Love (2015) | Filmkritik

Love (2015)

Der argentinische Regisseur Gaspar Noé liebt es sein Publikum zu schocken. Durch Werke wie Menschenfeind (1998) und Irreversibel (2002) verdiente er sich den Ruf als Skandal-Regisseur. Sein folgendes Werk Enter the Void (2009) lässt sich am besten beschreiben als ein einziger auf Zelluloid gebannter Drogentrip.

Der Meister der Provokation

Nach Ausflügen in das Kurzfilm-Genre widmete sich der Ausnahme-Regisseur 2015 dem großen Thema der Liebe und schuf Love: 135 Minuten voller Leidenschaft, Drogen und Sex. Damit ist aber kein Hollywood-Blümchensex gemeint, sondern Gaspar Noé-Sex voller Fingern, Blasen und Ficken. Knallhart und doch immer wieder verletzlich. Begierde trifft auf Verlangen.

© Alamode Film/Wild Bunch

Es ist Neujahr. Früh am Morgen. Der in Paris lebende Amerikaner Murphy wird von dem klingeln seines Telefons aus dem Schlaf gerissen. Neben ihm liegt seine junge Frau Omi und die gemeinsame Tochter. Er geht nicht ans Handy, sondern hört den Anrufbeantworter ab: die Stimme von Elektras Mutter. Seit zwei Monaten hat sie nichts von ihrer Tochter gehört und bittet Murphy um Hilfe.

Versprechungen, Leidenschaft, Exzessen & Zärtlichkeit

Murphy ist geschockt und seine Gedanken beginnen zu kreisen. Elektra war seine große und wahre Liebe. Nicht Omi, die neben ihm im Bett liegt und ungewollt schwanger wurde. Murphy erinnert sich zurück an die wilde Zeit voller Versprechungen, Leidenschaft, Exzessen und Zärtlichkeit. Und er muss wissen, was mit Elektra geschehen ist. Doch will er die Antwort wirklich wissen? Oder will er sich nur in eine Zeit zurück retten, in welcher er voller Leidenschaft war, voller Love?

Dass Gaspar Noé nicht zu den konventionellen Filmschaffenden unserer Zeit gehört, wird jedem Zuschauer bereits bekannt sein. Die Tatsache, dass er immer wieder versucht Grenzen zu überschreiten und schocken will, ist seit Jahren ebenfalls bekannt. Mit Love widmet er sich nun einem offensichtlichen Tabuthema und findet dabei doch recht romantische Untertöne.

Das Eröffnungsbild des Films ist ein eng umschlungenes Pärchen, welches schamlos seine nackten Körper der Kamera präsentiert. Unzensiert und ohne Schnitte sehen wir einen Mann und eine Frau in einem intimen Moment. Noé versucht erst gar nicht etwas zu verschönern oder zu verdecken. Er hält ehrlich drauf bis zum Schluss: der Ejakulation des Mannes. Somit haben wir Murphy und Elektra kennengelernt, welche den Fokus des Films ausmachen und dessen Liebesspiele wir im Laufe der Handlung noch oft zu Gesicht bekommen werden.

© Alamode Film/Wild Bunch

Die Handlung und Erzählstruktur ist dabei, wie schon in den anderen Werken des Regisseur, keineswegs gradlinig, sondern eine wirsche Mischung aus Gegenwart und Vergangenheit, dessen Chronologie erst mit fortschreitenden Taten der Figuren nachvollziehbar wird. Einfach Erinnerungen von Murphy. Im Kern bekommt der Zuschauer jedoch eine Liebesgeschichte zwischen zwei Menschen präsentiert, mit all ihren Höhen und Tiefen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Murphys Gegenstück Elektra

Herzstück sind dabei selbstverständlich die Protagonisten des Stückes. Murphy, dargestellt von Karl Glusman (Stonewall) ist ein Student der Filmschule in Paris. Immer wieder sehen wir seine Leidenschaft zu Filmen durch Poster von alten Klassikern. M – Eine Stadt sucht einen Mörder, Taxi Driver und Die Geburt einer Nation zieren unter anderem die Wände seiner Wohnung.

Durch einen Fehler ist er jedoch bei seiner Frau Omi (Klara Kristin) gelandet und hat seine Liebe Elektra (Aomi Muyock) verloren. Elektra: Murphys Gegenstück. Während Omi mehr als Beiwerk des Films wirkt, verfolgen wir Murphy und Elektra die meiste Zeit des Films. Schließlich sind wir in den Gedanken unseres männlichen Protagonisten.

Und dieser denkt vorwiegend an Sex. Wir sehen ihn so oft zusammen mit Elektra, dass es fast ermüdet seinen Penis und ihre Schambehaarung vor der Kamera zu sehen. Während man zu Beginn des Films noch durch die intimen Sexszenen eine Verbindung zu den Figuren aufbauen kann und ihnen wirklich die endlose Liebe abkauft, scheint es besonders im letzten Drittel des Films zunehmend aufgesetzt. Besonders störend ist dabei eine Szene mit einer Transe, die einzig dazu dient noch einen oben drauf zu setzen. Abseits davon kann man bei diesem Film keine schauspielerischen Ausfälle auflisten. Besonders da beide Frauen mit Love ihr Filmdebüt gaben.

© Alamode Film/Wild Bunch

Wo wir schon bei den Charakteren sind, müssen Murphys Kind Gaspar und Elektras Ex-Freund Noe erwähnt werden – Gaspar Noé. Ein junges unschuldiges Baby und ein lüsterner alter Mann, der eine Vorliebe für junge Frauen hat. Gaspar Noé wird sich dabei schon seine Gedanken gemacht haben.

Die nackte Wahrheit

Doch blendet man die zahlreichen Sexszenen aus, fallen die langen Spaziergänge und Dialogszenen auf. Nicht mit nackter Wahrheit und Sex weiß Noé dieses Mal zu erschrecken, sondern mit seinen tiefsinnigen und romantischen Gesprächen. Er bringt es einfach auf den Punkt: „Was ist der Sinn des Lebens“, wird gefragt. Die einfache Antwort: „Liebe.“. Danach geht es direkt wieder ins Bett und man beachtet minutenlang die auf und ab schwingenden Körper der Figuren.

Dabei wünscht man sich einfach nur, dass sie wieder einen innigen Moment voller Wahrheit haben und über ihre Gefühle sprechen. Hier hätte Gaspar Noé etwas Haut durch Handlung ersetzen müssen. Denn Liebe ist nicht nur Sex.

Mit Love versucht sich Gaspar Noé an einem Lobgesang auf die große Liebe im Leben. Leider versucht er zwischendurch etwas zu stark seinem skandalösen Ruf treu zu bleiben und verschenkt somit einiges an Potenzial. Durch ehrliche Darsteller, ehrliche Dialoge und ehrliche Sexszenen bleibt Love aber trotzdem ein zärtliches Werk, dass Romantik lobpreist. Und am Ende bleibt immerhin die Frage: Ist Liebe vielleicht wirklich der Sinn des Lebens?

Regie: Gaspar Noé
Drehbuch: Gaspar Noé
Musik: Pascal Mayer
Darsteller: Aomi Muyock, Karl Glusman, Klara Kristin, Ugo Fox, Juan Saavedra, Aaron Pages

Handlung:

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Bildrechte: Alamode Film/Wild Bunch

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