Wie der Altmeister des Thrillers, Alfred Hitchcock, beginnt eben der Regisseur, der 1999 selbst als der nächste Hitchcock gehandelt wurde, seinen neuesten Film.
Wundertüte M. Night Shyamalan
M. Night Shyamalan steht zwar nicht im schicken Anzug, sondern ganz casual vor der Kamera, aber leitet sein Werk – in der Tradition Hitchcocks – mit einer kurzen Ansprache an die Zuschauerinnen und Zuschauer ein. Er bedankt sich für die anhaltende Unterstützung seiner Thriller-Ideen, die er inzwischen in der dritten Dekade auf die große Leinwand bringen konnte.
Und tatsächlich hat er damit einen Punkt. Denn man kann Shyamalan zwar vieles nachsagen. Schließlich sind einige seiner Filme kolossal misslungen: Die Legende von Aang (2010) und After Earth (2013) gehören zu den schwächsten Episoden des Blockbusterkinos der 2010er-Jahre.
Aber, was man ihm trotz dieser und anderer filmischer Fehltritte zu Gute halten muss, ist sein Engagement für originäre Stoffe. Seit The Sixth Sense (1999) war er immer wieder mit Filmen wie Unbreakable (2000) oder Split (2016) einer der kreativsten und handwerklich begabtesten Filmemacher des Suspense-Kinos in Hollywood.
Ein erwarteter Twist am Ende
In seinem inzwischen 13. Spielfilm Old bekommen Fans von Shyamalan vielfach genau das zu sehen, was sie von ihm schon kennen. Eine scheinbar vollkommen normale Situation – diesmal ein Familienurlaub – berührt plötzlich die Sphäre des Paranormalen. Kinder und ihre verkorksten Eltern stehen im Fokus der Geschichte – wie bei Shyamalans anderem großen Idol Steven Spielberg.
Immer wieder sehen wir Situationen durch Fenster oder Spiegel gefilmt. Und natürlich darf Shyamalans Cameo-Auftritt – ebenfalls eine Hommage an Hitchcock – nicht fehlen. Er ist diesmal allerdings länger geraten als sonst und nicht ohne Augenzwinkern zu verstehen. Shyamalan spielt sich in gewisser Weise selbst. Er agiert beinahe wie ein Regisseur, doch das kann nicht näher erläutern, wer den noch unwissenden Betrachter nicht zu viel verraten möchte. Ach und ganz klar ist auch, dass der Film mit einem Twist endet.
Die Handlung, teilweise vom Schweizer Graphic Novel Sandburg entlehnt, ist leicht erzählt. Ein Elternpaar, das insgeheim kurz vor der Trennung steht, möchte mit seinen Kindern noch einen letzten gemeinsamen Urlaub verbringen. Die Familie landet in einem wahren Paradies von einem Urlaubsressorts, nur um auf besondere Einladung des Hoteliers an einen noch paradiesischeren Privatstrand gefahren zu werden, wo sie zusammen mit anderen ausgewählten Gästen einen Tag verbringen dürfen.
Die Bucht des Grauens
Schnell entpuppt sich diese entlegene Bucht jedoch als Ort des Grauens, an dem die Zeit schneller verlaufen zu scheint als gewöhnlich. Plötzlich sieht der sechsjährige Trent (Nolan River) nicht mehr so aus wie ein Sechsjähriger, sondern als wäre er in einer halben Stunde um Jahre gealtert. Und auch die anderen Gäste bemerken von Moment zu Moment, wie die Falten in ihren Gesichtern mehr werden. Damit beginnt ein Wettlauf gegen das gnadenlose Uhrwerk des Älterwerdens.
Das Konzept klingt merkwürdig, aber verheißungsvoll. Der Film ist in seinen besten Moment eine schonungslose und bitterböse Satire auf verschwendete Zeit. Sie führt den Menschen vor der Leinwand phasenweise beklemmend ihre Sterblichkeit und die Fragilität ihres Lebens vor Augen. Im radikalen Zeitraffer erscheinen Fragen nach der eigenen Sexiness oder das Kleinklein ehelicher Schuldzuweisungen absurd. Dabei gibt es viele Momente, in denen die Kamera virtuos agiert und wir absichtlich nur die Gesichter der Charaktere zu sehen bekommen.
Angst vorm Alter
Das Grauen passiert außerhalb der eingefangenen Szene und das bietet Raum, um den Protagonisten ihre Emotionen im Gesicht tatsächlich abzufühlen und sie nicht für einen billigen Schock- oder Ekelmoment herzuschenken. Auch wenn der Twist am Ende des Filmes nicht dieselbe Kraft wie andere Pointen aus dem Œuvre Shyamalans aufweist, ist er doch durchaus gelungen und wirft zum Schluss eine ethisch-philosophische Frage auf, die idealen Diskussionsstoff für den Weg vom Kino nach Hause bietet.
Doch trotz dieser guten Ansätze ist Old bedauerlicherweise nach den Höhepunkten, die Split und Glass in Shyamalans Filmographie darstellen, wieder ein echter Tiefpunkt.
Die Kamera macht neben den gelungenen Einstellungen so oft so viel Unterschiedliches, dass eine kohärente Handschrift nicht zu erkennen ist. Vielmehr wirkt der Film in seiner ganzen Länge wie eine Spielwiese für Kameramann Mike Gioulakis (It Follows, Wir, Split), der dies und jenes einmal ausprobieren durfte, ohne dass sich am Ende eine visuelle Vision bemerkbar macht.
Keine Rettung für die Protagonisten & Dialoge
Dazu sind die Dialogzeilen mit wenigen Ausnahmen unerträglich hölzern und manchmal sogar deswegen unfreiwillig komisch. Es gibt kein einziges Gefühl, das in diesem Film nicht laut von den fühlenden Subjekten direkt und auf der Stelle ausgesprochen wird. Show, don’t tell sucht man da vergebens. Noch dazu erklären die Figuren ununterbrochen den Plot und sagen regelmäßig so Dinge wie „Ich weiß das, ich habe das studiert, das ist mein Beruf“. Oder eben vor Kitsch triefende Zeilen wie „Ich fühle mich so anders. Es ist als würde ich ganz viele Farben fühlen. Gestern war es noch eine Farbe, dafür aber sehr intensiv. Jetzt sind es so viele Farben.“ Solche Sätze dürfen es nicht in den letzten Draft eines Drehbuchs schaffen.
Über weite Strecken ist der Spannungsthriller Old im Übrigen kein bisschen spannend. Sobald das Konzept klar ist, beobachten wir bloß, wie es eine Stunde lang konsequent ausgeführt wird. Dort fehlen unerwartete Wendungen, dort fehlt ein Twist, dort fehlt die Hoffnung, dass die Charaktere eine ernsthafte Chance auf Rettung hätten.
Der Film scheitert damit irgendwo zwischen den vielen verhunzten Dialogen, seiner Vorhersehbarkeit und einem bildkompositorischen Allerlei ohne klare Linie. Was ein gesellschaftlich relevanter Mystery-Thriller mit Lost-Vibes hätte werden können, entwickelt sich am Ende zu einem Streifen, den auch die Zuschauerinnen und Zuschauer ohne rapide auftretende Demenz schnell vergessen werden.
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