Slow West (2015) | Filmkritik

Slow West

Wann spielt ein guter Western? Natürlich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Zu den Zeiten des legendären Jesse James. Als Banditen und Kopfgeldjäger für eine Handvoll Dollar die wilde Prärie durchstreiften. In Tagen, da glorreiche Halunken noch mit ihren Schießeisen Angst und Schrecken säten. Damals, als der beste Freund eines einsamen Gesetzlosen sein treuer Gaul war.

In dieser Stimmung entwickelt sich auch Slow West. Der 16-jährige Jay Cavendish (Kodi Smit-McPhee) ist ein naseweiser Schotte auf der Suche nach seiner großen Liebe Rose Ross (Caren Pistorius). Sie musste mit ihrem Vater aus der gemeinsamen Heimat fliehen und versteckt sich nun tief im Wilden Westen. Schon bald gerät Jay an den gesetzlosen „Grobian“ Silas (Michael Fassbender), der ihn für einen unverschämt hohen Sold durch die Lande führt. Auf ihrer Reise durchsteht das Duo so manches Abenteuer und nach einigen Tagen wird klar, dass sie einander nicht nur brauchen, sondern drauf und dran sind Freunde zu werden.

Beide Männer tragen jedoch ein dunkles Geheimnis mit sich herum. Während Jay verbirgt, dass er der eigentliche Grund ist, weshalb Rose und ihr Vater fliehen mussten, verschweigt Silas ihm, dass ein Kopfgeld auf die Ross-Familie ausgesetzt wurde und er nicht abgeneigt ist, die 2.000 Dollar einzustreichen. Als auch noch der Schurke Payne (Ben Mendelsohn) mit seiner Bande auf den Plan tritt, kommt es zu einem Wettlauf gegen die Zeit, bei dem es heißt: „Tod oder Lebendig“.

Obwohl Slow West einen der besten Trailer des Jahres präsentierte, blieb der Film in Deutschland unter dem Radar. Nur wenige Arthouse-Kinos nahmen ihn überhaupt in ihr Programm auf, denn bis auf Michael Fassbender gab es keine großen Namen für eine Werbekampagne. Der schottische Regisseur und Drehbuchautor John Maclean legte hiermit schließlich sein Spielfilm-Debüt hin, für den Komponisten Jed Kurzel war es nach dem Horror-Geheimtipp Der Babadook erst Kino-Auftritt Nummer 2 und auch unter den Schauspielern dominierten unbekannte Gesichter.

Dabei ist schon nach 10 Minuten Laufzeit glasklar, dass Slow West mehr Beachtung verdient. Unter vielen Kritikern gilt er nicht umsonst als ein Neo-Western, der das Genre neu interpretiert. Der Streifen kann vor allem mit seinen wunderschön eingefangenen Bildern punkten und eignet sich damit nicht nur für die Poster-Produktion, sondern erinnert streckenweise sogar an den Genre-Hit Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford.

Außerdem herrscht eine hervorragende Chemie zwischen den ungleichen Helden Jay und Silas, was natürlich an ihrem geballten Schauspieltalent liegt. Auch die anderen Charaktere im Film liefern authentische Performances ab und verwandeln die Handlung in ein stimmiges Ganzes. Vor allem zwei Mitgliedern des Casts sei hier eine kleine Lobeshymne gewidmet.

Zuerst ein Wort zu Ben Mendelsohn. Der Herr ist zwar bereits seit den 80er-Jahren im Geschäft, aber ruft bei den breiten Massen ganz sicher noch kein Déjà-Vu-Erlebnis hervor, wenn er auftaucht. Das muss sich ganz schnell ändern, denn er ist für mich zweifelsohne eine der Überraschungen der letzten Jahre. Hinter ihm verbirgt sich ein wirklich facettenreicher Vertreter seiner Profession, der in Filmen wie Ridley Scotts Bibelepos Exodus: Götter und Könige, A Place Beyond the Pines und vor allem in Ryan Goslings Traum-Ode Lost River überzeugt. Slow West passt nun in die Reihe der hervorragenden Side-Kick-Auftritte von Mendelsohn. Gebt dem Kerl nun also endlich eine anspruchsvolle Hauptrolle und den Ruhm, den er verdient!

Zu Michael Fassbender muss man in diesen Tagen kaum noch etwas sagen! Dieses Prachtexemplar eines Schauspielers ist für mich einer der besten Charaktermimen Hollywoods. Er kann wirklich alles spielen. Sei es nun ein Superschurke wie Magneto (X-Men-Reihe), eine Ikone der Literaturgeschichte wie Mcbeth, ein verzweifelter Sexsüchtiger (Shame), ein teuflischer Sklaventreiber (12 Years a Slave), oder die Apple-Legende Steve Jobs. Er versprüht Charisma, wenn er den Mund aufmacht und ist talentiert wie nur wenige seiner Kollegen. In Slow West schafft er es den raubeinigen Silas auf treffend ambivalente Weise zu verkörpern und steigt damit zum unbestrittenen Star der Geschichte auf.

Die Erzählstruktur des Films ist ein weiterer Bonuspunkt. Die Perspektive wechselt zwischen Jays Gegenwart und Vergangenheit hin und her. Hier und da wird dann noch Voice-Over von Silas eingestreut. Zusammen mit einer Laufzeit von 84 Minuten ergibt sich daraus ein angenehm kurzweiliger Film, der schlicht und ergreifend keine einzige langweilige Länge enthält. Da auch kleine Nebenschauplätze mit Liebe inszeniert sind, fühlte ich mich unmittelbar in den Wilden Westen hineinversetzt und vergaß gemeinsam mit Jay die Zeit bei einer atmosphärischen Lagerfeuer-Geschichte.

Am Ende bleibe ich mit einem leisen Hunger nach mehr Story zurück und sehe den hervorragenden Trailer nun in einem anderen Licht. Er mag zwar innovativ und temporeich daherkommen, aber ist genau deswegen unangebracht. Er verspricht zu viel Action und führt den Zuschauer damit etwas in die Irre. Das ist bei Trailern zwar nichts Neues, aber immer wieder ärgerlich.

Alles in allem ist Slow West ein charmantes Kleinod, bei dem auch Leute auf ihre Kosten kommen, die – wie ich – sonst keine großen Fans des Western-Genres sind. Das Regie-Debüt von John Maclean entpuppt sich als echter Geheimtipp des dem Kinojahrs 2015 und lässt auf soliden Nachschub hoffen. Gerade wer sich bei all der Mainstream-Unterhaltung die Finger nach etwas Erfrischendem leckt, sollte Slow West auf seine To-Watch-Liste schreiben. Denn schließlich lehrt uns Jay nicht umsonst: „Es gibt mehr im Leben als schlichtes Überleben“.

Regie: John Maclean
Drehbuch: John Maclean
Musik: Jed Kurzel
Darsteller: Michael Fassbender, Kodi Smit-McPhee, Ben Mendelsohn, Caren Pistorius, Rory McCann

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