Poor Things (2023) | Filmkritik

Poor Things

Yorgos Lanthimos ist definitiv einer, den man inzwischen auf dem Schirm haben sollte. Einst als Autorenfilmer der Greek Weird Wave entsprungen, ist er allerspätestens seit seinem zehnfach oscarnominierten The Favourite in der A-Liga der Hollywood-Regisseure angekommen.

Sie ist anders als alles, was du je gesehen hast

Sein neuestes Werk Poor Things, basierend auf dem gleichnamigen Roman von Alasdair Gray, ist eine wundervoll weirde Fabel auf den Feminismus geworden. Ungeschönt ehrlich aus der Perspektive der Protagonistin, die schnell ihrer kindlichen Naivität entwächst und die patriarchalische Welt auf den Kopf stellt.

© Searchlight Pictures

Im London des 19. Jahrhunderts engagiert der exzentrische Arzt und Wissenschaftler Dr. Godwin „God“ Baxter (Willem Dafoe) seinen Medizinstudenten Max MacCandles (Ramy Youssef) als Assistenten, um den Entwicklungsfortschritt seiner Ziehtochter Bella (Emma Stone) zu dokumentieren.

Frankensteins Schwester

Max ist fasziniert von der körperlich erwachsenen, aber intellektuell zurückgebliebenen Frau, deren unbeholfener Infantilismus schon bald die Tatsache aufdeckt, dass sich hinter Bellas Bewusstsein eines der Experimente des Doktors verbirgt.

Die Zeit vergeht, Bella reift vom Kleinkind zum Mädchen und beginnt ihre Sexualität zu erforschen. Bald schon lernt sie den zwielichtigen Anwalt Duncan Wedderburn (Mark Ruffalo) kennen, mit dem sie dem Vaterhaus entflieht und schlussendlich mit der Welt hinter den Mauern der Baxter-Villa konfrontiert wird. Eine Odyssee beginnt, auf der sich die eigenartige Bella vor allem selbst kennenlernt.

© Searchlight Pictures

Poor Things erkundet nicht nur Themen wie Identität und die moralischen Konsequenzen von Wissenschaft und Schöpfung. Vielmehr noch vereint der Film diese Aspekte in der Freiheitsfrage.

Eine emanzipatorische Odyssee

Bella emanzipiert sich auf ihrer Odyssee sowohl von der Abhängigkeit ihres Schöpfers als auch von der patriarchalischen Welt außerhalb dieses Kokons.

Lanthimos kleidet diese Geschichte in eine bizarr künstlerische Kulisse, die sich zwischen Schwarz-Weiß-Romantik und fantastischen Farbwelten wie aus dem Bilderbuch bewegt. Skurrile Charaktere und Kreaturen bewegen sich in dieser märchenhaften Atmosphäre, die immer wieder aufbricht und sich im starken Kontrast dazu in expliziten Sexszenen und Dialogen entlädt. Bellas Entwicklung von Frankensteins Baby zur emanzipierten Frau wird damit visuell beeindruckend untermalt.

Der griechische Autorenfilmer schafft es seiner Groteske neben der Bildsprache auch mit einer ordentlichen Portion Humor Leben einzuhauchen. Poor Things ist erfrischend witzig, nicht zuletzt dank eines pointiert geschriebenen Drehbuchs und hervorragenden Darstellern.

© Searchlight Pictures

Allen voran ist hier Emma Stone zu nennen, die eine ihrer vielleicht besten Leistungen abliefert. Den Prozess, den Bella hier vollzieht, sieht man ihr in jeder Bewegung und in jedem Blick an.

Überragendes Darsteller-Ensemble

Willem Dafoe als väterlicher Wissenschaftler ist ebenfalls eine Wucht. Und dann ist da noch Mark Ruffalo, der als egozentrischer Weiberheld ebenso eine seiner stärksten Performances abliefert und dessen Entwicklung über den Film definitiv für die meisten Lacher sorgt. In Nebenrollen können zudem u.a. noch Jerrod Carmichael, Hanna Schygulla und Vicki Pepperdine abliefern.

Nicht unerwähnt bleiben darf aber auch der Score. Jerskin Fendrix unterstreicht die bizarre Atmosphäre mit ausgefallenen Klangwelten. Mal klimpert es dezent im Hintergrund, im nächsten Moment dröhnt es von allen Seiten. Eine schaurig-schöne und eigenwillige Melodie.

© Searchlight Pictures


Lanthimos‘ The Favourite galt vor ein paar Jahren als großer Verlierer der Oscar-Verleihung, hatte von zehn Nominierungen lediglich Olivia Colman in der Kategorie Beste Hauptdarstellerin einen Goldjungen eingeheimst. Poor Things geht dieses Jahr mit ganzen elf Nominierungen ins Rennen, und es wäre wenig überraschend, wenn Lanthimos‘ neuer Film in vielen großen Kategorien abräumt. Verdient hätte es der Film allemal.

Lanthimos auf Oscar-Kurs?

Wenn Wes Anderson und Lars von Trier je die Möglichkeit bekommen sich ein Kind zusammenzubasteln, so wie es Dr. Baxter hier mit Bella macht, würde es vermutlich Giorgos Lanthimos heißen. Und selbst mit diesem Vergleich kratzt man noch an der Oberfläche von Poor Things.

Dieser Film ist eine wundervoll weirde Feminismus-Fabel, die man gesehen haben sollte.

Bewertung

Trailer

Informationen

Poor Things | 18. Januar 2024 (Deutschland) 8.4
Regisseur: Yorgos LanthimosDrehbuchautor: Tony McNamara, Alasdair GrayDarsteller: Emma Stone, Mark Ruffalo, Willem DafoeHandlung:

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Bildrechte: Searchlight Pictures / 20th Century Studios DE

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