Es ist wieder so weit: Am vergangenen Montag wurde zum 14. Mal die Filmkunstmesse in Leipzig eröffnet. Eine Woche lang treffen sich hier Kinobetreiber, Verleiher und Fachleute aus der Arthouse-Branche, um über die Zukunft des Kinos zu diskutieren. Zudem werden Filme schon weit vor Bundesstart gezeigt.
Beteiligt sind dieses Jahr erneut das Passage Kino, die Schauburg und die Kinobar Prager Frühling. Ein großer Teil der Vorführungen sind nur für Fachbesucher, doch am Abend bekommt auch das Publikum die Chance ausgewählte Filme in den öffentlichen Vorführungen vorab zu sehen.
Neben der Sichtung neuer Filme, Seminaren und Workshops werden auch mehrere Preise verliehen: der Filmkunstmesse-Publikumspreis, der Preis der Jugendjury, der Gilde-Filmpreise 2013 und Kinoprogrammpreise Mitteldeutschlands.
Unsere Kolleginnen Mareen und Line sind die Woche unterwegs und haben sich einige Filme genauer angeschaut.
Eröffnet wurde die Messe für das öffentliche Publikum am Montagabend mit dem kanadischen Film Mommy von Xavier Dolan, der schon bei den Filmfestspielen in Cannes den Großen Preis der Jury gewinnen konnte. Er erzählt die Geschichte der alleinerziehenden Mutter Diane (Anne Dorval) und ihrem gewalttätigen Sohn Steve (Antoine-Oliver Pilon). Mit der Situation vollkommen überfordert bekommt Diane unverhofft Hilfe von ihrer Nachbarin Kyla (Suzanne Clément), die es schafft, die dringend benötigte Balance in der Mutter-Sohn-Beziehung zu schaffen.
Unsere Kollegin Mareen zog es am ersten Abend in den französischen Erotikthriller Das blaue Zimmer, der im geschlossenen Messeprogramm gezeigt wurde. Zwei verheirate Menschen führen eine leidenschaftliche Affäre und treffen sich heimlich in einem Pensionszimmer.
Julien Gahyde (Mathieu Amalric) führt eine scheinbar perfekte Ehe mit seiner Frau Delphine (Léa Drucker). Gemeinsam mit ihrer Tochter (Mona Jaffart) leben sie in einem großzügigen Einfamilienhaus und sind finanziell abgesichert. Glücklich ist er jedoch nicht und entflieht mit Apothekerin Esther Despierre (Stéphanie Cléau) seinem Alltag.
Doch die Affäre der beiden findet ein jähes Ende, als sich Julien auf einmal im Fokus polizeilicher Ermittlungen wiederfinden. Man wirft ihm vor, Delphine ermordet zu haben und er merkt, dass die für ihn bedeutsamen Momente ganz anders aussehen können, wenn man sie im Rückblick betrachtet.
Und so fällt das Fazit von Mareen aus: Der Thriller nach dem Roman von Georges Simenon schaffte es, mich bis zur letzten Minute zu fesseln. Gelungen fand ich den Wechsel zwischen drei Zeitebenen sowie die bedrückende Atmosphäre. Mathieu Amalric und Stéphanie Cléau legen eine authentische schauspielerische Leistung an den Tag, das Ende lässt den Zuschauer aber leider sehr unbefriedigt zurück.
Nach der offiziellen Eröffnung am Montag, konnte sich das Publikum am Dienstag schon auf ein richtiges Highlight freuen. Schauspieler und Regisseur Zach Braff kam nach Leipzig um seinen neuen Film Wish I Was Here persönlich vorzustellen.
Aidan Bloom (Zach Braff) ist ein erfolgloser Schauspieler in LA. Mit dem Gehalt was seine Frau Sarah (Kate Hudson) verdient und dem was Aidans Vater Gabe (Mandy Patinkin) für die Ausbildung der Kinder beisteuert, kommt die vierköpfige Familie gerade so über die Runden. Als Gabe seinem Sohn aber eröffnet, dass er Krebs hat und das Geld für seine Behandlung braucht, weiß Aidan nicht mehr wie es weitergehen soll.
Er beschließt seine Kinder zu Hause zu unterrichten. Als er aber merkt, dass er mit seinem Schulwissen bald an Grenzen stößt, beginnt er seinen Kindern die wirklich wichtigen Dinge im Leben beizubringen. Er bringt die Familie wieder näher zusammen und erkennt unterwegs auch selbst welcher Weg für ihn bestimmt ist.
Nach Garden State präsentiert Zach Braff nun seinen zweiten Film. Wish I Was Here ist eine emotionsreiche Komödie darüber was es heißt ene Familie zu sein und seinen eigenen Weg im Leben zu finden. Wieder trifft Braff den richtigen Ton und zeigt wie schön das Leben eigentlich ist, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so scheint. Dazu kommt ein starker Cast in dem vor allem Kate Hudson und Mandy Patinkin beeindrucken. Leider gibt es aber auch einige Szenen die sich nicht reibungslos in die Geschichte einfügen, weswegen der Film am Ende etwas holprig und unvollständig wirkt.
Der Mittwoch begann für Line in dem kleinsten Kino das an der Filmkunstmesse teilnimmt. In der Kinobar Prager Frühling wurde die deutsch/französische Produktion Clouds of Sils Maria gezeigt. Für unsere leipziger Kollegin ein besonderer Film, da einige Szenen für den Film auch in ihrer Heimatstadt gedreht wurden.
Die Schauspielerin Maria Enders (Juliette Binoche) steht auf dem Höhepunkt ihrer Karriere. Von den Zuschauern wird sie geliebt und von der Presse gefeiert. Als sie das Angebot bekommt, in einer Wiederaufführung eines Theaterstücks zu spielen, beginnt sie ihre Vergangenheit wieder einzuholen. Denn genau mit diesem Stück feierte sie vor 20 Jahren ihren Durchbruch.
Sie spielte die Rolle der verführerischen jungen Sigrid, die ihre Vorgesetzte Helena verführte und schließlich in den Selbstmord trieb. Nun, zwei Jahrzehnte später, soll Maria die Rolle der Helena spielen. Zusammen mit ihrer Assistentin Valentine (Kristen Stewart) fährt sie nach Sils Maria um sich in der Abgeschiedenheit der Alpen auf das Stück vorzubereiten. Die Rolle der Sigrid wird Jo-Ann Ellis (Chloë Grace Moretz) übernehmen, eine aufstrebende junge Schauspielerin die zum Skandal neigt. Maria muss sich nun erneut mit dem Stück auseinandersetzen und mit allem was danach geschah.
Regisseur Olivier Assayas hat mit Clouds of Sils Maria einen Film geschaffen, dessen Geschichte auf mehreren Ebenen funktioniert. Die Handlung des Films spiegelt auf beklemmende Art und Weise die Handlung des Theaterstücks wieder, um das es im Film geht. Durch diesen „das Stück im Stück“ Charakter baut sich für den Zuschauer eine Spannung auf, die bis zum Ende anhält. Weiter wird der Film durch seine sehr starken Hauptdarstellerinnen getragen, von denen vor allem Juliette Binoche beeindruckt. Olivier Assayas zeigt mit diesem Werk die andere Welt um Film und Theater und schafft damit das Portrait einer Branche und ihrer Menschen, ganz ohne Glanz.
Die Filmkunstmesse präsentiert nicht nur Spiel- und Dokumentarfilme, sondern mit „Kurz vor Film – Der Vorfilmtest“ auch eine illustre Mischung an aktuellen Kurzfilmen. Mit Hilfe des Leipziger Publikums suchten die AG Kurzfilm, KurzFilmAgentur Hamburg, interfilm Berlin den besten Vorfilm. Zu sehen gab es 16 Filme von einer Länge zwischen einer und 15 Minuten – skurril, ernst, witzig und teilweise sehr makaber. Hier sah man einen Kanadier, der auf seinem Fahrrad lebt, eine Großmutter, die sich am Tablet ihrer Enkelin versucht, nackte singende Männer in einer Sauna oder zum Leben erweckte Einhörner – und dies war nur ein kleiner Ausschnitt. Auch Dick und Doof kehrten mit Die große Tortenschlacht auf die Kinoleinwand zurück. Die Zuschauer konnten im Anschluss alle Filme nach Schulnoten bewerten, der Gewinnerfilm lief am Freitag auf dem Feinkostgelände, wo auch der Publikumspreis für den besten Filmbeitrag gekürt wurde.
Am späten Mittwochabend schaute Mareen sich den Dokumentarfilm Ein besonderes Bedürfnis von Carlo Zoratti an. Dieser ist eine deutsch/italienisch/österreichische Koproduktion über die Grundbedürfnisse des Menschen. Im Zentrum steht der 29jährige Enea. Er ist Autist und wünscht sich nichts sehnlicher als eine feste Freundin. Das Ansprechen von Frauen fällt ihm zwar leicht, Erfolg hat er damit nur leider nicht. Zusammen mit seinen zwei besten Freunden Carlo und Alex macht sich auf den Weg quer durch Europa. Ziel ist es, dass Enea seine Jungfräulichkeit verliert. Doch bald kommt die Frage auf, ob seine Freunde Enea damit wirklich einen Gefallen tun…
Die Aufnahmen wechseln zwischen dem Roadtrip quer durch Italien, Österreich und Deutschland, Eneas Therapiegesprächen, seiner Arbeit sowie seiner Theatergruppe mit ebenfalls autistischen Kollegen. Die Kamera hält stets direkt auf das Geschehen und ohne jeglichen Off-Kommentar vergisst man schnell, dass es sich überhaupt um einen Dokumentarfilm handelt. Der Film zu, tief in die Gefühlswelt von Enea einzudringen und Mareen selbst war die ganze Spielzeit über tief berührt. „Ein besonderes Bedürfnis“ ändert nicht nur von Eneas Freunden die Ansichten über Liebe, Freundschaft, sondern lässt die Zuschauer über die kleinen wertvollen Dinge des Lebens nachdenken. Absolut sehenswert!
Damit geht es erstmal in die Halbzeitpause unseres Berichts zur 14. Filmkunstmesse. Welche Filme wir uns an den letzten beiden Tagen noch angesehen haben und wer bei den Preisverleihungen abräumen konnte, könnt ihr im zweiten Teil unseres Berichts lesen.