M – Eine Stadt sucht einen Mörder (1931) | Filmkritik

M - Eine Stadt sucht einen Mörder

Berlin zu Beginn der 30er-Jahre. Die kleine Elsie Beckmann kommt eines Tages nicht von der Schule nach Hause. Schnell erhärtet sich der Verdacht, dass sie mit dem mysteriösen, schon länger gesuchten Kindermörder mitgegangen sein muss. Die Stadt gerät aufs Neue in Panik.

Die Polizei setzt ihre verzweifelte Suche fort und kontrolliert rigoros die üblichen Verdächtigen: Kleinkriminelle, Obdachlose…Natürlich macht sie sich damit reichlich unbeliebt, besonders der Berliner Unterwelt kommt die erhöhte Aufmerksamkeit einerseits sehr ungelegen bei der Ausübung des krummen Tages- und Nachtgeschäfts, andererseits will man sich verdammt noch mal mit dem wirklichen Abschaum der Gesellschaft – jemandem, der sich an unschuldigen Kindern vergeht – nicht über einen Kamm scheren lassen.

© Universum Film

So tun sich nun die „anständigen“ Bösewichte, mit tatkräftiger Unterstützung der Bettler, zusammen, um den Rufschänder, den unauffälligen Hans Beckert, zur Strecke zu bringen – auf eigene Faust!

Nachdem der damals österreichisch-deutsche Filmregisseur Fritz Lang schon mit Metropolis (1927) einen Meilenstein (wenn auch einen zunächst gefloppten) der Filmgeschichte gesetzt hatte, gelang ihm mit M – Eine Stadt sucht einen Mörder ein herausragendes Werk, einer der ersten Tonfilme überhaupt. In Form von gewieften, perfekt platzierten Klangspielereien wurde den neuen Möglichkeiten der Vertonung eine tragende Rolle zuteil.

Fritz Lang setzte dank neuester Tontechnik gezielt Akzente und schuf damit sogleich eine ganz besondere Erzähltechnik. Kinder beim Aufsagen eines Abzählreims, das verdächtige Pfeifen des Mörders, das zum zentralen Motiv wird (die bekannte Melodie von „In der Halle des Bergkönigs“ aus der ersten Peer-Gynt-Suite von Edvard Grieg, vermutlich von Lang selbst gepfiffen), Straßenlärm, ein Glockenläuten bei Schulschluss oder ein hopsender Ball…

Sie brechen mit deutlicher Überlautstärke das sonst komplette Schweigen des Films, wodurch der junge Kontrast von Geräusch und Stille in der ungewohnten Abwesenheit eines Filmsoundtracks unser Gehör schärft. Oft hören wir, sehen aber nicht alles. Auch der Mörder (Peter Lorre) begegnet dem Zuschauer erst ohne Gestalt, pfeifend, dann als Schatten, bis er sich endlich zeigt.

© Universum Film

In Zeiten, wo Facebook im Chat-Hintergrund eigenmächtig, aber wie gewohnt stolz, nach potentiellen Sexualstraftätern fahndet und auch kein Jahr ins Land gehen will, in dem nicht wieder die Worte „Kind“ und „vermisst“ in den Nachrichten gebraucht werden, beweist dieser Filmklassiker von (original) 117 Minuten seine Zeitlosigkeit. Das Thema ist ewig aktuell und allgegenwärtig, der Film ein akkurater Kommentar zur fortwährenden Debatte. Die moralische Problematik, die er dem Publikum so effektgewaltig nahezubringen weiß, scheidet die Geister: Kann ein Mensch für seine Taten zur Verantwortung gezogen werden, wenn er ein sogenannter Triebtäter ist, kann man überhaupt ganz sicher feststellen, ob diese Klassifikation zutrifft, und hält man dem Straftäter damit nicht doch ein Paragrafen-Hintertürchen offen?

Wo finden wir in diesem Konflikt Recht und Unrecht? Es schließt sich die Frage an, wie sinnvoll die Todesstrafe ist. Die Nazis bekamen mit diesem Film gewissermaßen den Spiegel vorgehalten. Sicher auch ein Grund, warum er ein paar Jahre nach seiner Erscheinung (und nach anfänglicher Falschinterpretation – pro Todesstrafe!) verboten wurde. Getrost lässt sich dieser Fakt bei den anderen Qualitätsmerkmalen einreihen. Denn der Film lässt, gerade was die Todesstrafe betrifft, eine vollkommen zeitlose und weise Haltung durchblicken, die zugleich rührt und überzeugt.

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Bemerkenswert sind hier die Sensibilität und die Unvoreingenommenheit, in denen sich das Thema wiegen kann. Die Grenzen zwischen Gut/Böse, Falsch/Richtig verschwimmen. Es wird einfach nur zugehört. Jede Interessenpartei bekommt eine Stimme, auch der Täter, der für seine Unschuld einsteht und dafür das Gelächter eines selbst ernannten Gerichts ernten muss. Doch auch der Zuschauer hat gelegentlich was zu lachen, trotz der deftigen Thematik. Eine subtile Komik hilft, die Charaktere noch menschlicher darzustellen.

Vor allem die lebhafte Berliner Unterwelt, angeführt vom „Schränker“ mit den schwarzen Handschuhen (Gustav Gründgens), sorgt mit ihrem Kampf um Würde und Anerkennung, den sie todernst nimmt, und natürlich um die sofortige Beendigung der nervigen polizeilichen Omnipräsenz (angetrieben von Inspektor Karl Lohmann (Otto Wernicke)) für Schmunzelattacken.

M (heute oft unter dem Titel M – Eine Stadt sucht einen Mörder gehandelt) ist ein bittersüßer, dem Zeitenwandel strotzender, unschlagbarer Schwarz-Weiß-Krimi-Klassiker mit klugem Szenenschnitt und Wackelkamera, ein gelungenes Filmsound-Experiment und ein einzigartiges erzählerisches Vorzeigewerk, das sich bis heute keinem Vergleich stellen musste.

Zum 80. Geburtstag des Films wurde 2011 ein Blu-ray-DVD-Set veröffentlicht: mit der 111-Minuten-Version, Audiokommentar, Original-Filmprogrammen, Entwürfen, Zeichnungen, Fotos…Sollte in keiner Filmsammlung fehlen, das M wie Meisterwerk!

Cast & Crew

Regie: Fritz Lang
Drehbuch: Fritz Lang, Thea von Harbou, Egon Jacobson
Musik: Edvard Grieg
Schauspieler: Peter Lorre, Ellen Widmann, Inge Landgut, Otto Wernicke, Theodor Loos, Gustav Gründgens, Friedrich Gnaß, Georg John

Bewertung

Trailer

Informationen
M: Eine Stadt sucht einen Mörder | 31. August 1931 (Schweden) 8.3
Regisseur: Fritz LangDrehbuchautor: Thea von Harbou, Fritz Lang, Egon JacobsohnDarsteller: Peter Lorre, Ellen Widmann, Inge LandgutHandlung:

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