Die abhandene Welt (2015) | Filmkritik

Die abhandene Welt

Durch Zufall entdeckt Paul Kromberger (Matthias Habich) im Internet das Foto der New Yorker Operndiva Caterina Fabiani (Barbara Sukowa), die seiner verstorbenen Frau Evelyn wie aus dem Gesicht geschnitten scheint.

Seine Beunruhigung und zunehmende Verstörung übertragen sich auch auf seine Tochter Sophie (Katja Riemann). Er bittet seine Tochter nach New York zu fliegen, um Caterina aufzusuchen und dem mysteriösen Umstand auf den Grund zu gehen.

Caterina begegnet ihr zunächst abweisend und ohne jede Bereitschaft Auskunft über sich und ihre Familie zu geben. Nur langsam öffnet sie sich der Tatsache, dass hier etwas nicht stimmen kann. Nach und nach kommen Geheimnisse ans Tageslicht, die über Jahrzehnte tief im Herzen der Elterngenerationen verborgen waren und beide Frauen für immer verändern werden.

Für ihren neuen Film Die abhandene Welt ließ sich Margarethe von Trotta von nichts geringerem inspirieren als ihrer eigenen Vergangenheit. Trotta erfuhr in den frühen Achtzigerjahren selbst, dass sie eine Schwester hat, die nach ihrer Geburt zur Adoption freigegeben wurde. Nun präsentiert sie eine fiktive Geschichte über die Entdeckung lang gehüteter Geheimnisse, die mit ihrer eigenen Biographie angereichert ist.

Der internationale Durchbruch gelang ihr im Jahr 1981 mit dem Film Die bleierne Zeit, für den sie in Venedig den Goldenen Löwen als erste Frau nach Leni Riefenstahl (1938) erhielt. Er erzählt von zwei Schwestern (eine davon gespielt von Barbara Sukowa) und wie diese im Zuge der 68er-Bewegung unterschiedliche Wege gehen: eine als Redakteurin und die andere als Terroristin. Das Schwesternthema kam ebenfalls im Film Schwestern oder die Balance des Glücks (1979) zum Einsatz.

Starke Frauen dominieren in fast all ihren Filmen die Geschichte. Jene wurden von Barbara Sukowa bereits u. a. in Rosa Luxemburg (1986), Vision – Aus dem Leben der Hildegard von Bingen (2009) und in Hannah Arendt (2012) verkörpert.

In Die abhandene Welt gibt es gleich doppelte Frauenpower, indem Katja Riemann (die bereits in Trottas Rosenstraße von 2003 mitspielte) und Barbara Sukowa das erste Mal gemeinsam vor der Kamera stehen und sich zusammen auf Spurensuche begeben.

Über deren schauspielerisches Talent braucht man nicht zu streiten. Sie verkörpern beide Protagonistinnen in ihrer Rolle glaubwürdig: Katja Riemann als nachdenkliche Sängerin Sophie, die noch nicht ganz ihren Platz im Leben gefunden hat und Barbara Sukowa als exzentrische Operndiva.

Dazu dürfen die beiden ihre Gesangsbegabung zum Einsatz bringen, wobei die stets traurig anmutenden Klänge die Zuschauer schnell ermüden. Man müsste auch Fachmann sein, um die Bezüge zur Musik der Romantik zu erkennen, die sich durch den gesamten Film ziehen. Der Filmtitel etwa ist ein Zitat aus dem Lied „Ich bin der Welt abhanden gekommen“ von Friedrich Rückert und Gustav Mahler.

Sophie taucht im Film in eine für sie neue Welt ein. Sie findet ihre vermeintliche Schwester und möchte mit ihrer Hilfe dunkle Familiengeheimnisse ergründen. Doch beide kommen erst nach einigen Schwierigkeiten zusammen und die Zeit bis dahin scheint nicht vergehen zu wollen. In langatmigen Sequenzen ist man von Sukowas Zickereien genervt und auch ohne die Rolle von Catarinas Agenten Philip (Robert Seeliger), der Sophie zwar ein persönliches Treffen mit ihrer vermeintlichen Schwester ermöglicht, dann aber zu einem schleimenden Rosenkavalier mutiert, wäre der Cast gut ausgekommen.

Das bunte Lichtermeer New Yorks bei Nacht bringt auch kein Licht in das Dunkel der Familiengeschichte. Das Setting wird überwiegend von kühlen Farben und moderner kühler Architektur dominiert. Durch den gesamten Film zieht sich eine melancholische Grundstimmung. Geordnete Leben geraten aus der Bahn und selbst das erhoffte Ziel, die eigene Schwester zu finden, scheint durch deren Abneigung eher Strafe als Wohltat.

Was der Geschichte unnötige Langatmigkeit verleiht ist die Tatsache, dass die vergangenen Zeiten stets angesprochen werden, jedoch hätten einige Szenen aus der Vergangenheit der Story nicht geschadet. Auch die verstorbene Mutter wird nur angesprochen und taucht in keinerlei Rückblenden auf.

Zudem glänzt die Geschichte mit Logiklücken, die damit anfangen, dass Sophie ohne Hindernisse in die Garderobe der Operndiva gelangt und damit endet, dass Papa Paul, der seine Tochter erst auf die Suche nach Klarheit schickt und ständig am Telefon nach dem Stand fragt, das Geheimnis längst kennt. Und gerade als sich beide Frauen auf die Suche begeben, taucht eine geheimnisvolle Box mit unerlässlichen Fotos der Familiengeschichte auf.

Die abhandene Welt hat ohne Zweifel einen tollen Cast und einen gelungenen, wenn auch sehr melancholischen Soundtrack. Margerethe von Trotta erzählt einen sehr persönlichen Film vom plötzlichen und unvermuteten Einbrechen der Vergangenheit in die Gegenwart. Das Potential der Story wurde jedoch nicht ganz ausgeschöpft und präsentiert wird letztendlich eine weitschweifige Schnitzeljagd nach einem verborgenen Geheimnis, die schnell ermüdet.

Der Film hinterlässt nach all den Hürden auf dem Weg zum Ziel dennoch eine gewisse Schwere. Abhanden gekommen sind neben einer mitreißenden Welt, in die man als Kinozuschauer eintauchen möchte, leider auch etwas zu viel an Humor und Logik.

Regie: Margarethe von Trotta
Drehbuch: Margarethe von Trotta
Musik: Sven Rossenbach, Florian van Volxem
Darsteller: Katja Riemann, Barbara Sukowa, Matthias Habich, Gunnar Möller, Robert Seeliger, Tom Beck, August Zirner, Rüdiger Vogler, Karin Dor

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