Halbzeit in Cannes: Am sechsten Tag knallte die Sonne nur so herunter, doch statt faul am Strand zu liegen, nahm ich wieder dreimal in den klimatisierten Kinosälen Platz.
Das tolle an internationalen Filmfestivals ist, dass man Filme zu Gesicht bekommt, die sonst sehr wahrscheinlich gar nicht in die deutschen Kinos kommen. Begeistert war ich gleich vom ersten Film The High Sun, welcher Kroatiens erster Film in der Kategorie „Un Certain Regard” seit 1981 ist.
Mit denselben Schauspielern erzählt er von drei verschiedenen Liebesgeschichten, die in zwei befeindeten Nachbardörfern in drei prägenden Jahren in Kroatiens Geschichte spielen: 1991, 2001 und 2011. Die Geschichten erzählen von verbotener Liebe und deren ständiger Bedrohung. Die Folgen des Kroatienkrieges, des Stabilisierungsvertrags mit der EU und der Unterzeichnung des EU-Beitrittsvertrags, werden nur angedeutet. Im Vordergrund stehen stets die Protagonisten und deren Lebensumstände vor dem Hintergrund der Entwicklung ihres Landes. In Aufbau, Thematik und Wahl der Schauspieler ist dem Regisseur Dalibor Matanic hier ein kleines Meisterwerk gelungen!
Der nächste „Un Certain Regard”-Film war Cemetery of Splendor aus Thailand. In diesem leiden Soldaten an einer mysteriösen Schlafkrankheit und werden in eine Klinik gebracht, in der Hausfrau Jenjira ehrenamtlich arbeitet. Die vom Plot her versprochene Reise zu Magie, Heilung und Romantik kam jedoch überhaupt nicht rüber. Endlos lange Szenen, in denen wieder einmal nichts passierte, schafften es selbst mich mit der Schlafkrankheit zu befallen. Zwar ist die Hauptdarstellerin zuckersüß, aber sonst konnte ich dem Film leider überhaupt nichts abgewinnen und widme mich lieber Carol.
Der Wettbewerbsfilm ist mit Cate Blanchett als topfrisierte Upperclass-Lady und Rooney Mara als schüchterne Verkäuferin, die in den frühen 1950er Jahren Gefallen aneinander finden, erst einmal klasse besetzt. Todd Haynes nimmt sich in seinem Film genügend Zeit, die zaghafte Liebesgeschichte der beiden Frauen zu erzählen und Kameramann Edward Lachman (Paradies: Liebe) sorge für zeitgemäß schöne Bilder, die auf Super-16-mm-Film gedreht wurden. Dennoch hebt sich die Story im Vergleich zu thematisch ähnlichen Vorgängerfilmen nicht ab.
Regisseur Todd Haynes fokussiert sich sehr auf die beiden Frauen und zu wenig auf die Hürden von außen. Ich hätte mir ein wenig mehr Bezug zu der Zeit gewünscht, in welcher die Liebesgeschichte gegen jede Konvention verstößt. Ansonsten ist er jedoch sehr schön anzusehen und vor allem die Mode der 50er Jahre kommt hervorragend zur Geltung.
Zum Abschluss noch etwas Wissenswertes:
„Un Certain Regard“ heißt im übertragenen Sinne „Ein gewisser Blick“ und wurde 1978 eingeführt, um Filme zu fördern, die zu untypisch für den Hauptwettbewerb sind. Deren Macher sind deswegen oft nur wenig bekannt. Der Gewinner erhält ein Preisgeld, das für die Verbreitung des Siegerfilms in Frankreich verwendet wird.
Im letzten Jahr gewann z. B. Underdog von Kornél Mundruczó.
Bonne journée! MaryChloe