„Wolfenstein: The New Order“ – Ein Shooter der alten Schule

Wolfenstein – The New Order überzeugt mit klassischem Gameplay und guten Ideen.

Special-Agent B.J. Blazkowicz ist sauer. In seiner nunmehr 22jährigen Laufbahn hat er mittlerweile zwar schon gefühlt tausenden regimetreuen Nazis in den Hintern getreten, schafft es aber dennoch nicht das nationalsozialistische Regime endgültig zu besiegen. So auch im neuesten Titel Wolfenstein – The New Order, das bereits vor Erscheinen mit einer umfangreichen Kampagne immens beworben wurde.

Wolfenstein, das einst das Egoshooter-Genre begründete, ließ in den letzten Jahren wenig von sich hören. Kann das Entwicklerstudio MachineGames die altehrwürdige Reihe ohne direkter Beteiligung von den Gründern Id-Software an die moderne Zeit anpassen?

Zugegeben, Weltkriegsshooter sind out, sehr out sogar. Und abgesehen von ein paar Ausnahmen wie den ersten Call of Duty Titeln und Medal of Honor Spielen aus den 2000er Jahren ist das in zig anderen mittelmäßigen Shootern verwendete Szenario durchgekaut und abgenudelt.

Daher bedient sich das schwedische Entwicklerstudio eines neuen Ansatzes: Wolfenstein – The New Order spielt nicht im Zweiten Weltkrieg, sondern in einer fiktiven Welt, in der die Nazis den Krieg aufgrund einer hochentwickelten Technologie gewonnen haben.

Das Spiel beginnt mit einem verzweifelten Angriffsmanöver 1946 auf eine deutsche Stellung in Polen, um den Führer des Regimes General Totenkopf auszuschalten. Der Angriff schlägt fehl, woraufhin Blazkowicz überwältigt wird und 14 Jahre lang im Koma liegt. Als er erwacht, traut er seinen Augen kaum. Aus den blühenden Metropolen Europas sind hässliche Betonwüsten geworden, wo einst Parks und Wälder in saftigem Grün wuchsen, gedeiht nun noch bestenfalls Unkraut durch vereinzelte Löcher im Beton.

Auf der ganzen Welt herrscht das nationalsozialistische Terrorsystem mit eiserner Faust. Blazkowicz ist wild entschlossen sich der inhaftierten Untergrundbewegung anzuschließen und sinnt nach Rache für seine gefallenen Kameraden und Freunde an General Totenkopf.

Die Geschichte, offensichtlich von Robert Harris‘ Roman Vaterland inspiriert, verdient zwar keinen Innovationspreis, bietet für einen Shooter jedoch überdurchschnittlich gute Unterhaltung mit einigen Gänsehautmomenten. Von der Inszenierung fühlt man sich des Öfteren in einen guten US-amerikanischen Spielfilm versetzt.

Dabei passt der völlig überzeichnete „Über-Agent“ Blazkowicz, der es mit der halben Wehrmacht im Alleingang aufnimmt, wie die Faust aufs Auge. Aber auch die anderen Figuren, allen voran die polnische Krankenschwester Ania, wirken authentisch und glaubwürdig. Der Spieler nimmt den Figuren ihr Handeln jederzeit ab, Worthülsen und Phrasen in kitschigen Pathos verpackt treten erfreulicherweise eher selten auf.

Ein großer Anreiz zum erneuten Durchspielen ist die Tatsache, dass sich der Spieler nach Ende des Prologs zwischen den Mitspielern Wyatt und Fergus entscheiden muss, wovon nur einer überlebt. Je nach Wahl kann der Spieler Schlösser knacken oder Stromkästen überbrücken. Eine gute Idee, zumal so die Spielzeit auf bis zu 15 Stunden ausgedehnt wird, für einen modernen Shooter überdurchschnittlich viel.

Wolfenstein spielt sich im Gegensatz zu anderen zeitgenössischen Titeln wie ein klassischer Shooter Anfang der 2000er Jahre. Dementsprechend fallen viele Komfortfunktionen aktueller Titel weg, unter anderem das komplette Auffüllen der Lebensenergie beim Verharren hinter Deckung.

Auch gibt es nicht die Möglichkeit mittels detektivischer Spielereien – wie beispielsweise bei der Batman-Reihe – durch Wände sehen zu können. Dies fordert dem Spieler einiges ab, ist es dieser doch überhaupt nicht mehr gewohnt, Levels nach Erste-Hilfe-Kästen abzusuchen. Als kleiner Ausgleich regeneriert sich die Lebensenergieleiste um immerhin 20 Punkte selbstständig.

Der Levelaufbau gestaltet sich ebenso klassisch: Komme von Punkt A nach B, dabei häufig über die Umwege C und D. Schön dabei, dass in den einzelnen Abschnitten oftmals alternative Wege zum Ziel möglich sind. Auch sind an verschiedenen Stellen dauerhafte Lebensenergie- und Schildupgrades, Briefe, Tonbandaufnahmen (ein Highlight: Die Käfer – Das blaue U-Boot), Schätze und geheime Dokumente versteckt, die Bonusinhalte freischalten.

Noch schöner, dass die Levels teilweise zerstörbar sind. In Kombination mit dem Waffenarsenal, bei dem es neben konventionellen Schießprügeln wie MP’s und Messern auch Laserkanonen gibt, ergeben sich für den Spieler so neue Wege. Dieser kann sich beispielsweise in Gefechten kleine Schießscharten in Metallplatten schneiden oder geheime Level-Areale freilegen, die wiederum alternative Feuermodi beherbergen.

Die Kämpfe spielen sich sehr dynamisch und intensiv, auch die KI macht, von ein paar Aussetzern abgesehen, ihre Sache gut, Rückzüge, Granatenwerfen und Flankieren gehören zum Grundrepertoire. Zudem gibt es ein Skillsystem, das Blazkowicz verbessert (Heimlichkeit, Taktik, Angriff, Zerstörung). Schön, dass auch Schleichen mit Upgrades wie leiserem Sprinten belohnt wird. Aber auch brachiale Balleraction mit zwei Kanonen gleichzeitig ist möglich.

Zwischen den Missionen befindet sich Blazkowicz im Hauptquartier des Untergrunds und kann Nebenaufgaben für die anderen Widerständler erfüllen, um Boni zu erhalten. Generell ist Wolfenstein ein sehr zügig inszeniertes Spiel, das durch häufige Szenarienwechsel, wechselnde Missionsziele und geschickt platzierte Scriptsequenzen für Kurzweile und die eine oder andere Überraschung sorgt.

Kleiner Tipp: Erfahrene Spieler sollten direkt auf „schwer“ einsteigen, sonst entpuppt sich der Titel als zu lasch. Noch ein Tipp: Im Rebellenhauptquartier sollten sich interessierte Spieler ins oberste Stockwerk zu dem Bett begeben und dort ein Speziallevel namens „Alptraum“ starten. Kenner werden bei diesem Anblick vor Freude jauchzen.

Wolfenstein – The New Order schafft es, eine dystopische Welt, in der die Nazis den Krieg gewonnen haben, sehr überzeugend darzustellen. Ob Figuren oder Schauplätze, alles fügt sich zu einem großen Ganzen zusammen. Überall liegen verschiedene Briefe und/oder Berichte in zahlreichen Sprachen (deutsch, polnisch, englisch, chinesisch etc.) herum, die zu einer dichten Atmosphäre beitragen.

Gewürzt wird der Spielablauf durch einige Schrecksequenzen, wobei insbesondere der Panzerhund an das Alien aus der gleichnamigen Filmreihe erinnert. Sehr löblich: In vielen Spielen befinden sich Propagandaplakate der Nationalsozialisten, die mit Rechtschreib- und Grammatikfehlern gespickt sind, also absolute Atmosphäre-Killer.

In Wolfenstein ist alles korrekt gesetzt. Für die deutsche Version gibt es jedoch ein paar Abzüge. Da hierzulande das Darstellen von verfassungsfeindlichen Symbolen wie Hakenkreuzen und SS-Runen strafbar ist, entschied sich der Publisher Bethesda, die Symbolik des Spiels in Deutschland gegen neutrale Zeichen auszutauschen. Denn auch wenn die Darstellung in der Kunst grundsätzlich erlaubt ist und Computerspiele europaweit als Kulturgut gewertet werden, ist dies in Deutschland bisher nicht der Fall.

Diese Handhabung geriet in letzter Zeit immer mehr in die Kritik, angeregt vor allem durch South Park – The Stick Of Truth, bei dem der Unterschied zwischen Serie und Spiel nicht mehr auszumachen war. Dennoch erfuhr das Spiel eine Zensur und die Fernsehserie nicht. Natürlich muss jeder für sich selbst entscheiden, ob er verfassungsfeindliche Symbolik braucht, um sich in das Szenario komplett einzufühlen. Jedoch mutet es schon seltsam an, überall die Umrisse von Hakenkreuzflaggen, Konzentrationslager und (verfremdete) Führerbilder zu sehen, obwohl dabei niemals von Nazis, sondern stets vom „Regime“ gesprochen wird.

Da das Spiel aber nicht mehr im Zweiten Weltkrieg, sondern in einem fiktiven Szenario in den 1960er Jahren spielt, ist die Zensur verschmerzbarer als bei anderen WW2-Shootern. Glücklicherweise ist der Rest des Spiels unzensiert, was den einen oder anderen Spieler überraschen wird. Abgeschossene Gliedmaßen, Ragdoll-Effekte und Blut in Mengen; das sind explizite Darstellungen, die bei anderen Spielen schon für Indizierungen und Beschlagnahmungen gereicht haben.

Das grafische Grundgerüst für den aktuellen Shooter ist die hauseigene id Tech 5-Engine von Id-Software, die ihre Sache ordentlich macht. Texturen und Partikeleffekte gehen in Ordnung; vor allem die Mimik und Gestik von Blazkowicz und seinen Mitkämpfern ist überdurchschnittlich gut. Der Unschärfefilter erzeugt dazu stimmungsvolle Bilder.

Die Schauplätze wechseln angenehm oft, auch wenn alles – bedingt durch die architektonischen Vorlieben der Nazis – in tristem grau erscheint. Im Großen und Ganzen wirkt die Grafik jedoch angestaubt und kann mit aktuellen Titeln nicht mithalten. Auch trüben Bugs wie das Festhängen an Kanten und spontane Framerateeinbrüche das Gesamtbild.

Dafür scheppert der Sound gewaltig, es knallt an allen Ecken und Kanten. Der Soundtrack ist eher minimalistisch, erzeugt jedoch mittels perfekt platzierter Einsätze eine unglaublich dichte Stimmung. Großer Pluspunkt ist auch die vorbildliche deutsche Synchronisation, die den Charakteren Leben einhaucht und den Spieler mit ihnen Freud und Leid teilen lässt.

Wolfenstein –  The New Order ist ein Shooter der alten Schule, der ohne Frage vieles, aber auch nicht alles richtig macht. Herrlich überzeichnete Charaktere, ein abwechslungsreicher Spielverlauf mit häufigen Szenariowechseln, eine dichte Atmosphäre und eine Story, die fesselt, sorgen für eine Menge Spaß und Unterhaltung.

Die angestaubte Grafik und das ausgelutschte Spielprinzip trüben den Gesamteindruck ein wenig, zumal in der deutschen Version durch den Austausch der Symbolik ebenso ein Teil der Atmosphäre verlorengeht. Dennoch ist MachineGames mit dem neuen Wolfenstein ein Volltreffer gelungen, der die altehrwürdige Reihe gekonnt ins Jahr 2014 befördert und sich mit anderen zeitgenössischen Titel messen kann.

Bilder © 2014 ZeniMax