Titane (2021) | Filmkritik

Was eine Titanplatte im Kopf alles anstellen kann: In dem Film Titane geht es äußerst absurd zur Sache. Der diesjährige Cannes-Gewinner wird sicherlich einige Kinobesucher enttäuschen, vielleicht sogar verstören.

Andererseits handelt es sich hierbei auch um einen sehr sehenswerten Film, der sich für Liebhaber und risikobereitere Zuschauer als kleine französische Filmperle entpuppt.

Zwischen Mensch und Maschine

Wer also eher einen ruhigen und entspannten Blockbuster-Filmabend a la Marvel genießen möchte, der trifft mit diesem Film sicherlich die falsche Wahl. Aber dazu später mehr.

© Koch Films

Zuerst zum Plot: Ganz grob dreht sich der Film Titane um die junge Tänzerin Alexia (Agathe Rousselle), die sich in Show-Events erotisch auf Autos räkelt – spärlich verkleidet. Seit einem Autounfall in ihrer Kindheit trägt sie eine Titanplatte im Kopf. Und gerade dieses Stück Titan versetzt sie in einen Rausch. Immer, wenn sie Titan schmeckt oder fühlt, rutscht sie in eine mörderische Stimmung ab. Mehr sollte man erst einmal nicht verraten.

Der Festival-Hit von Julia Ducournau

Titane wurde von Julia Ducournau inszeniert. Zuvor führte sie bereits bei dem Film Raw Regie, der einige Ähnlichkeiten mit Titane hat. Raw drehte sich – Vorsicht kleiner Spoiler – um eine junge Studentin, die auf den Geschmack von Fleisch kommt und deshalb ihre böse Seite entdeckt.

In ihrem neuesten Werk ist die Ausgangslage ähnlich, nur noch viel absurder. Denn Titane ist grausam, abstoßend, witzig, gefühlvoll, traurig, schockierend und politisch zugleich. Und wie bereits an den vielen Attributen zu erkennen ist, lässt sich der Film sehr schwer einordnen. Selbst das Genre ist nicht klar zu bestimmen. Am ehesten trifft ein Mix aus Horror/Drama/Romantik zu.

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Einige Szenen stechen heraus. Zum Beispiel erfahren die Zuschauer, wie gefährlich ein Stuhlbein für den Menschen sein kann. Oder wie schwer es ist, sich die Nase zu brechen. Hier sind der Absurdität keine Grenzen gesetzt. Zumal einige brutalen Szenen auch witzig inszeniert werden. Titane kennt da kein Tabu. Es gibt keine Grauzonen oder Erklärungen, warum die Hauptfigur Alexia so handelt.

Ein explosives und radikales Fantasy-Drama

Aber gerade, weil Titane so anders ist und sich konsequent gegen die konventionellen Sehgewohnheiten des Kinos auflehnt, ist er sehenswert. Denn obwohl die Story des Films total abgedreht ist, stehen die Figuren im Vordergrund. Und diese sind sehr interessant.

Alexia ist kaum lesbar und so unberechenbar wie der Joker aus der Batman-Reihe. Das macht vor allem in der ersten Filmhälfte jede Szene mit ihr unterhaltsam, da der Ausgang einfach nicht vorhersehbar ist. Außerdem gab es so eine Filmfigur wie Alexia im Kino noch gar nicht. Besonders die schauspielerische Leistung von Agathe Rousselle ist beeindruckend. Sie spielt die nicht durchschaubare Alexia mit einer ungemein starken Leinwandpräsenz, sodass viele Nebenfiguren blass erscheinen.

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Ihr männliches Pendant spielt auch groß auf. Die Figur Vincent (Vincent Lindon) kommt erst später vor. Aber auch bei ihm ist ein gewisses Level an Absurdität vorhanden. Denn Vincent ist als Captain der Feuerwehr immer unter Zugzwang. Sein Sohn ist seit einiger Zeit spurlos verschwunden und er muss in seinem Beruf Mut und Stärke zeigen.

Ein Schrei nach gesellschaftlicher Toleranz

Also greift er zu Aufputschmitteln, um diese Stärke zu behalten. Als er im Film das erste Mal auftaucht, verändert sich die komplette Richtung. Und zwischen ihm und Alexia entwickelt sich eine eigenwillige Beziehung, die getragen wird von zwei starken Schauspielern.

Zusätzlich zeigt Regisseurin Julia Ducournau ihr Talent mit immer wieder verrückten Szenen, die aber im Kern zutiefst menschlich sind. Dabei hält sie die Kamera immer voll drauf. Auch hässliche Seiten werden gezeigt. Und gerade die letzten 15 Minuten des Films sind an Spannung kaum zu überbieten.

Es schreit einfach nach gesellschaftlicher Toleranz für jeden, egal wie er ist. Mit so einer Botschaft diese 108 Minuten abzuschließen, ist großartig. Deshalb ist ganz klar: Titane ist ein sehr unterhaltsamer, wie bedeutender Film, der sich konsequent vom klassischen Kino abwendet und seine eigene Geschichte erzählt. Bitte mehr davon!

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