Es gibt zwei Arten von Filmen, die sich mit der Shoa befassen. Solche wie Stephan Spielbergs Schindlers Liste (1993), die auf wahren Begebenheiten basieren und solche wie Benignis Das Leben ist schön (1997) oder Mihăileanus Zug des Lebens (1998), die sich dem Entsetzlichen über eine fiktionale Geschichte nähern.
Persischstunden im Konzentrationslager
Was sich aus Pietätsgründen bei ersteren verbietet, ist bei zweiteren oft ein probates Mittel, sich mit dem Grauen der deutschen Vernichtungslager auseinanderzusetzen: Komik dort anzureichern, wo es eigentlich keine hat geben können.
Obwohl Vladim Perelmans Persischstunden anfänglich vorgaukelt, auf reellen historischen Ereignissen zu beruhen, ist er in der zweiten Kategorie von Filmen, die sich popkulturell mit der Shoa auseinandersetzen, anzusiedeln.
Er basiert auf der Kurzgeschichte Erfindung einer Sprache von Wolfgang Haase, ist weder so gedrungen wie Schindlers Liste, noch so klamaukig wie Das Leben ist schön und lässt sich wahrscheinlich am besten als Tragikomödie bezeichnen, in der Beklemmung und Komik sich als zentrale erzählerische Elemente gegenüberstehen.
Worum geht es in Persischstunden
1942 – die Nazis haben mit der systematischen Deportation der Juden in die Konzentrationslager begonnen – wird der Belgier Gilles (Nahuel Pérez Biscayart) von der SS verhaftet und entrinnt dem Tod, da er vorgibt, nicht Jude zu sein, sondern Perser.
Zufällig träumt der Hauptsturmführer und Kommandant eines Konzentrationslagers in Frankreich Klaus Koch (Lars Eidinger) davon, nach Kriegsende ein Restaurant in Teheran zu eröffnen.
Gilles soll ihm Farsi beibringen, das er natürlich selbst nicht spricht. Nun muss er eine Sprache erfinden um zu überleben.
So weit, so gut. Je länger sich der Plot aber entfaltet, desto klarer wird, wie unhaltbar die Prämisse ist, mit der Persischstunden aufwartet. Was in der Kurzgeschichte als Metapher funktioniert, nämlich die Begegnung zwischen Täter und Opfer, die sich nur durch eine Sprache begegnen können, die es nicht gibt – die es nicht geben kann, in einer Welt, in der die Begegnung zweier so klar von Gewalt bestimmt ist – zerfällt in dem Ansatz Perelmans, auf Spielfilmlänge das tatsächliche Erlernen einer erfundenen Sprache zu exerzieren.
Stilbruch durch Liebeswirrungen & Getratsche
Auch an anderen Stellen zerfällt der Film, der in manchen Ansätzen zunächst eigentlich vieles richtig macht. Die Szenen zwischen Gilles, dessen Schwindel in jeder Sekunde aufzufliegen droht, und dem KZ-Kommandanten Koch sind beklemmend und intensiv. Die komischen Elemente, die sich aus dem Erlernen der Fantasiesprache und dem Erfindungsreichtum Gilles ergeben, tragen ihren Teil dazu bei, da ihnen immer auch die Tragik Gilles und seiner KZ-Mithäftlinge inhärent ist. Das ist alles unerträglich spannend.
Der Film entscheidet sich größtenteils dagegen die tatsächlichen Gräuel innerhalb der Konzentrationslager darzustellen und dafür Koch und die anderen Nazis im Lager auf eine fragwürdig-ästhetische Art und Weise zu „vermenschlichen“. Die intensiven Szenen zwischen den Hauptprotagonisten werden immer wieder dadurch gebrochen, dass Spirenzchen (Liebeswirrungen, Getratsche) unter den Nazis seifenopernartig ausgebreitet werden.
Die Ausblendung der Gewalt und der fragwürdige Blick auf die Täter, die hier fast rührend veralbert und merkwürdig „entdämonisert“ werden sollen, führen zu einer Trivialisierung der Gesamtthematik.
Eine „Beleidigung für die, die umkamen“
Insgesamt irritierend ist auch das konstruierte historische Setting. Beinahe märchenhaft präsentiert sich hier das nicht näher definierte Konzentrationslager irgendwo in Frankreich, das der reellen Welt entrückt unwirklich in einem mystischen Nebelwald gelegen scheint. Auch ansonsten schreit hier optisch alles nach Filmkulisse, in der historische Details aus verschiedenen Konzentrationslagern wie Auschwitz und Buchenwald vermengt werden.
Über die US-Fernsehserie Holocaust, die 1978 zum Deutschen und anderen beteiligten Nationen an der Shoa ihre Taten aufzeigte, schrieb der Schriftsteller Elie Wiesel, sie sei eine aus kommerziellem Kalkül produzierte Seifenoper, eine „Beleidigung für die, die umkamen“. Persischstunden ist keine Beleidigung der Opfer des Nationalsozialismus, leider aber an vielen Stellen eine Seifenoper im Gewand der Verarbeitungs- und Erinnerungskultur.
Eine bessere Entscheidung wäre es vermutlich gewesen, die Geschichte als radikales Kammerspiel zwischen dem KZ-Häftling Gilles und dem KZ-Kommandanten Klaus Koch zu inszenieren.
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