia) jedoch mutig stellte.
Gott sei Dank, denn Der große Gatsby ist filmisch sehr gelungen und klopft häufig an der Tür des Film-Olymps, wird aufgrund mehrerer kleinerer und auch größerer Fehler letztlich jedoch nicht hineingelassen.
Die Handlung von Francis Scott Fitzgeralds Roman ist in den 1920’er Jahren angesiedelt. Der Schriftsteller Nick Carraway (Toby Maguire) leidet unter einer Schreibblockade und lernt auf der Suche nach dem „American Dream“ auf dem sommerlichen Long Island seinen Nachbarn J. Gatsby (Leonardo DiCaprio) kennen. Von Gatsby wird er dabei nach und nach immer mehr beeinflusst, der für seine riesigen Feiern und zahlreichen Bekanntschaften berühmt-berüchtigt ist und in jederlei Hinsicht perfekt wirkt: Ein wahrer Gentleman, gutaussehend, gebildet und dennoch bescheiden. Als jedoch Nicks Cousine Daisy auf der Bildfläche erscheint, erkennt Nick hinter der oberflächlichen Perfektion von Gatsby mehrere Abgründe, die sich auftun und dafür sorgen werden, dass dieser Sommer alle Beteiligten für immer verändern wird.
Fitzgerald schafft es, eine komplexe Geschichte, das Beschreiben einer ganzen Generation – der sogenannten „Lost-Generation“ – und die Oberflächlichkeit der US-Amerikanischen Gesellschaft in den 20’er Jahren auf knapp 200 Seiten wiederzugeben. Dass der Film dabei sehr nah an der Romanvorlage bleibt und auch viele Dialoge unverändert übernommen hat, ist bemerkenswert und gibt ihm das Quäntchen Ernsthaftigkeit, den er benötigt, um als würdige Verfilmung des Klassikers gelten zu dürfen.
Ebenfalls als sehr gelungen hat sich die Einführung einer neue Handlungsebene erwiesen. Aufgrund eines Kniffes, der hier nicht verraten werden soll, weiß der Zuschauer, wem und vor allem warum Tobey Maguires Charakter nun eigentlich die ganze Geschichte erzählt. Der eingefügte Off-Erzähler erweist sich dabei als hervorragend und kommt der Buchvorlage sehr nahe.
Der große Gatsby wird die meisten Fans wohl zufrieden stimmen. Dies liegt zum einen an den Schauspielern, die hervorragend besetzt sind. Sei es Carry Mulligan als Daisy, Tobey Maguire als Nick oder Joel Edgerton als Tom, alle wirken sehr glaubwürdig. Als Gatsby wollte Regisseur Luhrmann von Beginn an Leonardo DiCaprio, der erneut brilliert und zeigt, dass er zu den absoluten Größen Hollywoods gehört.
Stellenweise wirkt er rein alterstechnisch etwas zu jung für den Gatsby aus dem Roman, was das Gefühl für „woher hat der junge Kerl nur so viel Geld? Das kann doch nicht mit rechten Dingen zugehen“ aber nur noch verstärkt, der Atmosphäre also zu Gute kommt. Was der Film an Bildern auf die Leinwand zaubert, ist spektakulär. Ein glasklares Bild in Kombination mit nützlichen 3D-Effekten und vortrefflich, punktuell eingesetztem CGI lassen die 20’er Jahre in nie dagewesenem Glanz erscheinen.
Wahnwitzige Kamerafahrten vermitteln ein hohes Tempo, die Farben wirken hell und kräftig und skizzieren ein Bild vom Lebensgefühl der boomenden Vereinigen Staaten nach dem Ersten Weltkrieg: Freiheit, rauschende Partys, Alkohol im Überfluss, Glamour, Jazz, Dekadenz, lockere Moralvorstellungen und Reichtum. Mit der Musikauswahl zeigt sich leider eine große Schwäche der Buchverfilmung: Zwar ist ein Großteil des Films mit zeitgenössischer Musik der 20’er Jahre untermalt (u.a. der „St Louis Blues“ (1914) oder „Let’s Misbehave“ von Cole Porter (1927)) und erzeugt eine grandiose Stimmung. Warum jedoch stellenweise Technomusik und Hip-Hop verwendet worden sind, bleibt schleierhaft.
Regisseur Baz Luhrmann zufolge sollten auch jüngere Kinogänger mit einer Mischung von Vergangenheit und Gegenwart angelockt werden, um leichteren Zugang zum Stoff zu bekommen. An sich lobenswert, verändert eine moderne Musikauswahl, wenn sie nicht sorgfältig ausgewählt worden ist, die Botschaft des Buches jedoch ganz immens: Wenn auf einer von Gatsbys zahlreichen Partys lautstark aktuelle Chart-Musik aus den Boxen ballert und Menschen in 20’er Jahren-Klamotten dazu feiern, wirkt dies schlichtweg nicht nur lächerlich, nein, es unternimmt den Versuch, den grandiosen literarischen Stoff zur Legitimation heutiger Disko-Besäufnisse zu instrumentalisieren und zu missbrauchen, beide Musikrichtungen miteinander zu vergleichen, und weiter, Techno-Musik als Lebensgefühl der aktuellen Generation zu beschreiben.
Jazz war an den Zeitgeist gekoppelt, stand für Befreiung, Offenheit, den Aufbruch in etwas Neues, was es so vorher noch nicht gab. Seine Qualität zeigt sich in seiner Langlebigkeit, da er heute immer noch und mit wachsender Begeisterung – allen voran Swing als Subgenre – konsumiert wird. Letzteres wird für Disco-Musik aller Wahrscheinlichkeit nicht gelten. Letztlich wäre es einfach nur traurig, würden wummernde Bass-Rhythmen den Lebensgeist unserer Generation widerspiegeln. Bis auf den letzten Punkt weiß Der große Gatsby jedoch zu überzeugen. Eine knallige, farbenfrohe Optik, hervorragende Schauspieler und eine sehr vorlagengetreue Umsetzung der Story unterstreichen das damalige Lebensgefühl.
Bei der oben bereits erwähnten Musikauswahl ist als einziges der Wurm drin, glücklicherweise halten sich die Feier-Passagen in Grenzen und stören die Atmosphäre nicht unnötig lang. Ob Fitzgerald mit der Verfilmung zufrieden gewesen wäre? Wahrscheinlich, haben ihn doch moderne Technik und überschwänglicher Lebensstil stets interessiert. Ob sie auch jüngeres Publikum zu überzeugen weiß, bleibt indes offen.
Regie: Baz Luhrmann
Drehbuch: Baz Luhrmann, Craig Pearce
Musik: Craig Armstrong
Schauspieler: Leonardo DiCaprio, Tobey Maguire, Carey Mulligan, Joel Edgerton, Isla Fisher, Elizabeth Debicki, Jason Clarke, Amitabh Bachchan
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3 Kommentare
Ich hab zwar keine Ahnung von Kinofilmen. Aber dieses merkwürdige Musik fiel mir auch auf. Und ich machte mich deshalb auf die Suche nach FIlmkritiken. Ich stimme dieser Kritik zu. Schade…
Leider reißt einen die Musik immer wieder aus der erschaffenen Welt raus… :(
Da mag wohl einer keinen Techno :)