Lange galt in der Filmbranche eines als unumstößliche Wahrheit. Ein Film mit Steven Spielberg auf dem Regiestuhl kann niemals schlecht sein. Tatsächlich dauerte es eine halbe Ewigkeit bis Spielberg, der bereits seit den 70ern für die große Leinwand Projekte abdreht, in ein Fettnäpfchen trat. Während die Kritiker bei Krieg der Welten (2005) einmal tief durchatmeten, aber kein allzu böses Wort über den Regiegroßmeister verlieren wollten, waren sich Fans und Journalisten 2008 einig. Eine weitere unumstößliche Wahrheit gehörte beerdigt. Das halbherzige CGI-Gewitter von Indianer Jones und das Königreich des Kristallschädels konnte niemand schönreden. Auch Steven Spielberg erwies sich als fehlbar. Jedoch ließ er sich von diesem Ausrutscher kaum beeindrucken, lieferte er doch nur wenige Jahre später mit Lincoln (2012) ein zwölffach oscarnominiertes Geschichtsepos ab.
Die Frage nach seinem nächsten Projekt wurde rasch laut und Spielberg entschied sich nicht – wie er es in den 90ern so manches Mal getan hatte – für eine ausgewogene Abwechslung von ernsthaften Stoffen und bester Blockbusterunterhaltung, sondern legte nun mit Bridge of Spies: Der Unterhändler das nächste Drama nach, das auf wahren Begebenheiten beruht und mit Preisnominierungen überschüttet (sechsfache Oscar-nominierung) wurde. Doch hält das Projekt und Spielbergs Name dieses Mal, was es verspricht?
Um das herauszufinden, muss der Zuschauer sich bei Bridge of Spies in eine heiße Phase des Kalten Krieges hineinversetzen, in der jede physische Auseinandersetzung tunlichst vermieden werden sollte, während das Tauziehen im Hintergrund gerade erst richtig Fahrt aufnimmt – es ist die Hochzeit der Spionage. In dieser heiklen Konstellation sieht sich der Versicherungsanwalt James B. Donovan (Tom Hanks) plötzlich mit einem ebenso heiklen Fall konfrontiert. Er soll im Interesse seiner Kanzlei der Welt die moralische Überlegenheit des Westens demonstrieren, indem er den vermeintlichen Sowjetspion Rudolf Abel (Mark Rylance) vor Gericht verteidigt. Als Donovan diesen Auftrag jedoch wörtlich nimmt, hagelt es Probleme. Nur wenige Tage nach Prozessbeginn zeigt sich bereits, dass die ganze USA nach Abels Hinrichtung schreit und auch dessen Rechtsanwalt ins Fadenkreuz nimmt.
Mit einem trickreichen Schachzug versucht Donovan für seinen Mandanten einen Gnadenaufschub zu erreichen, doch noch ehe die Gerichtsverhandlungen vollkommen beendet sind, klopft bereits die CIA an seine Bürotür. Für einen Auftrag mit dem Aktenzeichen „Top Secret“ schicken ihn die Agenten in Europas Hexenkessel. Sein Auftrag führt ihn in das geteilte Berlin. Als getarnter Unterhändler.
Historienfilme schweben immer in der Gefahr, in die Langeweile abzugleiten, gerade weil die Vergangenheit bei brisanten Ereignissen natürlich einen unausweichlichen Spoiler darstellt. Deshalb hat sich ein genaues Augenmerk auf die Charaktere und ihre kleinen Geschichten, die bisher nur selten Erwähnung fanden und der Öffentlichkeit meist verborgen blieben, bewährt. Mit Schindlers Liste (1993) hatte Spielberg fulminant aufgezeigt, wie das Kunststück Geschichtsdrama funktionieren kann. Mit Bridge of Spies ist ihm nun abermals ein Werk gelungen, das zwar so manches Manko aufweist, aber gewiss nie langweilig wird. Zum einen liegt das sicher an Joel und Ethan Coens Drehbuch, das sie in Zusammenarbeit mit Matt Charman konzipierten. Sie überraschen den Zuschauer, indem sie dem ernsten Thema des Kalten Krieges eine beachtliche Portion des typischen Coen-Humors beimischen. Natürlich ist der Witz des Films stets anständig und gediegen und reicht damit nicht für mehr als ein seliges Schmunzeln. Jedoch hält er in einem Drehbuch, das so gut wie nur vom Dialog lebt, das Tempo höher als erwartet.
Zum anderen darf sich der Zuschauer immer wieder auf spannungsgeladene Szenen freuen, die ein Zeugnis für die Tatsache sind, dass Spielberg sich auch im Actiongenre bestens auskennt. Ein stiller und gleichzeitig rasanter Start in die Geschichte verbindet die besten Elemente von Spionagestory und Verfolgungsthrill miteinander. Auch später im Film sind die Augen vor Staunen geweitet, wenn einem ein Überlebenskampf in der Luft handwerklich tadellos inszeniert vorgesetzt wird. Ebenso verhält es sich mit den eingefangenen Verhörmethoden.
Somit gelingt es Bridge of Spies trotz seines verhältnismäßig trockenen Themas und den 142 Minuten Laufzeit einen spannenden und durchweg interessanten Plot aufzufahren, der gepaart mit Spielbergs virtuosem Sachverstand Spaß beim Zusehen macht.
Was die Charaktere angeht, so tauchen derer viele auf. Die Konzentration liegt aber im Großen und Ganzen auf nur Zweien. Rechtsanwalt Donovan und sein Mandant Abel. Die Chemie zwischen diesen beiden Männern wirkt seit der ersten Begegnung ansteckend. Das liegt natürlich am eleganten Drehbuch und den meisterhaften Darstellern. Mark Rylance, zurecht mit dem Oscar als bester Nebendarsteller prämiert, spielt den ruhigen Genossen Abel mit seiner charmanten Liebe zur Malerei ausgezeichnet. In seinem Gesicht scheint sich oberflächlich kaum etwas zu bewegen, doch auf den zweiten Blick trügt dieser Schein. Gerade die feinen Regungen machen seine Performance so authentisch und lassen erahnen, weshalb er in Großbritannien als einer der besten Theaterschauspieler seiner Generation gilt.
Aber auch Tom Hanks verkörpert Donovans Wesen auf eindrückliche Art und Weise. Schon einige Jahre konnten wir eine solch starke Leistung von Hanks nicht mehr genießen. Nach Terminal (2004), Der Soldat James Ryan (1998) und Catch Me If You Can (2002) überzeugt Bridge of Spies wohl auch den letzten Zweifler davon, dass Spielberg und Hanks eine der gelungensten Kollaborationen Hollywoods darstellen.
Während also mit einem Coen-Brüder-Drehbuch, einem Spielberg-Hanks-Projekt und auch Thomas Newmans melancholisch getragenem Soundtrack gleich drei Qualitätssiegel den Streifen prägen, entbehrt er dennoch nicht einiger offenkundiger Schwächen.
Die so sympathische und nachvollziehbare Figurenzeichnung stagniert hier und da, nachdem James Donovan die USA verlässt und nach Deutschland gelangt. Hanks Charakter bleibt das, was er bereits zu Beginn der Erzählung war: eine gerechte amerikanische Seele ohne nennenswerte Schattenseiten. Die Exposition für Donovan und auch der anderen Figuren könnte kaum besser verarbeitet sein und sie fügen sich nahtlos in ein gewitzt erzähltes erstes Drittel der Geschichte ein. Allerdings werden beinahe alle Baustellen, die dort aufgemacht werden mit der Verlagerung der Handlung nach Deutschland auf Eis gelegt. Die aufkommende Wut der Bevölkerung gegen Donovan und seine Familie, die Angst seines Sohnes vor dem nuklearen Holocaust und auch das interessante Hin und Her vor Gericht tritt vollkommen in den Hintergrund und wird nicht zu keinem Ende gebracht. Auch die Schicksale rund um den Berliner Mauerbau instrumentalisiert der Film lediglich für kurze Momente der Spannung. Es sind diese ausgelassenen Möglichkeiten, die dem Film in seinem Gesamtkonzept schaden und so freut man sich regelrecht immer wieder auf die gewitzten Wortschlachten, von denen der Film lebt.
Wer sich für Bridge of Spies entscheidet, sollte sich schlussendlich bewusst sein, dass Spielberg und sein Team es nicht so sehr auf ein ausdifferenziertes Drama anlegen, sondern vielmehr eine kleine und feine Geschichte über einen aufrechten Amerikaner erzählen wollen. Dieser Patriotismus wird über weite Strecken mit einem charmanten Understatement transportiert, was dennoch nicht bedeutet, dass die Sowjetunion hier und da nicht eine äußerst flache Zeichnung erfährt. Trotzdem ergibt sich ein durchweg solides Werk, das – was die filmischen Mittel angeht – zum Staunen einlädt. Gerade das Setdesign ist von einer herzlichen Detailverliebtheit bestimmt, sodass manche Kulisse zeitweilig wie ein Gemälde anmutet.
Den Höhepunkt des Filmes bildet für mich persönlich eine Szene, in der Abel im Verhörzimmer über einen standhaften Mann spricht, den er einst kannte. Ein Motiv, das den Film bestimmen soll. Wie Rylance hier seine Schauspielkunst darbietet ist vortrefflich pointiert. Die Worte in seinem Mund könnten besser kaum zurechtgelegt sein. Das ist großes Kino, für das Spielberg mit seinem Team zurecht gerühmt wurde.
Alles in allem ist Bridge of Spies ein durchaus sehenswerter Film, dessen erstes Drittel viel interessanter und spritziger daherkommt als der noch immer sehr solide und sehenswerte restliche Teil des Films. Vieles wird angedeutet aber längst nicht alles wird weitergedacht. So bleibt festzustellen, dass noch Luft nach oben ist aber Spielberg für ein schönes Erlebnis garantiert, indem er die stillen Helden des Kalten Krieges würdigt und vor allem mit Rechtsanwalt James Donovan für einen grenzübergreifenden Optimismus plädiert.
Bridge of Spies: Der Unterhändler entpuppt sich als eine Geschichtsstunde, in der ganz klar der Unterhaltungswert im Vordergrund steht. Vor allem durch zwei Schauspielkünstler und den unerwarteten Witz des Drehbuchs unterscheidet er sich vom gewöhnlichen Historienfilm.
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