Kurz nach den olympischen Winterspielen in Südkorea startet in den deutschen Kinos doch tatsächlich ein Film über Eiskunstlauf. Nicht aber über die Kunst, Schönheit oder gar die Geschichte des Eiskunstlaufs. I, Tonya erzählt die Geschichte einer der strittigsten Personen des Sports, wenn nicht sogar in der Geschichte der olympischen Spiele. Eine Geschichte voller Höhen und Tiefen. Und eine Geschichte, die genauso erschreckend wie fragwürdig verstanden werden will. Und bald wird dem Zuschauer klar, dass es hier definitiv nicht nur um Eiskunstlauf geht.
Tonya (Margot Robbie) wollte immer schon Eiskunstläuferin werden. Selbst mit drei Jahren verlor sie kein Wort über irgendetwas anderes. Ihre Mutter (Allison Jeanny), die ihr sonst nur an jeder Stelle Steine in den Weg legt, sieht schon früh, dass ihre Tochter nicht nur Talent besitzt, sondern bereits in jungen Jahren besser ist als alle ihre Kontrahenten.
Ihre Besessenheit und ihr Antrieb hebt sie über ihre junge Konkurrenz und Mama LaVona lässt dem Mädchen deswegen keine Ruhe. Nichts ist gut genug, nie kann sie etwas richtigmachen. Denn von positiven Worten lernt man nicht. Ihr gebrochenes Verhältnis verschlimmert sich, als auch ihr Vater es nicht mehr weiter aushält und Tonya schon früh alleine mit einer psychisch und physisch gewalttätigen Mutter lässt.
Getrieben zwischen Hass und dem Verlangen, es immer wieder besser machen zu müssen, sucht sie nach Wertschätzung einer Person, die sie niemals wirklich unterstützt.
Erst als die junge Tonya ihre erste, große Liebe, Jeff (Sebastian Stan), trifft, scheint sich das Blatt zu wenden. Die jungen Turteltauben nutzen die erste Möglichkeit, die Eiskunstläuferin aus dem eisernen Griff ihrer Mutter zu entreißen. Aber schon bald zeigen sich die ersten Brüche in der neuen Beziehung. Jeff wird gewalttätig, kämpft mit seinem Temperament, wie auch seiner starrköpfigen Frau. Die Situation zwischen den beiden eskaliert immer und immer wieder.
Für Tonya scheint nichts richtig zu laufen. Als eine der besten Eiskunstläuferinnen des Landes, überschattet ihr privates Leben immer wieder ihre größte Leidenschaft. Eine Karriere, die turbulenter nicht sein könnte, beginnt und an jedem Erfolg der jungen US-Amerikanerin wartet ein mindestens so großes Hindernis, welches ihr den Weg zu versperren scheint.
Doch Tonya gibt nicht auf. Sie gibt niemals auf! Sie kennt keine glücklichen Erfolge. Denn egal was auch passieren sollte. Am Ende ist es niemals genug!
I, Tonya erzählt die Geschichte von Tonya Harding, eine der erfolgreichsten und berühmtesten Sportler ihrer Ära. Aber nicht ihre sportlichen Erfolge, sondern ihre außersportlichen Affären überschatten eine Karriere in einer sportlichen Disziplin, wie sie blütenweißer nicht scheinen könnte. Wer die Geschichte rund um die junge US-Amerikanerin kennt, wird zwar von der Erzählung des Films nicht überrascht werden, sich aber dennoch an vielen Stellen nochmal am Kopf kratzen.
Denn eben die Erzählung macht I, Tonya so besonders. Die Geschichte aus der Sicht eines Bösewichts in vieler Augen und wieso sie sich niemals so gesehen hat. Was an der Geschichte wahr sein mag und was mehr der Fantasie entspringt, weiß niemand so genau.
Mehr soll zu dem Fall an dieser Stelle gar nicht verraten werden, denn gerade für viele deutschen Kinogänger, die mit dem „Vorfall“, wie er in I, Tonya bezeichnet wird, nicht vertraut sind, bietet der Film doch einige Überraschungen.
Biografien leben von der Authentizität und Glaubwürdigkeit des Hauptcharakters. Sei es Will Smith als Schwergewichtsboxer Muhammad Ali in Ali, Daniel Brühl als Niki Lauda in Rush oder Steve Carrell als John du Pont in Foxcatcher; ein Film, in dem Darsteller und reale Person verschmelzen zu scheinen, lässt den Zuschauer erst wirklich in der Geschichte versinken.
Margot Robbie (The Wolf of Wall Street) mag kein Doppelgänger Hardings sein und auch ihr Hintergrund als Eishockey-Amateur trug wohl stark zu der Entscheidung des Castings bei. Trotzdem porträtiert die Australierin die Eiskunstläuferin grandios. Spätestens zum Ende des Films, wenn zum Abspann Biografie-typisch Originalaufnahmen von Harding zu sehen sind, wird dem Zuschauer die Liebe zum Detail und die erbrachte Kleinstarbeit klar. Auch McKenna Grace (Gifted) macht zu Beginn des Films einen überraschend starken Job als junge Tonya.
Doch genau hiernach verliert I, Tonya kurzzeitig aber dennoch massiv an Glaubwürdigkeit. Warum Margot Robbie schon früh in dem Film eine 15-jährige Tonya Harding darstellen soll, ist nicht nur fragwürdig, sondern lenkt aktiv vom Geschehen des Films ab. Haarsträubend entwickelt sich auch die Liebesgeschichte zwischen ihr und Sebastian Stan (Captain America: The Winter Soldier), zwei Darstellern, die gezwungen werden Teenager-Dialoge zu führen.
Zwar ist der Film selbst stark und interessant genug, um die Szenen bald aus den Gedanken zu rücken, doch bleibt der bittere Beigeschmack und die Frage, warum hier nicht zwei jüngere Schauspieler vor die Linse gezogen wurden.
Abgesehen von dem kurzen Fehltritt überzeugen die Schauspieler aber auf voller Bandbreite. Margot Robbie und Sebastian Stan machen als verfluchtes Liebespaar ihren Job so gut, wie Paul Walter Hauser als Jeffs größenwahnsinniger Freund immer wieder für einen Lacher sorgt. Absoluter Showstealer ist und bleibt jedoch Allison Jeanny (The Help).
Als herz- und erbarmungslose Mutter sorgt sie zwar auch hier und da für ein Schmunzeln, doch ist sie genau der Charakter, der den Zuschauer so an Tonya bindet. Ihr Hass, ihre Undankbarkeit und ihre eiserne Kälte wirken einfach echt. Sie lassen die Eiskunstläuferin immer wie ein junges, hilfloses Mädchen erscheinen. Und wer die Charaktere des Films an einigen Stellen zu überzeichnet findet, wird zum Abschluss mit einigen Originalaufnahmen eines Besseren belehrt.
Selbst Black Swan sieht hier alt aus. Abgesehen von epischer Größe in Dunkirk und Blade Runner 2049, ist hier wohl einer der bildstärksten Filme der letztjährigen Oscar-Saison zu sehen. Wen also das Thema des Film von einem Kinobesuch abhält und eher einen gemütlichen Couchfilm erwartet, der liegt gewaltig daneben.
Vielleicht findet ein Film über Eiskunstlauf nicht unbedingt direkt ein großes Publikum. Auch ein Film rund um eine US-amerikanische Sportlerin, deren Geschichte vielen Leuten außerhalb der vereinigten Staaten wohl nicht geläufig sein dürfte, mag wohl in Deutschland die Kinokassen nicht zu laut klingeln lassen. Doch I, Tonya ist viel mehr als die Summe seiner Teile.
Der Film ist schauspielerisch eine (fast) makellose Meisterleistung, bildlich gewaltig und erzählt eine Story, die zwar real aber dennoch unglaublich abstrus ist. Er ist so lustig und unterhaltsam, wie an einigen Stellen absolut herzzerreißend.
Vielleicht ist es nicht die Geschichte, die jeden interessiert oder ins Kino lockt, aber es ist eine Geschichte, die erzählt werden muss und ganz egal wie viel an dieser Erzählung erstunken und erlogen ist, alles was hinter ihr steckt, ist so haarsträubend komisch wie real. Denn die besten Geschichten schreibt weiterhin das Leben selbst.