Hier wie versprochen der zweite Teil meines Berichts zum Manchester International Film Festival 2016. Nach den sehr emotionalen Kurzfilmen am Mittag habe ich mir etwas leichteres gegönnt. Blinky Bill ist zurück. Überarbeitet, in 3D und in Spielfilmlänge. Die australische Produktion über den kleinen Chaos-Koala feierte auf dem Festival seine UK Premiere.
Ich muss ja ganz ehrlich sagen, ich komme immer noch nicht mit den ganzen 3D Kinderfilmen klar. Warum muss man denn die Lieblinge meiner Kindheit nehmen, durch den Computer jagen und am anderen Ende glattgeleckt und irgendwie komisch aussehend wieder ausspucken? Aber wo schon Viki und Maja durch mussten, da musste jetzt auch der Koala in der roten Hose durch. Die Geschichte ist schnell erzählt: Der Koalabär Blinky Bill ist ein Abenteurer. Oder zumindest wäre er gern einer, so wie sein Vater. Doch noch ist er zu jung, um auf große Entdeckungstour zu gehen. Als sein Vater eines Tages von einer Reise nicht mehr zurückkehrt, macht Blinky sich auf nach ihm zu suchen. Sein Weg führt den kleinen Koala in das Outback Australiens, wo er auf neue Freunde, aber auch gefährliche Feinde trifft.
Abgesehen von Blinkys Nase war in dem Film nichts wirklich richtig rund. Einige Charaktere aus der Kinderserie tauchten gar nicht auf, und auch Blinkys Freunde spielten keine große Rolle in dem eigentlichen Abenteuer. Die Geschichte ist vorhersehbar, aber das darf man einem Kinderfilm eigentlich nie vorwerfen. Trotzdem bleibt das Kinoerlebnis eher lauwarm. Witze zünden nicht wirklich und der Hauptcharakter wird nach einer Weile nervig. Und wenn die Kinder im Kinosaal nach der Hälfte des Films mit dem Handy des Papas spielen, dann sagt das schon viel aus. Über die Kinder, aber leider auch über den Film. Erst gegen Ende nimmt die Handlung und der Humor etwas Fahrt auf. Die finale Rettungsaktion ist aufregend und lustig gestaltet. Aber trotzdem bleibt unterm Strich nur ein mittelmäßig unterhaltender Animations-Roadmovie.
Nach diesem doch recht ernüchternden Abstecher in meine Kindheit wechselte ich jetzt zu einem mir auch sehr bekannten Thema: Essays und Hausarbeiten. The Paper Store von Regisseur Nicholas Gray ist eine Rachegeschichte über die ehemalige Studentin Annalee (Stef Dawson), die als Ghostwriter gegen Bezahlung für Studenten Hausarbeiten verfasst. Einer dieser Studenten ist Sigurd (Penn Badgley).
Nachdem er auf ihre erste Arbeit eine Eins bekommt, schlägt Sigurd vor, dass Annalee fortan alle noch anstehenden Hausarbeiten für ihn schreibt. Somit kann er sich auf seine Abschlussarbeit konzentrieren. Sie willigt ein und schon bald finden sich beide in einem sehr innigen Arbeitsverhältnis wieder, aus dem schnell eine ungesunde Liebesbeziehung wird. Sigurd beginnt schnell Annalee auszunutzen und sie emotional zu manipulieren. Als sie feststellt in welcher Situation sie sich befindet, beschließt Annalee einen Racheplan und die ganze Lüge droht aufzufliegen.
Nicholas Gray spricht mit seinem Film ein universelles Problem an. Wie schafft man es als Student alle Pflichtfächer zu bestehen, neben dem Studium zu arbeiten, und trotzdem seine Abschlussarbeit in der Regelstudienzeit zu beenden? Nicht nur in Amerika sind Studiengebühren so unwahrscheinlich hoch, dass die Studienplanung zur finanziellen Rechenaufgabe wird. Auch in vielen europäischen Ländern ist die Doppelbelastung von Studium und Nebenjob ein Thema. Gray trifft somit mit seinem Film den Zeitgeist.
Seine beiden Hauptdarsteller Stef Dawson (The Hunger Games-Trilogie) und Penn Badgley (Gossip Girl) überzeugen in besonders langen und anspruchsvollen Dialogszenen. Badgley erzählte im anschließenden Q&A wie umfangreich das Drehbuch war. Für einen neunundneunzig Minuten Film über hundert Seiten Drehbuch verinnerlichen zu müssen war eine Herausforderung, sagt der Schauspieler. Der Film kommt mit sehr wenig Charakteren aus. Neben Dawson und Badgley gesellt sich noch Richard Kind (Gotham) in der Rolle eines Universitätsprofessors zum dreiköpfigen Hauptcast. Diese geringe Anzahl an Charakteren unterstreicht ihre Nähe zu – und ihre Abhängigkeit voneinander. Eine interessante Geschichte, die die Frage nach Zweck und Moral stellt, in einer leistungsorientierten Welt.
Tag drei begann für mich mit einer weiteren Dokumentation. No Limits: Impossible Is Just A Word vom deutschen Regisseur Tim Hahne begleitet den ehemaligen Formel 1 Rennfahrer Alex Zanardi, der 2001 in einem dramatischen Unfall beide Beine verloren hat. Doch Zanardi ist ein Kämpfer. Fünfzehn Jahre nach seinem Unfall gewinnt er nicht nur Olympische Goldmedaillen im Handbike, sondern nimmt auch die Herausforderung an zusammen mit Timo Glock und Bruno Spengler das 24-Stunden-Rennen von Spa zu absolvieren.
No Limits ist eine beeindruckende Dokumentation über einen noch viel beeindruckenderen Menschen. Die Kraft und Energie mit der Alex Zanardi durchs Leben geht – ja, mit Hilfe von zwei Beinprothesen kann er wieder laufen – ist unglaublich. Immer an der Grenze des Machbaren stellt er sich jeden Tag neue Herausforderungen. Tim Hahne fängt mit der Kamera die Geschwindigkeit und Härte des Motorsports ein, schafft es aber gleichzeitig ein sehr persönliches Bild des Rennfahrers und seiner Kollegen zu zeichnen. Gewaltigen Bilder und zahlreiche Slowmotion Sequenzen vermitteln die Kraft die hinter dem Rennsport steht. Der Film begleitet die drei Fahrer von der ersten Sitzanpassung im Auto bis zum Ende des 24-Stunden-Rennens von Spa. Zanardi zeigt dabei wie locker er mit seiner Behinderung umgeht. „Wenn das Pedal zu kurz ist, dann schraube ich einfach ein längeres Bein dran,“ scherzt der lebensfrohe Italiener. No Limits hängt nicht in der Vergangenheit fest, der Unfall spielt kaum eine Rolle. Genau wie der Rennfahrer lebt der Film im Hier und Jetzt.
Mein Festivalfinale bildet der Film Despite the Falling Snow von Regisseurin Shamim Sarif, basierend auf ihrem gleichnamigen Roman. Im Moskau der 1950er Jahre spioniert Kommunistin Katya heimlich für die Amerikaner. Es ist die Zeit des kalten Krieges und Katya lebt ein gefährliches Doppelleben. Als sie ihren bisher größten Auftrag erhält, geheime Papiere vom aufstrebenden Star der Regierung Alexander zu stehlen, ist das letzte was ihr in den Sinn kommt sich in ihn zu verlieben. Was folgt ist ein tödliches Doppelspiel. Über vierzig Jahre nach den Ereignissen in Moskau versuchen die Künstlerin Lauren und die Journalistin Marina herauszufinden, was damals tatsächlich passierte.
Despite the Falling Snow ist eine packende Geschichte die in zwei Zeiten spielt. Rebecca Ferguson (Mission: Impossible – Rogue Nation) glänzt in einer Doppelrolle sowohl Katya als auch Lauren. Dank Kostüm und Make-Up, aber auch durch ihre weite schauspielerische Bandbreite schafft es Ferguson in beiden Rollen fast gänzlich zu verschwinden. Neben ihr gehören noch Charles Dance (Game of Thrones), Sam Reid (The Railway Man), Oliver Jackson-Cohen (Dracula) und die deutsche Schauspielerin Antje Traue (Berlin Station) zu einem herausragenden Ensemble.
Genau wie Lauren und Marina erfährt der Zuschauer nur langsam was damals mit Katya passierte. Ein dichtes Netz aus Lügen gilt es zu entwirren und oft sind es die Menschen, die einem am nächsten sind, die ein gefährliches Spiel spielen. Ein fesselnder Thriller mit einer dramatischen Liebesgeschichte und einem durchweg brillanten Cast.
Mit diesem starken Film endete dann auch das Festival für mich. Das Manchester Film Festival hat auch in seinem zweiten Jahr gezeigt, dass es auf der Filmfestivalbühne locker mithalten kann. Ein gut gemischtes Programm bot eine große Auswahl an Genres und Themen. Der Themenschwerpunkt „Women in Film“ zeigte wie erfolgreich weibliche Protagonisten und Filmemacherinnen sein können.
Ich persönlich gehe mit einem guten Gefühl nach Hause. Manchester wird seinen Platz in der Festivalwelt finden, und ich bin auch in den kommenden Jahren gern wieder dabei.