L’immensità – Meine fantastische Mutter (2022) | Filmkritik

L’immensità

Bereits in den Werken Volver – Zurückkehren, Parallele Mütter und Ma Ma – Der Ursprung der Liebe hat Schauspielerin Penélope Cruz ihre Fähigkeiten in der Mutterrolle eindrucksvoll unter Beweis gestellt und den Figuren eine tiefe Emotionalität und Authentizität verliehen.

Wunderschön und beunruhigend zugleich

Unter der Führung des italienischen Regisseurs Emanuele Crialese übernimmt Cruz erneut die Paraderolle als liebende Mutter am Rande des Nervenzusammenbruchs. Mit sommerlich-magischen Bildern entführt L’immensità – Meine fantastische Mutter in das Rom der schillernden 1970er Jahre.

Mit all seinen schönen und auch seinen dunklen Momenten.

© Prokino

Die Borghetti-Familie ist frisch in eine moderne, schicke Wohnung am Rande von Rom gezogen. Doch Clara (Penélope Cruz) fühlt sich unglücklich und gefangen in ihrer Ehe. Ihre drei Kinder sind ihr Ein und Alles, und sie setzt alles daran, die beste Mutter zu sein. Aber ihre unkonventionelle Art im Umgang mit den Kindern stoßen bei ihrem autoritären Ehemann (Vincenzo Amato) und ihren Freundinnen auf Unverständnis.

Die Fantasien von Kindern beunruhigen mich nicht. Ich mache mir mehr Sorgen über die Fantasien von Erwachsenen, die denken, dass sie noch Kinder sind.

Besonders eng ist Claras Verbindung zu ihrer ältesten Tochter Adriana (Luana Giuliani). Die Zwölfjährige beobachtet aufmerksam die wechselnden Stimmungen ihrer Mutter, fühlt sich aber selbst von niemandem so richtig verstanden. In der neuen Nachbarschaft beschließt Adriana unbeirrt, sich als Junge auszugeben, und stellt damit das fragile Familiengefüge auf eine erneute Probe.

Während die Kinder sehnsüchtig nach einem Zeichen suchen, das ihnen den Weg weist – sei es eine Stimme von oben oder aus einem italienischen Pop-Song im Fernsehen – verändert sich alles um sie herum und in ihnen. Die neue Umgebung bringt Herausforderungen und Veränderungen, die das Leben der Familie auf den Kopf stellen. Doch auch inmitten der Turbulenzen entdecken sie neue Facetten ihrer Beziehungen zueinander und finden neue Wege, mit den Herausforderungen des Lebens umzugehen.

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Angelehnt an seine eigene Kindheit, zeichnet der gefeierte Regisseur und Drehbuchautor Emanuele Crialese (Lampedusa) mit L’immensità – Meine fantastische Mutter das Porträt einer Familie im Umbruch. Dabei wirkt sein Werk jedoch wie das Gesamtbild vieler einzelner Puzzleteile, die nicht an jeder Ecke ganz und gar passen.

Die Tragik des Erwachsenwerdens

Mit manchmal humorvollen, manchmal tragischen und manchmal romantischen Szenen rettet sich der Film dank seiner grandiosen Hauptdarstellerin von Szene zu Szene. In knapp 90 Minuten fühlt sich aber all das Erzählte nicht komplett vollständig an, sondern wie Momentaufnahmen eines Lebens.

Immer wieder ist dem Zuschauer vorab bereits klar, warum und wie welche Szene sich entwickelt und was uns der Regisseur sagen will. Durch das langsame Erzähltempo fällt dies immer wieder schwerer ins Gewicht.

© Prokino

Schauspielerin Penelope Cruz ist in jeder Szene eine wahre Freude, die mit einer hinreißenden Eleganz begeistert. Wenn Clara singend mit ihren Kindern den Tisch deckt oder weinend ihre Zigarette raucht, zeigt sich das ganze Können der spanischen Schauspielerin. Und mit dieser Leistung macht sie es ihren Filmkindern nicht allzu einfach.

Familiendrama mit Transgender-Subplot

Denn noch komplexer als die Rolle der liebevollen Mutter dürfte die von Luana Giuliani sein. Adri wurde als Mädchen geboren, identifiziert sich aber als Junge. Und mit all die inneren Verwirrungen muss Adri alleine zurecht kommen. Nur Mutter Clara versucht mit Verständnis zu reagieren.

Adri entwickelt eine Sommerfreundschaft mit einem Roma-Mädchen namens Sara (Penélope Nieto Conti). Von ihrem Vater und der Großfamilie wird ihre Identitätskrise allerdings nicht akzeptiert und immer wieder muss Adri sich in Fantasien flüchten, um der Realität zu entkommen. Leider zeigt L’immensità – Meine fantastische Mutter all dies nur in Ausschnitten ohne am Ziel anzukommen.

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Nicht unerwähnt bleiben darf der mitreißende Soundtrack des Films, der Songs wie Rumore von Raffaella Carrà, Prisencolinensinainciusol von Adriano Celentano und L’immensità von Don Backy beinhaltet. Die italienische Musik klingt auch nach dem Abspann des Films weiter im Kopf.

Eine lyrische Liebeserklärung an die Sehnsucht nach Freiheit von der Konformität

L’immensità – Meine fantastische Mutter versucht mit zwei Handlungssträngen gleichzeitig zu jonglieren. Zum einen erzählt der Film von einer kolossalen Kluft zwischen einer hingebungsvollen Mutter und einem abwesenden Vater und zum anderen von der Transidentität des ältesten Kindes. Und auch wenn beide Geschichten nicht immer ganz zueinanderfinden, ist die unzerstörbare Verbindung von Mutter und Tochter/ Sohn das verbindende Herzstück.

Regisseur Emanuele Crialese hat sich mit der Veröffentlichung dieses Films als Transgender geoutet und mit schönen Bildern seine eigene Kindheit sowie seine eigene Geschichte dem Publikum geöffnet: sein wohl bisher persönlichster Film.

Bewertung

Trailer

Informationen

L'Immensità | 27. Juli 2023 (Deutschland) 6.4

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