Der fünfjährige Saroo (Sunny Pawar) lebt zusammen mit seiner Familie in einer indischen Kleinstadt. Gemeinsam mit seinem Bruder Guddu (Abhishek Bharate) streift er täglich umher, um Essen oder Arbeit zu finden und die Familie zu ernähren. Als Guddu sich eines Abends wieder auf Arbeitssuche begibt, geht Saroo mit ihm. Doch da sein kleiner Bruder müde und nicht hilfreich ist, lässt Guddu ihn am Bahnhof zurück, wo der Fünfjährige in einem alten Zugwagon einschläft.

Er verfolgt hunderte Zugstrecken, Fahrpläne, zoomt in zahllose Bahnhöfe, um seinen früheren Wohnort und seine leibliche Familie wiederzufinden. Saroo hat die Hoffnung schon fast aufgegeben, als das Unglaubliche passiert und er im Internet auf ein Dorf stößt, das seiner Erinnerung verblüffend ähnlich sieht…
Die besten Geschichten schreibt das Leben. Wohl selten traf dieser Satz mehr zu als auf das, was Saroo Brierley zugestoßen ist. 2013 veröffentlichte Brierley seine berührende Lebensgeschichte in der Autobiografie A Long Way Home – Mein langer Weg nach Hause. Drei Jahre später findet die Geschichte den Weg auf die große Leinwand.

Die erste Stunde des Films trägt der junge Schauspieler fast ganz alleine. Dabei spielt er sich so kinderleicht durch eine große Bandbreite an Emotionen, dass man denkt er sei schon ein alter Hase im Geschäft. Und das auch noch fast ohne Dialog! Da ist man nach der Hälfte des Films fast schon etwas traurig, wenn man den kleinen Saroo mit seinen braunen Locken und großen Augen verlassen muss.
Doch jetzt begleiten wir den fünfundzwanzig Jahre älteren Saroo, gespielt von Dev Patel, auf der Suche nach seiner Familie. Auch Patel liefert eine großartige schauspielerische Leistung ab, indem er Saroos innere Zerrissenheit, Sehnsucht, Angst und Verzweiflung glaubhaft darstellt. Am Ende sucht Saroo fast wahnhaft nach Hinweisen zu seiner Herkunft und vernachlässigt damit nicht nur seine Familie und seine Freundin. Neben Sunny Pawar und Dev Patel zählen noch Nicole Kidman, David Wenham und Rooney Mara zum Cast, treten aber leider nur am Rand auf. Vor allem Szenen mit Saroos Freundin Lucy (Rooney Mara) wirken oberflächlich und künstlich. Das liegt sicher weniger an dem Talent beider Schauspieler, vielmehr wirkt es wie ein Versuch zwar eine Liebesgeschichte zeigen zu wollen, dieser aber nur den Status einer Fußnote in der Handlung einzuräumen. Schade, denn aus der Besetzung hätte man mehr machen können als gelegentlich auftretende Richtungsweiser.

Vor allem im ersten Teil des Films bestechen die Szenen durch beispielhafte Kameraarbeit. Gerade in den mit Menschenmassen überfüllten Straßen Kalkuttas entstehen überwältigende Bilder, die den Zuschauer mitnehmen. Genauso werden die Natur und Kultur Indiens eingefangen und geben ein Gefühl dafür, was Saroo später so sehr vermisst. Bei den Szenen mit dem jungen Saroo ist besonders, dass die Kamera immer auf seiner Augenhöhe bleibt; der Zuschauer also immer Saroos Blick einnimmt. Auch wenn das bedeutet, dass man auf einem Bahnhof erst einmal nur viele, viele Beine sieht. Die Dreharbeiten in den überfüllten Straßen Kalkuttas waren wahrscheinlich die größte Herausforderung mit der das Team zu kämpfen hatte.
Alles in allem überzeugt Lion: Der lange Weg nach Hause durch eine unglaubliche Geschichte und zwei hervorragende Hauptdarsteller. Berührend und spannend erzählt das Werk Saroo Brierleys langen Weg nach Hause. Bei den Oscars 2017 kann er sich zu Recht Hoffnung auf mindestens einen der begehrten Goldjungen machen.
Regie: Garth Davis
Drehbuch: Luke Davies
Musik: Hauschka, Dustin O’Halloran
Darsteller: Dev Patel, Rooney Mara, David Wenham, Nicole Kidman

Bildrechte: Universum Film


