Große Freiheit (2021) | Filmkritik

Wegen homosexueller Handlungen muss der junge Hans Hoffmann (Franz Rogowski) in den 1950er Jahren ins Gefängnis. Er hat gegen den Paragraphen 175 verstoßen, weil er auf der Herren-Toilette Oral- und Analverkehr mit Männern hatte.

Der Paragraf 175 des Strafgesetzbuches (StGB) stellte sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe.

In Haft lernt Hans den verurteilten Mörder Viktor Bix (Georg Friedrich) kennen, der ihn aufgrund seiner sexuellen Neigungen verachtet. Doch aus einer ersten Verachtung entwickelt sich eine tiefe Verbundenheit. Denn über drei Jahrzehnte treffen die beiden Männer im Knast immer wieder aufeinander. Und nach und nach empfinden sie mehr als nur Verbundenheit füreinander.

Es ist unausgesprochene Liebe zwischen ihnen. Doch ihre Liebe ist verboten. Das Gesetz stellt sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe. Und Viktor hofft darauf, nach der langen Zeit in Haft endlich wieder die Freiheit genießen zu können. Nur ist er mittlerweile drogenabhängig und kaputt. Sein langer Weggefährte Hans möchte ihm helfen wieder clean zu werden. Wo führt ihr gemeinsamer Weg nur hin?

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Große Freiheit ist ein deutsch-österreichischer Knastfilm, der das Thema Homosexualität im Gefängnis in der Nachkriegszeit sehr exakt beschreibt und den Zuschauer in diese Welt eintauchen lässt. Eines vorweg: Sowohl die beiden Hauptdarsteller Rogowski und Friedrich wie auch die wunderbare Regie von Sebastian Meise machen dieses Drama zu einem angenehm ruhigen deutschsprachigen Vertreter im Bereich der Knastfilme.

Eine Aufarbeitung der Vergangenheit

Auch der Anspruch des Films ist groß. Aber kommen wir erst einmal zur Story: Im Kern ist es eine Liebesgeschichte zwischen zwei Männern, die sich seit mehr als 30 Jahren immer wieder begegnen. Und das Angenehme an Große Freiheit ist die authentische Machart. Denn die Regie von Meise, der zuvor die Filme Stillleben und Outing inszenierte, ist sehr akribisch.

Der Österreicher holt mit wenig Mitteln eine Menge raus. So zeigt er den Alltag im Gefängnis und richtet seinen Fokus auf die sexuelle Ausgrenzung hinter Gittern. In den 117 Minuten zeigt er beispielsweise Blowjobs durch die Durchreiche einer Gefängniszelle, Kuscheln im Bett oder Handjobs auf der Toilette: Diese Details, die in vielen Filmen dieser Art oft nicht gezeigt werden, finden hier zu Recht ihren Platz. Denn diese expliziten Sexszenen gehören eben zu dem Thema dazu.

Auch die Zärtlichkeit zwischen den Hauptfiguren gewinnen an Bedeutung durch ihre persönlichen Schicksale. Sie sind füreinander da, wenn der andere Hilfe benötigt.

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Kleiner Kritikpunkt: die Laufzeit. Denn die fast schon dokumentarische Machart machen Große Freiheit zu einem Kraftakt. Es gibt kaum Highlights oder Spannung. So verzichtet Meise größtenteils auch auf die genretypischen Hahnenkämpfe, die in vielen Knastfilmen gezeigt werden. Auch das Thema Brutalität wird hier auf ein Minimum reduziert.

Sehnsucht nach Freiheit und Leben

Diese eher psychologische Ausrichtung machen das Drama also eher etwas für geduldigere Zuschauer. Wer einen gewöhnlichen Knastfilm erwartet, wird hier sicher enttäuscht werden. Diese Machart zeigt somit aber auch Gefängnisfilme von einer anderen Seite. Dadurch wird das Genre noch breiter.

Es ist vor allem dem grandiosen Schauspieler-Duo Rogowski und Friedrich zu verdanken, dass die Liebesgeschichte zieht. Sie spielen ihre Rollen hervorragend und sehr glaubwürdig. Auch die interessante Kombi zwischen dem offen-auslebendem Schwulen Hans und dem betont maskulin agierenden Viktor überzeugt. Beide sind gescheiterte Existenzen und verlieben sich ineinander.

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Rogowski gibt vollen Einsatz für seine Rolle und spielt mit einer hohen Sensibilität, aber auch mit viel Courage. Er trifft gekonnt die ruhigen Gefühlstöne. Sein Schauspielpartner Friedrich spielt einen scheinbar hartgesottenen Insassen, der respektiert wird. Mit wenigen kleinen Momenten gibt er seiner Figur mehr Tiefgang. Die Gebrochenheit in seinen Blicken und der entrüstende Gang überzeugen. Etwas schwierig ist es hingegen mit seinem Wiener-Dialekt.

Ein gelungener Knastfilmen mit Love-Story

Wer kein feines Gehör dafür hat, wird leider ein paar Dialogzeilen des Filmes verpassen. Dies wird auch von Hans im Film aufgegriffen, als er sagt: „Du kannst ja immer noch kein Deutsch.“ Neben dieser kleinen Sprach-Barriere geben die beiden alles in ihren Rollen. So eine Leinwandpräsenz von zwei männlichen Hauptrollen hat es schon länger nicht mehr gegeben. Allein wegen ihnen ist der Film sehenswert.

So eine Love-Story hat es sicherlich im deutschen Gefängnisfilm-Genre noch nicht gegeben. Innerhalb des Genres rangiert Große Freiheit im oberen Mittelfeld. Denn es gibt auch bessere Vertreter seiner Art wie beispielsweise Mauern der Gewalt, Brawl in Cell Block 99 oder der Klassiker Die Verurteilten.

Aber die Mischung aus Liebes- und Knastfilm macht es hier aus. Und wiederum im Romantik-Genre gibt es nur wenige kreative Beiträge aus Deutschland, die sich einer so wichtigen und bedeutenden Thematik annehmen wie der Paragraf 175, der aus heutigem Standpunkt undenkbar ist. Und das Gefängnis dient sehr gut als Setting. Mit etwas mehr Straffung und noch mehr optischen Reizen wäre hier sogar noch mehr drin gewesen. Dennoch bietet Große Freiheit jede Menge Gefühl, das in Knastfilmen ja nicht unbedingt zu erwarten ist.

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